Gegenspionage – 6. Firn 242 (Mafuristag)

Am Mirasmorgen ließ Kira sich von Abigail wecken, sobald diese ins Haus kam. Am Abend des Silenz war sie zwar eigentlich früh genug zuhause gewesen, aber an Mathematik zu denken war ihr angesichts dessen, was am Nachmittag passiert war, unmöglich gewesen. Erst dieser unsympathische Magier, Mitras Angeberei und Gezänke und dann, als Ausgleich, der Ausflug zur Plattform und das gemeinsame Laden danach. Es war defintiv der romantischste Moment in ihrem ganzen Leben gewesen, dort oben zu stehen, die Lichter nach und nach aufflammen zu sehen und dabei seine Hand zu halten. Wenn man ehrlich war, war es vermutlich der einzige romantische Moment, den sie bisher erlebt hatte, aber das machte es nur noch aufregender. Sie konnte lange nicht schlafen, und als sie letztendlich in einen unruhigen Schlaf hinüber glitt, träumte sie von Mitras, der unruhig durch das Haus lief und einen unsichtbaren Feind jagte, der mit der schmierigen Stimme des Grafen di Porrum rief: „Sie ist deine Schwäche!“ Entsprechend zerschlagen kroch sie am Miras morgens aus dem Bett, aber sie wollte weder Mitras noch den Herzog di Pinzon enttäuschen, also gab sie sich Mühe, die restlichen Aufgaben so gut wie möglich zu erledigen, ehe sie zur Meditationsstunde und zum Frühstück ging. 

Pinzon war zwar nicht ganz zufrieden, aber er wertschätzte, dass sie sich erkennbar Mühe gegeben hatte, und hielt ihr einen neuen Vortrag samt neuen Aufgaben. Als sie an diesem Abend nach Hause kam, brummte ihr Kopf und sie fühlte sich, als sei ein ganzer Achtspänner über sie gefahren. Oder eine Eisenbahn. Auf jeden Fall etwas großes. Sie aß ein wenig der Reste vom Mittag und entschuldigte sich dann. Noch ehe die Uhr sieben zeigte, war sie eingeschlafen und schlief diesmal einen tiefen, festen Schlaf ohne Träume, aus dem Abigail sie diesmal nicht wecken brauchte, weil sie wie früher schon um halb sieben aufwachte. Erholter vergrub sie sich in das Buch zur Elementarmagie, um wenigstens ein bisschen auf die Lehrstunde mit Mitras vorbereitet zu sein.

Mitras trat auf dem Weg zum Frühstück auf den Flur und wäre beinahe in Kira gelaufen, die zur gleichen Zeit aus ihrem Zimmer kam. „Guten Morgen, da war ich wohl beinahe etwas zu schwungvoll unterwegs. Wie ich sehe, geht es dir heute besser. Ich hatte schon Sorge, dass ich dich mit dem Laden vorgestern Abend zu sehr beansprucht hatte, so zerschlagen wie du gestern Morgen ausgesehen hast.“ ​​​​​​Kira schüttelte heftig den Kopf. „Nein, das übernimmt mich nicht, mach dir keine Sorgen. Ich habe nur schlecht geträumt.“ „Nun gut, allerdings sind Träume nichts was man als Magier auf die leichte Schulter nehmen sollte. Erst recht nicht, wenn man ein gewisses Talent zur Hellsicht hat. Heute Vormittag bringe ich dir einen der grundlegensten Zauber bei.“ Mitras stockte und lachte kurz. „Wobei beibringen vielleicht das flasche Wort ist. Gewirkt hast du ihn schon, aber ich werde dir zeigen, wie er richtig ausgeführt wird. Sehr viel mehr werde ich dir im Bereich Hellsicht aber nicht beibringen können, wenn du dort ähnlich begabt wie in der Telekinese bist, habe ich aber eine Idee, wen wir fragen könnten, um dich weiter zu schulen. Magst du mir von deinem Traum erzählen?“ Kira, die vor ihm die Treppe herunter ging, schwieg einen langen Moment. Unten blieb sie stehen, drehte sich zu ihm um und fragte unsicher: „Muss ich?“ „Nun, wenn du nicht möchtest, musst du natürlich auch nicht. Es kann aber sein, dass du hellseherische Träume hast, nicht jedes Mal natürlich. Ich weiß nicht, was diese Träume auslöst. Ich selbst hatte noch keinen, aber meine Begabungen liegen auch woanders, eher so im Bereich Berge versetzen.“ Mitras musste kichern, tatsächlich hatte er mal einen gewaltigen Findling bewegt, der bei einem größeren Steinschlag nördlich von Uldum eine größere Straße blockiert hatte. Nathanael hatte ihn dorthin geschickt, als er noch Gehilfe war. Er hatte ihn oft herum geschickt um Leuten mit seiner Magie zu helfen. Im Nachhinein betrachtete Mitras das als gute Übungen und außerdem hatte er so bei vielen Menschen einen guten Eindruck hinterlassen, da Nathanael selten Geld für seine Dienste nahm. Kira lief rot an und sagte: „Ja, in Ordnung. Aber ich glaube nicht, dass dieser hier wichtig war.“ Mitras vermutete, dass er es war – allein ihre Weigerung, davon zu erzählen, machte ihn neugierig. Was brachte seine Schülerin wohl um den Schlaf, war aber nicht für seine Ohren bestimmt? Er hoffte nur, dass die Begegnung mit di Porrum sie nicht so sehr wie ihn selber belastet hatte. Er hatte den Abend des Silenz bei einem guten Glas Rum verbracht, aber war aus dem Grübeln über die Begegnung kaum heraus gekommen. Es machte ihm wirklich Sorgen, Secus könnte seinen Schützling ins Visier nehmen, und allein die Tatsache, dass er sich Sorgen machte, machte ihn angreifbar, was ihn ärgerte. Und das wiederum ärgerte ihn noch mehr, dass es ein Wicht wie Secus schaffte, ihm seine Freude über seine wunderbare Schülerin zu schmälern!

Das Frühstück war entspannt und die Meditation ruhig verlaufen. „Gut Kira, du machst Fortschritte beim ruhig werden. Das wird dir in der Zukunft sicher helfen. Was dir auch helfen wird, ist das Magie sehen. Es zählt zwar offiziell zur Schule der Hellsicht, wobei einige Magier auch der Überzeugung sind, dass es ein temporärer Veränderungszauber ist, aber der Zauber ist so elementar und auch wichtig, dass ihn eigentlich jeder beherrscht. Er ist auch tatsächlich nicht sonderlich schwer.“ Kira nickte und Mitras begann ihr den kurzen Vers vorzusagen. Der Zauber war gestenlos und in der Regel konnten die meisten Schüler ihn recht bald auch ohne Vers ausführen. Auch das erklärte Mitras ihr. „Gut, wie du einen Zauber beendest weißt du ja, also versuche es erst einmal mit dem Spruch. Sobald du ihn gewirkt hast, siehst du dich hier im Labor um und nennst die magischen Artefakte, die du sehen kannst.“

Kira nickte. Sie stellte sich in die Mitte des Raumes, atmete ruhig ein, nahm Magie in sich auf und kanalisierte sie mit den Worten „Vimeo magico!“ mit geschlossenen Augen, so wie Mitras es erklärt hatte. Sie spürte ein Prickeln in den Augen, ähnlich dem beim Laden vor vier Tagen, und als sie die Augen öffnete, sah sie die Magie fließen. Mit Ausnahme eines kleinen Raumes direkt um sie selber war der Raum mit Magie gefüllt, als sei es eine Vase voller Nebel. An einigen Stellen lag der dünne Schleier etwas dichter, an anderen war kaum ein Glitzern zu erkennen. An den Wänden sah sie dasselbe Netz wie in der Generatorhalle, allerdings viel deutlicher und wesentlich engmaschiger, es schien, als sei die Wand selbst verzaubert, und am Fenster rieselte die Magie durch die Ritzen geradezu herein. Im Schrank und an den Wänden leuchteten nun plötzlich verschiedene der Gerätschaften auf, das mochten die Artefakte sein, die Mitras angesprochen hatte. Sie schaute zu ihm und sah dasselbe Glimmen, diesmal etwas schwächer als beim Laden. Das machte Sinn, Mitras wirkte ja auch gerade keinen Zauber. Während sie ihn ansah, bewegte sich der Nebel um ihn plötzlich, und sie realisierte, dass er die Magie zu sich zog. Im nächsten Moment leuchteten seine Augen heller auf. „Du hast einen Zauber gewirkt, denselben wie ich, oder?“, fragte sie. „Gut beobachet, ja das habe ich. Und was kannst du sonst noch entdecken?“ Sie schaute sich um. „Da, der Heizstein leuchtet jetzt etwas anders. Ich kann sehen, dass er Magie in sich trägt, sie ist in ihm wie eine kleine Flamme. Und dort, auf deinem Schreibtisch, steht ein Beutel, der glimmt wie du, fühlt sich nach deiner Magie an.“ Mitras nickte zufrieden. „In der Tat, in dem Beutel sind einige Talismane, die ich vorbereitet habe. Sie lösen Schutzzauber aus, wenn man verletzt wird, oder helfen, etwas schweres anzuheben.“ Kira blickte sich weiter um. „Im Schrank liegen Kräuter, die Magie in sich tragen.“ Mitras zog erstaunt eine Augenbraue hoch, was angesichts seiner leuchtenden Augen komisch aussah. „Stimmt. Wie kannst du sehen, dass es Kräuter sind?“ Kira schaute wieder zum Schrank. „Sie haben einen Stiel und Blüten?“ Mitras schwieg kurz und sagte dann leise: „Das kannst nur du sehen, gut gemacht. Ich kann Formen nicht so genau erkennen.“ Kira spürte, wie seine Worte sie etwas verlegen machten, also blickte sie erneut zum Schrank. Einer der Steine, die auf der Kante lagen, glomm ganz schwach. Sie ging einige Schritte darauf zu. Diese Magie wirkte anders. Während die Magie der Kräuter wie ein wirres Geflecht aussah und die Talismane ein konstantes Glimmen von sich gaben, überzog diesen Stein ein wabenförmiges Muster, dass nur schwach aufglomm und wieder verschwand. Sie hatte sogar das Gefühl, je genauer sie hinsah, desto weniger konnte sie die Magie sehen. „Was ist das hier?“, fragte sie und deutete auf den Stein. „Das?“ Mitras kam zu ihr heran. „Nein, das ist nichts, da ist keine Verzauberung drauf. Warum fragst du?“ Verunsichert betrachtete Kira den Stein. Hatte sie sich getäuscht? Gerade, als sie den Kopf drehte, um die Geräte im Zirkel stattdessen zu betrachten, glomm er erneut kurz auf. Sie drehte sich zurück. Doch, da war etwas. Sie nahm ihn in die Hand. Was war das? Es fühlte sich ungut an, löste das Gefühl aus, den Stein rasch wieder hinzulegen. Sie ließ ihn wieder los und schaute Mitras an. „Irgendwas ist aber mit dem. Haben Steine eine eigene Magie wie Kräuter?“ Mitras betrachtete den Stein ein langen Moment, dann schüttelte er den Kopf. „Nein, sie können ein Heim für Geister sein, aber das sind sie eigentlich nicht, wenn man sie von ihrem Fundort entfernt. Und einen Geist würde ich auch sehen können.“ Wieder schwieg er einen Moment. „Bist du dir sicher, etwas zu sehen?“ Sie nickte. Sie hatte etwas gesehen. Würde Mitras es abtun wie alle anderen auch, wenn sie etwas ungewöhnliches gesehen hatte? So wie den Sturm? Sie hoffte, er würde ihr glauben, und spürte, dass sie Angst vor seiner Antwort hatte.

Mitras war beunruhigt. Der Stein war ein einfaches Mineral, er wusste nicht einmal mehr, wo er ihn her hatte. Er sammelte schon lange seltene Steine und bekam immer wieder welche geschenkt. Er nahm ihn und verstärkte den Zauber, konnte aber weiter nichts sehen. Aber seine Finger prickelten ganz leicht, etwas unangenehmes ging von dem Stein aus. Doch Mitras widerstand dem Drang den Stein einfach wegzulegen und betrachtete ihn genauer. Seine Wahrnehmung war wohl zu schwach. Er blickte zu Kira auf und nun wurde ihm auch klar, dass er ihrer Meinung hier trauen konnte. Ihre Augen leuchteten intensiv und allein der Anblick legte einen starken Karamellgeschmack auf seine Zunge. „Du hast recht, Kira. Irgendwas stimmt mit dem Stein hier nicht. Beschreibe mir bitte genau, was du siehst.“ Er legte den Stein ab, damit seine eigene Aura sie nicht ablenkte und wartete. Kira sah den Stein an, drehte einige Male den Kopf und kniff die Augen zusammen. Ihre Aura war mit einer Mischung aus roten und grünen Schlieren durchzogen, offenbar hatte sie ihre Emotionen beim Zaubern also immer noch nicht ganz unter Kontrolle. Das war jetzt aber erstmal nebensächlich. „Er ist ziemlich dunkel, also eigentlich, als ob Magie dort fehlen würde, die ist sonst ja eigentlich überall ein bisschen. Sieht eher so aus wie die Wand. Aber an der Oberfläche ist ein Muster, das glüht auf, wenn ich nicht direkt darauf schaue. Es ist wabenförmig und seine Farbe ist rötlich. Wenn ich den Stein anfasse, will ich ihn wieder weglegen, und…“ sie griff nach dem Stein. „… und ja, das Wabenmuster ist dann auch irgendwie hier auf meiner Hand, aber auch nur ganz kurz.“ Sie legte den Stein rasch wieder hin. Mitras griff hinter sich und ließ sich auf den Stuhl fallen. Bei den Geistern! Was sie da beschrieb, hatte er schonmal gelesen. Wabenmuster, die beim direkten Hinsehen verschwinden. Das war ein Zauber, um Magie zu verbergen, allerdings einer der höheren Klassen. Er selber hätte diese Art Magie niemals wirken können, aber er wusste, wo in seinem Haus es diesselbe Magie gab: Auf seinen Spiegeln. So verbarg man Artefakte, deren Ziel ist war, jemanden zu belauschen oder zu beobachten. „Verdammt, das ist ein Tarnzauber und in der Regel werden damit Spionagezauber maskiert.“ Mitras ärgerte sich über sich selbst, wie hatte ihm das nur passieren können. Wo kam dieser Stein überhaupt her? Er erinnerte sich einfach nicht mehr und das besorgte ihn nur noch mehr. Die Frage war nun, was hatte der Spion alles gesehen? Seine Experimente, Kiras Übungen? Die wichtigsten Sachen erledigte er aus Prinzip im Keller, aber die Experimente zu den Bezirken hatte er hier abgehalten. Und mit Kira übte er sowieso hier. Verdammt, was, wenn es noch mehr Spione gab? Hoffentlich reichten Kiras Fähigkeiten auch für diese. Aber dann würde sie  auch die Spiegel sehen. Und außerdem, wenn er jetzt mit ihr ganz offensichtlich das Haus absuchte und dabei vielleicht mit ihr sprach, würde die Person, die diesen Spion platziert hatte, möglicherweise noch mehr über Kiras Talent erfahren. Sie zu schützen war wichtig! Im Labor gab es Schutzzauber, natürlich, die Zauber von außen ebenso behindern sollten wie Zauber von innen daran hinderten, nach draußen zu gelangen. Diese Schutzwälle waren ein Standard bei magischen Laboren – zu oft hatten Magier versehentlich ihre Nachbarn getötet, weil ein Zauber herumsprang. Wenn er Glück hatte, war dieser Stein also gar nicht in der Lage gewesen, Gespräche aus diesem Raum nach draußen zu übertragen. „Ich werde etwas probieren.“, sagte er entschlossen. „Setz dich dort auf deinen Stuhl und behalte die magische Sicht aktiv. Du kannst zusehen. Ich werde versuchen, ob ich den Tarnzauber brechen kann.“ Kira nickte und setze sich. Mitras nahm den Stein, legte ihn in die Mitte des Zirkels und holte einige Utensilien aus dem Regal. Zunächst malte er sehr sorgfälltig mit Silberkreide einige weitere nötige Symbole hinzu. Als weitere Foki benötigte er drei, nein besser vier Goldwachskerzen. Gerade Symmetrien waren für diesen Zauber wichtig. Nebenbei erklärte er Kira, was er tat und was das für Materialien waren. Die Kreide war genau das, Kreide mit Silberstaub durchsetzt. Die Kerzen allerdings hatten keine Spur Gold in sich. Ihre Farbe erhielten sie von einer magischen Bienenart und sie verstärkten Magie. Ohne sie wäre er gar nicht in der Lage diesen Zauber zu wirken, aber so wurde er genug verstärkt. Er ergänzte den Aufbau um zwei Kraftfoki, einfache Magiespeicher, die man für Rituale vorbereiten konnte. Er hatte viele davon, da er früher viel mit ihnen experimentiert hatte. Leider war es nicht möglich die Energie eines Fokuses auf das Elektrum zu übertragen, aber jetzt gaben sie für ihn nützliche Batterien ab, mit denen er das Wirken beschleunigen konnte.

Als er alles zusammen hatte, begann er den Zauber. Die Formel war lang und kompliziert. 10 Verse, jeder mit anderen Gesten unterlegt. Er brauchte fast fünf Minuten für die Durchführung, dann begann die Magie zu wirken und es gab einen lauten Knall, als wenn ein schwerer Hammer auf den Stein gekracht wäre. Aber nachdem der dabei entstandene Rauch abgezogen war, war der Stein noch völlig intakt. Mitras erholte sich kurz und betrachtete ihn. Nun konnte er den Zauber klar erkennen. Es war ein Hellsichtzauber, in der Tat. Er wirkte ein paar Analysezauber, was ihn aufgrund ihrer Komplexität so sehr anstrengte, dass ihm der Schweiß die Stirn herunter lief. Zu seiner Erleichterung bestätigte sich seine Hoffnung. Es war ein Zauber, der über einen längeren Zeitraum aufnahm, aber er konnte nicht auf das vom Stein gesehene zugreifen, ohne den richtigen magischen Schlüssel zu kennen. Aber immerhin wusste er nun, dass auch die Gegenseite nicht an diesen Stein herankommen würde. Wer auch immer die Gegenseite war. Wer schaffte es diesen Stein bis in sein Labor zu bringen? Hatte er ihn vielleicht selbst hier her gebracht? Eigentlich war er sehr widerstandsfähig, aber wie sonst sollte der Stein hier herein gekommen sein? Es half nichts weiter zu grübeln. Er legte den Stein wieder in den Kreis und begann mit dem nächsten Zauber. Die Kerzen flammten kurz auf, brannten binnen kürzester Zeit auf ein Drittel ihrer Größe herunter und nach einem lautlosen Lichtblitz hörte der Stein auf zu existieren. „Das, Kira, hat nun nicht nur den Stein, sondern auch den Zauber darauf vernichtet. Es war die sicherste Methode alle gestohlenen Erkenntnisse, die hier gesammelt wurden, auszulöschen. Du hast mir gerade wieder einmal sehr geholfen. Aber ich fürchte wir müssen nun erst einmal das Haus durchsuchen. Ich kann das Risiko nicht eingehen, dass das nicht der einzige Spion war.“ Kira nickte. Mitras schaute sie einen Moment lang an. In diesem Raum war die Schutzwand, und wer auch immer versucht hatte, ihn auszuspionieren, hatte das vorher gewusst. Was aber, wenn in den anderen Räumen Gegenstände lagen, die direkt übertrugen? Und wie konnte er die Spiegel vor ihr verbergen? Er könnte die Spiegel deaktivieren, aber dafür brauchte er Zeit… „Ich befürchte, dass außerhalb dieses Labors Gegenstände sein könnten, die nicht nur aufzeichnen. Es wäre verdächtig, wenn du sie gezielt entdeckst. Darum schlage ich vor, dass du nun einmal durch die Küche, das Esszimmer und den Salon läufst und aufmerksam schaust. Merke dir, was du siehst, und berichte mir später davon. Dann kann ich entfernen, was dort vielleicht platziert wurde, ohne dass wir Aufmerksamkeit auf dein Talent ziehen.“ Kira nickte folgsam, stand auf und begann, langsam nocheinmal das Labor abzusuchen. Als sie fertig war, ging sie die Treppe herunter. Mitras ging, sobald sie durch die Tür im Salon verschwunden war, in sein Zimmer. Es würde ihn einiges an Magie kosten, die Spiegel später wieder zu aktivieren, aber angesichts dessen, was er darüber schon gesehen hatte, sollten sie doch besser sein Geheimnis bleiben…

Als Kira etwa eine dreiviertel Stunde später wieder im Labor vor ihm stand, konnte man ihr die Anstrengung deutlich ansehen. Sie setzte sich auf den Boden. „Uff. Einen Zauber so lange zu halten ist gar nicht so einfach. Ich habe einen weiteren Gegenstand gefunden, der dasselbe Wabenmuster zeigt – eine Vase unten im Schrank des Salons, dort, wo auch die anderen Vasen stehen.“ Mitras atmete erleichert auf. Der Schrank stand ziemlich in der Ecke und war recht dickwandig. Wenn er Glück hatte, hatte die Vase dort zwar gestanden, aber nichts hören können von dem, was am Tisch gesprochen worden war. Und vom Wintergarten, in dem Kira den Oleander so fulminant verzaubert hatte, war es auf jeden Fall weit genug weg! „Wie sieht sie aus?“ Kira beschrieb ihm die Vase und Mitras klingelte Abigail herein. Nach einer kurzen Erklärung einigten sie sich darauf, dass Abigail die Vase herausnehmen würde, einige Blumen hineinstellen würde und dann damit zum Gesindehaus gehen würde. Und – ganz aus Versehen – würde sie sie dabei fallen lassen. Dann konnte sie sie in den Kamin des Gesindehauses werfen. Mitras würde den Kamin später magisch reinigen und so jeglichen Zauber, der eventuell verblieben war, vernichten. Er beschloß, selbst einen Abhorchzauber auf eine andere Vase zu wirken zu lassen, um zu testen, wie gut man aus dem Schrank heraus Gespräche belauschen konnte und hoffte, damit seine Unruhe und Sorge etwas schmälern zu können. Stefania würde ihm sicher behilflich sein können. Da Kira sich immer wieder die Augen rieb, bot er ihr eine Pause an, was sie dankbar annahm, und während Abby die Vase heraus brachte, setzen die beiden sich einen Moment in den Wintergarten und tranken einen Tee. Anschließend bat er sie, nun auch die restlichen Räume zu durchsuchen. Sie fand zu seiner Beruhigung nichts.

Als sie im Keller vor der Geheimtür standen, hielt Kira allerdings inne. Sie schaute auf die Wand. Mitras schmunzelte. Er hätte sie sowieso gebeten, das Labor im Keller ebenfalls abzusuchen. „Nun, siehst du etwas?“, fragte er sie. Sie schaute ihn an und er hatte den Eindruck, sie sei ein wenig verlegen. Dann deutete sie zielgenau auf den magischen Schlüsselstein. „Da ist etwas. Aber es ist kein Wabenmuster.“ Mitras nickte und öffnete erst mit einem magischen Stoß das Schloss, dann entriegelte er den mechanischen Teil der Tür. Zu seiner Enttäuschung reagierte Kira nicht so überrascht, wie er erhofft hatte, aber nun, sie hatte ja auch den Schlüsselstein schon gesehen. Er führte sie in das Labor und war sehr erleichtert, dass sie auch dort keine weiteren Spione fand. Sie deaktivierte den Zauber und er nutzte die Gelegenheit, ihr das Labor und die Testgeneratoren zu zeigen. Anschließend aßen sie mit den anderen zu Abend, und natürlich rätselten sie alle, woher die beiden Spione stammten. Abby erinnerte sich, dass die Vase mit einem großen Gesteck anlässlich Mitras Geburtstag zusammen ins Haus gekommen war, aber sie wusste nicht mehr, wer es geschickt hatte. Vom Stein wusste niemand etwas. Mitras versuchte, Kira zur Erholung vom Laden zu befreien, aber sie bestand darauf, ihm helfen zu dürfen, und so beschloßen sie den Tag gemeinsam. Mitras spürte deutlich, dass sie stolz darauf war, ihm helfen zu können, es lag in ihrem Magiefluß, der außerdem keine Anzeichen der Erschöpfung anzeigte, die er nach der Suche deutlich bei ihr bemerkt hatte. Sie hatte Recht – das Laden, dass ihn über die Monate so ausgezehrt hatte, machte ihr kaum Schwierigkeiten, wohingegen das Aufrechterhalten des Sichtzaubers im Haus sie deutlich mehr mitgenommen hatte. Er musste wirklich dringend mit Nathanael reden, um diesem Mysterium auf die Spur kommen zu können. Warum überhaupt konnte Kira anscheinend alle Magieformen so gut, aber ausgerecht Verwandlungsmagie nicht? Diese hatte bei der Sondierung doch die stärksten Werte gezeigt. Lag es nur am Trauma? Zu welchen Höhen in der Verwandlungsmagie würde sie wohl in der Lage sein, wenn sie das Trauma überwand? Wenn Verwandlung wirklich ihr stärkstes Gebiet war, war dort einiges zu erwarten. Andererseits erschien es Mitras mittlerweise genauso möglich, dass die Sondierung sich geirrt haben könnte. Das allerdings war dann nur zu seinem Vorteil, anders hätte er sie wohl kaum als Schülerin bekommen, aber auch über die Zuverlässigkeit der Sondierung würde er mit Nathanael sprechen  – außerdem würde er ihm auch von den Spionen erzählen. Ob Titus etwas über die Spione wusste? Er würde sowieso auch mit Stefania reden müssen, denn alleine konnte er die Vase nicht verzaubern. So sehr er Kira vertraute – eine Expertin der Hellsicht war sie nicht. Am besten ließ er Stefania noch einmal die Räume durchsuchen, jetzt, wo die Spiegel sowieso ausgeschaltet waren. Bei der Gelegenheit konnte er sie dann auch gleich fragen, ob sie sich vorstellen könnte, Kiras Hellsichtfähigkeiten weiter zu schulen. Solche Fähigkeiten, das wusste er, führten selten dazu, dass man viele Freunde gewann, und er wünschte sich für Kira, dass sie ihre Schulzeit unbeschwert erleben konnte, also musste eine Hellsichtausbildung unbedingt im Geheimen erfolgen. Und auch, wenn nichts dieser Pläne seine Sorgen und seinen Ärger über die Spionageversuche mindern konnte, so merkte er doch, dass es ihm gut tat, Zukunftspläne dieser Art zu schmieden und sich um seine wunderbare neue Freundin, die ihm gerade an diesem Tag wieder bewiesen hatte, wie wertvoll sie sein konnte, zu kümmern.