Mit dem neuen Oberteil mit dem feinen grünen und weißen Blütenmuster, dass Abby erst vor wenigen Tagen fertiggestellt hatte und dem passenden grünen Rock dazu, mit Hut und Handschuhen und natürlich den wundervollen Ohrringen, die Mitras ihr geschenkt hatte, fühlte sich Kira fast vornehm genug, um mit ihrem Magister ausgehen zu können. Einen Moment lang stand sie vor dem Spiegel und überlegte, dann setzte sich sich nocheinmal, holte ihre selten genutzten Schminksachen hervor und legte ein ganz wenig grüne Farbe auf ihre Augenlider. Ja, jetzt war es perfekt!
Mitras wartete bereits unten in der Halle auf sie und nickte ihr freundlich anerkennend zu. „Das Korsett steht dir! Hat Abby es erst die letzten Tagen fertig gestellt oder hebst du dir so schöne Stücke etwa für einen Ausflug mit deinem alten Mentor auf?“ Kira spürte, wie sie – mal wieder – rot anlief. „Es ist neu.“ sagte sie. „Und du bist gar nicht so alt.“ Mitras lächelte und bot ihr seinen Arm an. „Irgendwann werde ich neben meiner fleißigen und überaus begabten Schülerin aber ganz alt aussehen!“ Kira protestierte, während sie sich einhakte: „Mitras, du bist der jüngste Magister der letzten Jahrzehnte, erfolgreich, reich und gutaussehend. Ich bin nur ein Dorfkind mit roten Haaren, schlechten Mathekenntnissen und einem Talent für Pferde, ich werde dich niemals alt aussehen lassen.“ Mitras sah sie einen Moment still an, die Hand schon auf dem Türknauf, und Kira schaute in seine eisblauen Augen, bis ihr Herz raste. Dann hob er die Hand, legte sie auf ihre Schulter und sagte ernst: „Diese Sicht auf dich ist das, was ich meine Feinde gerne glauben lassen würde, denn es ist gut, unterschätzt zu werden, bis man wirklich stark ist. Aber du solltest niemals vergessen, dass ich in dir eine begabte …“, er stockte kurz, „eine begabte und schöne Frau sehe, die ein faszierendes Talent und geheimnisvolle Potentiale hat. Und ich freue mich, dabei sein zu dürfen und dir helfen zu können, diese Potentiale zu entfalten, auch wenn du mich dabei in mancherlei Bereichen sicherlich überflügeln wirst.“ Kira wusste nicht, was sie sagen sollte, also sagte sie nichts und senkte verlegen den Kopf, um nicht zu zeigen, wie rot sie wurde und wie sehr seine Worte sie mit Glück erfüllten. Später wusste sie nicht, wie sie zum Café gekommen waren, denn der Sturm aus tausend kleinen Faltern in ihr ließ ihr keine Ruhe, bis Mitras ihr vor einem etwas kleineren Haus zwischen höheren Wohnhäusern aus der Kutsche half und sie dann los ließ. Sie staunte darüber, dass es anscheinend mitten in der Stadt ein kleines Haus gab, dass aussah, als hätte es auch in der Nähe von Flate auf einem Hügel liegen können: Mit einem kleinen Vorgarten, in dem es zwischen Blumenbeeten einen gewundenen Gang und einige kleine runde Terrassen gab, auf denen abgedeckte Tische standen, einem Dach aus Schilf und einer Wand aus roten Ziegeln zwischen dicken Bohlen. Hinter dem Haus ragten zwei große Bäume hervor. Mitras war ihrem Blick gefolgt und schmunzelte. „Ja, tatsächlich ist es von Anfang an als Café geplant gewesen, und um Gäste anzulocken baute der Besitzer statt eines großen Hauses eine kleine Berger Kate. Dort drinnen gibt es Mittags den besten Fisch und nachmittags hervorragende Torten. Komm, ich habe einen Tisch reservieren lassen!“
Zu Kiras Belustigung bestellte Mitras eine Flater Orangentorte. Sie konnte ihm nicht erklären, warum sie darüber kichern musste, aber sie nahm sich fest vor, es Abby zu erzählen. Am Anfang hatte sie sich im Café etwas unwohl gefühlt – etliche Personen hatten sich nach ihr und Mitras umgedreht – aber er hatte einen Tisch bestellt, der etwas in einer Nische lag, und so konnte sie sich entspannen und ihr Stück Schokoladentorte mit einer ihr unbekannten, rötlichen Fruchtmasse darin genießen. Die Süße der Schokolade in Kombination mit der Säure der Früchte schmeckte hervorragend, und sie schaute Mitras dabei an, während sie das Gefühl im Mund genoß, spürte, wie ihr Herz klopfte und stellte fest, dass heimliches Verliebtsein Ähnlichkeiten mit dieser Torte hatte. Es schmeckte gut, aber war auch ziemlich säuerlich. Naja, immerhin war es keine Orangentorte, obwohl die Variante, die Mitras da vor sich stehen hatte, wirklich viel Sahne beinhaltete.
Mitras war nicht entgangen, dass ihr die Blicke zu schaffen machten. Er war selbst auch nicht gerade erpicht darauf im Mittelpunkt zu stehen und hatte zu ihrer beider Glück eine der Nischen reserviert. Nun merkte er ihr an, dass sie sich entspannte. Er konnte sich nur keinen Reim darauf machen, was sie an der Tortenwahl so lustig fand. Sowohl für Uldumer als auch Burniaser Verhältnisse war Flater Orangentorte ein absoluter Exot. Normalerweise mochte Mitras sie auch nicht sonderlich, normalerweise jedenfalls. Das ursprüngliche Rezept war ihm zu bitter, aber hier hatten sie die Torte ein wenig abgewandelt, so dass sie süßer war. Christobal war ein großer Freund dieser Torte, die wohl durch seine Mutter in die Familie gebracht worden war. So hatte Mitras sie letztendlich auch kennen lernen müssen und Christobal ließ es auch nicht zu, dass jemand in diesem Backwerk etwas anderes sah, als ein Meisterwerk.
“Warum denkst du, dass ich andere Magieformen probieren sollte, Magister? Und welche überhaupt?“, fragte Kira, als sie ihre Torte fast aufgegessen hatte. Mitras wirkte rasch einen kleinen Stillezauber, der ihnen die nötige Privatsphäre gewähren würde, und antwortete dann: „Weil du anscheinend schon unterbewusst Zugang zu den eher priesterlich angehauchten Varianten der Elementarmagie gefunden hast. Priester wirken Zauber ähnlich wie wir, nur dass sie zum einen nicht selbst Magie schöpfen, dafür brauchen sie die Hilfe von ihnen wohlgesonnenen Geistern, und zum anderen formen sie die Magie nicht durch Formeln, sondern durch Gebete oder Gesänge. Beides ist natürlich auch wieder eine Form von Formulierung, aber nicht so exakt wie in der Gildenmagie, was dann wiederum ausladendere Formulierungen nötig macht. Du selbst brauchst keine Hilfe von Geistern und hast deine eigene Magie genutzt. Wobei es hier seltsam wird. Normalerweise unterscheiden sich die reinen Magieströme von Priestern und Zauberen, was dazu führt, dass sie die Zauber der jeweils anderen Proffession nicht wirken können. Das scheint für dich aber nicht zu gelten, was wohl daran liegt, dass du so lange mit deinem Bruder Harras zusammen warst. Ich weiß nicht wie, aber unterbewusst hast du gelernt deine Magie für seine Zauber zu nutzen. Ich glaube, dass es dir dadurch auch leichter fallen könnte, verwandte Elementarzauber zu erlernen. Die Systematik der Magie hast du ja schon anhand der Telekinese erfahren. Deswegen glaube ich auch, dass du mich irgendwann überflügeln wirst. Natürlich nicht in der Verwandlung unbelebter Materie, aber Elementarmagie liegt mir selbst überhaupt nicht. Du scheinst da ein breiter aufgestelltes Talent zu haben. Das ist recht selten, aber auch nicht komplett ungewöhnlich. Nur dein Potential, das ist mir so noch nicht begegnet, wird für dich aber hoffentlich auch kein Problem sein.“ Kira schaute ihn aufmerksam an, ihre Wangen ein wenig gerötet, und ab und zu runzelte sie die Stirn oder wiegte den Kopf, wie sie es oft tat, wenn sie über seine Vorträge nachdachte. Mitras spürte wieder einmal, wie stolz er darauf war, eine solche Schülerin unterweisen zu können. „Deine Erzählung über deinen imaginären Freund deutet auch noch auf ein weiteres Talent hin. So wie du ihn beschrieben hast, würde ich eher auf einen Geist tippen, der sich bewusst an dich gehangen hatte, weil du ihn sehen kannst. Tatsächlich ist es vielen Kindern begrenzt möglich Geister zu sehen, wenn diese es denn wollen, aber die meisten verlieren diesen Kontakt dann schon im frühen Alter wieder. Bleibt der Kontakt länger bestehen als bis zum sechsten oder siebten Lebensjahr, dann ist das ein deutliches Zeichen für eine hellseherische Begabung. Neben den Priestern sind es vor allem die Zauberer der Hellsicht Schule, die mit Geistern kommunizieren können. Wobei das natürlich nur ein Aspekt dieser Lehre ist. Du siehst also, deine Fähigkeiten sind breit aufgestellt. Du solltest dich in allen Schulen ein bisschen ausprobieren, damit sich die Magie immer natürlicher für dich anfühlt. Ich hoffe, dass sich dann auch irgendwann deine Angst vor der Verwandlungsmagie löst.“
Ja, das wäre tatsächlich gut. Aber jetzt gerade, in diesem vornehmen Café und Mitras Stimme lauschend, die ihr eine unglaublich Zukunft vorhersagte und sie ja geradezu mit Komplimenten überschüttete, hatte Kira nicht das Gefühl, dass sie sich noch vor igrendwas fürchtete – nicht mal mehr, von einem Mann angefasst zu werden. Sie würde jemanden wie Johann das nächste Mal einfach mit Magie umpusten. Sie grinste. Mitras erwiderte ihr Lächeln, doch dann wurde seine Miene plötzlich steif und verärgert. Sie drehte sich, um seinem Blick zu folgen und sah, wie der Kellner zwei Männer in Anzügen an einen Tisch nicht weit von ihnen geleitete. Der ältere der beiden trug silberne Stickereien am Kragen und an den Ärmeln seines Jackets, war also ein Magier. Er blickte einmal durch den Raum, und offenbar erkannte er Mitras ebenso, wie Mitras ihn erkannt hatte. Etwas verschlagenes glitt über sein Gesicht und Kira wusste instinktiv, dass sie diesen Mann nicht mochte. Irgendwas an ihm erinnerte sie auch an Johann, und während er auf ihren Tisch zutrat, verschwand all ihr Hochgefühl schlagartig und wich einem beklemmenden Gefühl in der Magengegend.
Kira nahm alles, was er sagte, gut auf, er konnte es förmlich sehen wie es in ihrem Kopf arbeitete und sie anfing Möglichkeiten wahrzunehmen. Sie bot auch für ihn Chancen, durch sie erfuhr er, dass es gar nicht so schlecht war Lehrer zu sein, vorausgesetzt der Schüler oder die Schülerin war so fähig wie Kira. Nach seinem Monolog blickte er sich kurz zufrieden um, es schien ein vollkommener Nachmittag zu werden. Er genoß die Zeit sehr, bis sein Blick auf zwei neue Gäste fiel, die gerade eingetreten waren und nun fast direkt auf sie zu geleitet wurden. Die Gebrüder di Porrum. Er riss sich stark zusammen, um sich nicht sofort seine komplette Abscheu anmerken zu lassen, aber es gab nichts, was ihn diesen Tag mehr verderben konnte als diese beiden. Während Cepus sich an den angewiesenen Tisch setzte, blickte ihn Secus direkt an und kam auf ihn zu. Unter dem Tisch glitten Mitras Hände unwillkürlich zu den Elektrumarmbändern, während er den Stillezauber fallen ließ. Er trug sonst keine Waffen, auch weil er Kira in der Stadt ein Gefühl von Sicherheit geben wollte. Außerdem war ein Rapier in einer Umgebung wie dieser doch unschicklich. Aber diese eigene Sicherheit hatte er gebraucht und es war den verschlungenen Bändern ja auch nicht anzusehen, dass sie innerhalb eines Augenblickes zu tödlichen, nahezu alles schneidenden Klingen werden konnten. „Ah Magister Mitras, hat es euch doch einmal aus der Alchimistenhöhle getrieben?“, begann Secus mit einem überaus höflichen Ton, der seine Beleidigung doch nicht verbergen konnte. „Und wer ist diese rothaarige Begleitung?“ „Nun Secus, als ehrenwerter Magister der Schule verbringe ich viel Zeit mit den wichtigen Forschungsaufträgen, ebenso mit den Aufträge des Königshauses und nun habe ich auch noch die Freude mich, in Vorbereitung auf meine weitere Gildenkarriere, als Lehrmeister zu profilieren. Diese werte Dame hier ist meine Schülerin Kira Silva. Kira, dies ist Secus di Porrum Erbe des Grafen di Porrum. Ein früherer Schüler von Erzmagier di Hedera.“ Secus deutete eine Verbeugung Kira gegenüber an und verbesserte: „Magister di Porrum. Sie haben mein Beileid.“ Kira schaute ihn kühl an und deutete mit einer leichten Kopfbewegung eine Verbeugung an, gerade genug, um den Regeln der Höflichkeit zu folgen. „Ich wüsste nicht, wofür man mich bedauern müsste, Magister di Porrum.“ Mitras musste sich zusammen reißen, nicht laut aufzulachen. Das war sein Mädchen! Mit nur einem Satz nahm sie das ganze Gehabe seines Gegners einfach auseinander. Secus runzelte die Stirn und sagte gehässig: „Nun, das kann ich mir bei Ihrer Herkunft lebhaft vorstellen.“ Zu Mitras gewandt ergänzte er: „Wenn es Sie dann zu sehr einnimmt, ein ehrenwerter Mentor zu sein, können Sie ja jederzeit auf mein Angebot zurückkommen. Aber ich werde den Preis, den ich bereit bin zu zahlen, verringern, wenn Sie noch lange warten.“ „Das wird nicht nötig sein. Ich habe bereits einen Vertrag mit der Schule der Verwandlung abgeschlossen. Der Erzmagier di Hedera hat mir den äußerst fähigen Erzmagier di Camino, einen ausgezeichneter Metallurgen, zur Unterstützung zur Seite gestellt. Natürlich wird mich die Schule nur bei der Grundlagenforschung unterstützen, da ich bisher der einzige bin, der die Geheimnisse dieses neuen Stoffes wirklich zu meistern verstanden hat. Dafür wurde ich ja auch von der Gilde und dem König ausgezeichnet. Wenn Sie eine ähnliche Expertiese vorbringen könnten, dann würde ich Ihr Angebot ja in Betracht ziehen, aber so. Es tut mir leid.“ Mitras war absichtlich ein wenig lauter geworden und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass sich bereits mehrere Leute in ihre Richtung umgedreht hatten und sicher auch genug vom Gespräch mitbekamen. Das wurde nun wohl auch Secus bewusst, der sich errötend und wütend kurz umsah.“Das wird dir noch leid tun!“, zischte er leise, ehe er sich umdrehte und zu seinem Bruder zurück ging, der am anderen Tisch sitzen geblieben war. Er sagte kurz etwas und rauschte dann zur Tür hinaus, seinen Bruder hinter sich. Einen Moment lang war es still, dann begannen an allen Tischen die Gespräche wieder, als sei allen bewusst geworden, wie unhöflich die Stille war. Mitras atmete einige Mal bewusst ein und aus, um seine Gefühle zu kontrollieren, und schaute dann Kira an. Sie hatte das wunderbar gemacht, aber dennoch… ein unbestimmtes Gefühl von Sorge lag auf seiner Brust. Secus war nachtragend, er würde auch nicht vergessen, dass sie ihn hatte auflaufen lassen. Er hoffte inständig, dass er danach Secus selbst genug gereizt hatte, um von Kira abzulenken. Er sollte ihr vielleicht nun auch ein paar Zauber zur Selbstverteidigung beibringen. Nur zur Sicherheit.
Kira aß schweigend ihre Torte auf. Sie schmeckte gar nicht mehr so gut, seitdem sie den Disput zwischen Mitras und diesem Magister di Porrum angehört hatte. Zu sehr fühlte sie sich an die Dispute ihrer Eltern erinnern, an Torges Gehässigkeit und an das Geschwätz der Dorfweiber, denen es ja doch immer nur darum ging, sich selbst besser dastehen zu lassen. Mitras war erfolgreich, aber dass er das so hervorhob, war ihr bisher nicht begegnet, und sie fand, dass es diesem schmierigen Mann gegenüber zwar wohl angemessen war, aber Mitras hätte dabei nicht so laut werden müssen. Kira mochte nicht, wenn jemand laut wurde, egal warum. Und jemanden anderen öffentlich bloßzustellen, und sollte er noch zu unsympathisch sein, hinterließ einen schalen Geschmack in ihrem Mund. Was, wenn Mitras sich so gegen sie richtete? Das würde sie vermutlich nicht aushalten, realisierte sie. Zu oft war sie selbst Ziel von Spott und Hohn gewesen. Von anderen würde sie es ertragen, aber der Ton, den sie eben an Mitras gehört hatte, machte ihr Angst. Von ihm, unter allen Menschen, von ihm würde sie sowas nicht ertragen. Nachdenklich rührte sie in ihrem Tee herum und spürte, wie ihr das Herz wehtat bei dem Gedanken, nicht mehr in seiner Nähe sein zu können, von ihm abgelehnt zu werden. Was war nur in den letzten Wochen mit ihr passiert, dass ihr es plötzlich so wichtig war, was jemand anderes über sie dachte? Sie war doch immer frei gewesen, selbst ihre Mutter hatte sie nicht so getroffen, wie Mitras Stimme und auch nur der Gedanke daran, dass er sich gegen sie richten könnte, es jetzt gerade tat. Sie schaute ihn vorsichtig von unten herauf an. Er saß schweigend da und sah sie an, aber sie konnte keinerlei Ablehnung entdecken. Machte er sich Sorgen?
Mitras merkte, dass Kira nun besorgt und niedergeschlagen war. Dieser verfluchte Bastard hatte ihnen beiden den Nachmittag gehörig verdorben. Wie konnte Mitras das nur wieder richten? Mittlerweile fing es auch an zu dämmern. Von hier war der obere Teil des Avens nicht weit. Dort gab es einen leichten Hügel mit einer kleinen Aussichtsplattform. Vom Aristrokratenviertel konnte man von dort zwar nichts sehen, aber das Händlerviertel, die Altstadt, der Hafen, all das lag darunter ausgebreitet und auch die Gebiete im Norden konnte man sehen, wenn es nicht zu viel Nebel über dem Avens gab. Weit war es nicht. „Kira, ich möchte dir noch etwas zeigen. Der Tag soll auf einer besseren Note enden. Wenn du nichts dagegen hast, werden wir jetzt noch einen kleinen Spaziergang machen.“ Kira nickte. „Selbstverständlich, Magister.“ Die förmliche Rede stach ein bisschen, war aber hier in der Öffentlichkeit wahrscheinlich angebrachter als sein eigener vertraulicher Tonfall. „Gut.“ Er winkte einen der Kellner heran und beglich die Rechnung und ergänzte sie, mit einem Nicken auf den leeren Tisch, an dem die di Porrums sich hatten setzen wollen, um ein großzügiges Trinkgeld. Es ärgerte ihn, dass er nirgends vor den Übergriffen seiner Feinde sicher war, aber so konnte er sich wenigstens bei dem unnötig in Mitleidenschaft gezogenen Personal entschuldigen. Der Kellner nickte mit einem wissenden Blick und sagte dann zum Abschied: „Meine Dame, mein Herr, ich hoffe Sie bald wieder in unserem Haus begrüßen zu dürfen.“ Er verbeugte sich noch einmal tief. Mitras war nicht entgangen, dass er sehr darauf geachtet hatte, dass andere es mitbekamen, wer der Meinung des Personals nach der Störenfried gewesen war.
Mitras geleitete Kira aus dem Haus und die Straßen entlang zu der Plattform. Sie wirkte immer noch ziemlich niedergeschlagen und das bedrückte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte. Doch als sie auf der Plattform standen und unter ihnen in der lilanen Dämmerung die Lichter der Stadt nach und nach aufglühten, fand sie zu seiner Erleichterung zu ihrer üblichen Unbeschwertheit zurück und staunte über die Aussicht. Er unterdrückte den Implus, sie in den Arm zu nehmen, und fasste nur ein wenig ihre Hand, um sie zu drücken, und sagte: „Es freut mich, dass dir deine neue Heimat gefällt.“ Kira lächelte ihn scheu an, erwiderte den Druck aber und flüsterte, den Blick über die Stadt gleiten lassend: „Heimat. Danke, dass du mir eine gibst.“ Einen Moment lang standen sie schweigend, dann kamen von unten die Treppe herauf einige Leute und Mitras beeilte sich, ihre Hand loszulassen. Man war nirgendwo sicher, und derartige Vertrautheit sollte besser niemand wahrnehmen, dass war ihm nach dem heutigen Nachmittag nocheinmal deutlich bewusst geworden.
Schreibe einen Kommentar