Nachdem er das Frühstück beendet hatte, war er schlafen gegangen, doch heute war ihm keine Ruhe vergönnt. Gegen elf Uhr wurde er von William geweckt. Er hatte Besuch, Magister Grimaldus di Scuti, der verantwortliche Magier für die Auswertung und Nutzbarmachung des Elektrums der Generalität, war gekommen, um ihn zu sprechen. So etwas geschah normalerweise mit Ankündigung, umgekehrt war es nun auch schon vier Tage her, dass er seinen Brief an die Generalität abgeschickt hatte. Er legte seinen besten Anzug an und dachte auch an das nötige Ornat. Das wichtigste Stück war jedoch das königliche Siegel, dass er dank Nathanaels Wirken tragen durfte. Es gab ihm keine wirkliche Macht, zeichnete ihn aber als Günstling des Königs aus und war ein unsagbar gutes Druckmittel gegenüber allen Beamten, egal welcher Institution. Es wurde für besondere Verdienste gegenüber der Krone verliehen und öffnete so manche Tür. Gleichzeitig war es auch der einzige Orden, der Zivilisten verliehen wurde.
Er traf di Scuti im Saal, wo dieser in einer der Ecken auf einem Sessel saß und gerade eine Tasse Tee, die William serviert hatte, trank. „Ich grüße Sie, Magister di Scuti. Ich nehme an, Sie wollen mit mir über die neueste Entdeckung bezüglich des Elektrums sprechen?“, begrüßte Mitras ihn höflich. „In der Tat, Magister. Ihr Bericht war höchst alamierend und ich hoffe doch sehr, dass Sie bereits an einer Lösung arbeiten?“ erwiderte dieser kühl, den Namen dabei missachtend weglassend. Mitras setzte sich ihm gegenüber hin, gerade als William mit einer Tasse für ihn eintrat. Er ignorierte die versteckte Beleidigung der unvollständigen Anrede, nahm die Tasse entgegen, dankte William und entließ ihn mit einem Nicken. „Tatsächlich ist das Problem deutlich komplexer als gedacht. Eine Versuchsreihe hat gezeigt, dass Zauber, die nur auf einen Bereich oder gar einen Punkt im Material gewirkt werden anfangen zu, nun ja, zu wandern. Wird die Verzauberung jedoch auf das ganze Objekt gewirkt, so ist der Zauber stabil. Die Formung der Elektrumwaffen ist also nicht betroffen und auch ihre Feuerschwerter sind nicht gefährdet.“ Mitras trank einen Schluck und fuhr fort: „Was die partielle Verzauberung angeht, da kann ich Ihnen bisher nur sagen, dass die Bewegung diskret erfolgt.“ „Mir ist egal, ob sie sich versteckt oder sonstwie unauffällig verhält.“, blaffte di Scuti dazwischen. „Entschuldigen Sie, wenn ich mich nicht klar ausgedrückt habe, ich meine mathematisch diskret. Die Bewegung ist sprunghaft direkt, nicht fließend. Der Zauber springt quasi von Punkt zu Punkt. Das Material hat eine innere Kristallstruktur, wie sie bei Metallen so noch nicht beobachtet wurde. Die Struktur ist aber nicht gleichmäßig über den gesamten Objektkörper ausgedehnt. Vielmehr unterteilt sie sich in kleine Bezirke und der jeweilige Zauber springt von Bezirk zu Bezirk. Ich habe allerdings noch nicht herausgefunden, nach welchem Muster dies geschieht.“, erläuterte Mitras in einem leicht belehrenden, herablassenden Tonfall. Di Scuti zischte: „Nun, wie dem auch sei. Derzeit sind Sie der einzige, der an diesem Material Grundlagenforschung betreibt. Da Ihr Patent ja eine weitere Erforschung durch uns ausschließt, hat die Generalität die Schule der Verwandlung ersucht, sich ebenfalls an der Untersuchung zu beteiligen, natürlich unter Wahrung des Patentsgeheimnisses und im Austausch mit Ihnen. Professor di Hedera stimmt natürlich zu. Nur leider hat er zwar über die Gilde streng kontrollierten Zugriff auf ihre Ergebnisse, nicht jedoch auf das Material selbst. Die Generalität fordert Sie hiermit auf, der Schule eine viertel Tonne zur Unterstützung der dortigen Forschung zur Verfügung zu stellen.“ Mitras musste sich beherrschen, sich den Schreck über die große Forderung nicht anmerken zu lassen, doch es schien ihm zu gelingen, denn di Scuti fuhr etwas aggressiver, vermutlich enttäuscht von der mangelnden Reaktion, fort: „Unentgeldlich versteht sich, die Forschung wird ja auch Ihnen zugute kommen. Und natürlich muss diese Lieferung bald erfolgen. Diese neue Entdeckung stellt doch ein beträchtliches Risiko dar. Alternativ könnten Sie natürlich uns auch ein Herstellungspatent erteilen, dann versorgen wir die Schule und Sie erhalten regelmäßige Tantiemen, je erzeugten Kilogramm Material natürlich. Ich denke unter unseren Partnern wird sich jemand finden, der mit dem Patent verantwortungsvoll umgeht und die nötigen Mittel hat, größere Mengen schnell zu erzeugen.“
Die Menge entsprach seiner halben Jahresproduktion, jedenfalls aus Sicht der Generalität und Mitras war schlagartig klar, was di Scuti zu erreichen hoffte. Er hatte bisher stets beteuert, dass er unter der Geheimhaltung seiner Methoden nicht mehr liefern könne. Der Vertrag verpflichtete ihn nun also zu genau dieser Menge, aufgeteilt in eine Lieferung von 250 Kilogramm je Halbjahr. Sollte er nun die Schule binnen einiger Wochen beliefern können, war klar, dass er zumindest mittlerweile mehr erzeugen konnte. Die Generalität würde sofort darauf bestehen, dass er mehr erzeugen solle. Alternativ würde er eine Lizenz an die Generalität abtreten müssen, die es dieser gestattete, selbstständig Elektrum zu erschaffen. Und letzteres war definitiv die schlechtere Variante, denn Mitras wusste genau, wer der Partner von di Scuti war. Er und Secus di Porrum waren seit langem beste Freunde und hinzu kam, dass die di Porrums die wichtigsten Waffenlieferanten der Generalität waren. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Vergrößerung seiner Produktionskapazitäten einzugestehen. Sollte er nicht liefern können, würde di Scuti das als neuen Hebel benutzen, um das Patent zu annullieren, da ja die Sicherheit des Reiches auf dem Spiel stand. Letztendlich würde das zwar scheitern, aber man würde ihn zwingen, die Lizenz an die Partner der Generalität zu geben und das konnte nur ein bestimmter Verwandlungsmagier mit eigener Waffenfertigung sein: „Wenn Sie die di Porrums meinen, so werde ich Ihnen schon allein um meiner eigenen Sicherheit und der aller Bürger Uldums keine Lizenz gewähren. Sie sollten wissen, dass ihr Freund Secus in der Gilde in Ungnade gefallen ist. Aufgrund seiner Unfähigkeit versteht sich. Die Gildenstatuten und das Gesetz verbieten es, einen einmal anerkannten Titel wieder abzunehmen, aber mehr als Magister wird er nicht mehr werden. Nein, diesem Stümper etwas so wichtiges zu überlassen, wäre eine Beleidigung ihrer Majestät. Der König hat mich nicht mit diesem Siegel belohnt, damit ich das Material nun solchen Diletanten zur Verfügung stelle.“ sagte Mitras und hob das Siegel, das an einer Spange an seiner linken Brust haftete, demonstrativ an. Er fuhr fort, ehe di Scuti ihn unterbrechen konnte: „Nein, ich werde die Schule selbst beliefern. Die Erzeugung einer so großen Menge ist natürlich zeitaufwändig und wird die Forschung für eine Weile zum Erliegen bringen, aber dafür wird das Ganze im Anschluss sicherlich beschleunigt werden. Ich bin sicher, dass mein alter Meister Thadeus nur die sorgfältigsten Forscher mit diesem Auftrag betreuen wird.“
Di Scuti war aschfahl geworden und musste sichtlich an sich halten, um ob solcher Beleidigungen nicht aufzuspringen. Sichtlich bemüht und mit knirschenden Zähnen antwortete er dann doch kontrolliert: „Gut, Sie haben das Mengenproblem also behoben? Oder wollen Sie mich nun ob der Menge, die der Generalität zusteht, verprellen? Das wäre Vertragsbruch und hätte entsprechende Konsequenzen.“ „Tatsächlich konnte ich meine Kapazitäten kürzlich vergrößern. Natürlich nur geringfügig. Diese Formel und die Fertigung unterliegen auch der Sicherheit des Reiches wegen strengster Geheimhaltung. Stellt euch vor, was die Teufelsanbeter im Süden damit machen würden. Was, wenn sie statt ihrer magischen Vulkanglaswaffen mit deutlich potenteren und widerstandsfähigeren Elektrumwaffen daherkämen, um ihre alten Länder von den Rasenna Erben zurück zu fordern? Oder wenn die Hexen der Klans das Geheimnis aufdecken. Ihr wisst, wozu sie fähig sind, oder?“ antwortete Mitras mit Nachdruck. „Aber die Versorgung der Schule wird mich über die Vertragserfüllung hinaus voll auslasten, wir können also erst im Sommer neu über die Liefermenge verhandeln. Wegen der Öffnung meiner Forschung werde ich sobald möglich Erzmagier di Hedera kontaktieren.“
Mitras setzte die mittlerweile leere Teetasse wieder ab und sagte: „Wenn das jetzt alles wäre, ich bin derzeit sehr beschäftigt, wie Sie sich ja sicher denken können. Oh, und richten Sie ihren Freund einen Gruß von mir aus. Die Duellregeln verlangen klar einen Ort und eine Zeit, das eine nach Wahl des Fordernden und das andere nach Wahl des Geforderten. Die Straße ist dafür sicher nicht der richtige Ort. Wir wollen uns doch wie zivilisierte Menschen verhalten, nicht wahr?“ Er stand auf und reichte di Scuti die Hand. Diesem blieb nichts anderes übrig, als ebenfalls aufzustehen und die Geste zu erwidern. Mitras hatte so genug Zeit für einen kleinen Verstärkungszauber. Er ergriff die Hand und packte zu, nicht so stark, dass er seinem Gegenüber die Hand brechen würde, aber der Gesichtsausdruck des anderen Magisters, der weder klein noch schwächlich war, befriedigte ihn doch für dieses unangenehme Gespräch. Die Militärs, zu denen nunmal auch di Scuti gehörte, blickten oft etwas verächtlich auf die Verwandlungsmagier herab. Waren diese in ihren Augen doch nur Ärzte, deren einziger Nutzen es war, die Kämpfer möglichst schnell wieder kampffähig zu bekommen. Keiner von ihnen erwartete einen kräftigen Händedruck von einem Forscher oder Heiler. Ohne seine Hand los zu lassen fuhr Mitras fort: „Ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag und ich versichere Ihnen noch einmal, dass die Zauber wie das Flammenschwert, das war doch Ihre Idee? … weiter funktionieren werden.“ Er schüttelte ihm noch einmal die Hand und ließ dann los, was seinem Gegenüber ein sichtlich erleichtertes Keuchen entlockte. Der vom Händedruck völlig überrumpelte di Scuti ließ sich von ihm ohne Widerworte zur Tür geleiten und verabschiedete sich immer noch leicht keuchend und sich die Hand haltend.
Kaum war die Tür zu und di Scuti außer Hörweite, fluchte Mitras lautstark. William kam sofort um die Ecke. „Ha, na bist ihn endlich los geworden? Hast ihm da drinnen ja ganz schön den Marsch geblasen.“ „Ja, habe ich, gewonnen hat trotzdem er. Mehr als Ehrenrettung war für mich nicht drin. Er hatte mich von Anfang an im Sack. Ich werde die Menge erhöhen müssen. Das ist zwar kein Problem, aber so ziemlich das Letzte, was ich wollte.“ erwiderte Mitras. “ Ja, aber sollte das nicht auch deine Einkünfte vergrößern? Und die Menge ist dann ja immer noch nicht groß, oder?“ fragte William. Mitras antwortete: „Sie werden auf eine Verdoppelung bestehen, was ihnen völlig neue Möglichkeiten in der Forschung bietet. Wenigstens sind bisher nur die Magier der Generalität daran beteiligt und von denen auch nur eine kleine Gruppe um di Scuti. Alles Elementarmagier. Nichts gegen die, aber das sind lausige Wissenschaftler und die, die sich dem Militär angeschlossen haben, sind noch schlechter. Auf dem Feld wissen die sicher zu glänzen, aber wir haben Frieden und da werden sie am wenigsten gebraucht. Desto schneller di Scuti an große Mengen Elektrum kommen kann und desto bessere Waffen er damit bauen kann, desto eher werden er und seine Bundesgenossen auf eine neue Expansion drängen.“ William guckte ein bisschen geknickt und sagte: „Ja, das hört sich wirklich schlecht an. Aber immerhin hast du noch bis Sommer Zeit und wenn Thadeus, der alte Hund, die Forschung nun mit unterstützt, kannst du dir ja sicher sein, dass er den militärischen Nutzen so gering wie nur möglich einstufen wird.“ „Ja, er wird jegliches noch so kleines Risiko ausgraben, um eine weitere Nutzung des Elektrums, egal auf welchem Gebiet zu unterdrücken oder zumindest strickt unter Limitierung setzen – und das schließt leider meine friedlichen Varianten mit ein. Nathanael wird sicher einiges davon einfangen können, aber grundsätzlich wird er mir eher mehr Steine in den Weg rollen, als mich zu unterstützen. Danke jedenfalls für den Tee, magst du mir bitte gleich noch eine zweite Tasse bringen? Ich werde gleich die Nachricht an Thadeus aufsetzen und mich für den Ingastag zur weiteren Besprechung ankündigen.“ William sah ihn mitfühlend an und sagte: „Nur ein Tee oder doch lieber mit Schuss?“ „Tee reicht“, sagte Mitras kurz auflachend, bevor sich seine Miene wieder verfinsterte und er nach oben ging.
Kira fand die Bibliothek leicht wieder. Der große Platz im Händlerviertel war eine gute Orientierungshilfe. Sie grüßte den Bibliothekar an der Ausgabe höflich, gab ihren Mantel an der Gaderobe ab und schlüpfte dann in den großen Saal. Beim letzten Mal hatte sie ja speziell ein Buch gesucht, diesmal nahm sie sich mehr Zeit und schaute sich die beiden Abteilungen mit Sachbüchern genauer an. In der Abteilung zur Magie fand sie einen interessanten Titel: „Von Hexen, Dämonen und der rechten Magie. Ein Streifzug durch internationale Magieanwendungen.“ Sie zog es heraus, ging zum Ende des Saales und entdeckte, dass es dort neben den Tischen auch gemütliche Sitzecken gab. Ein paar andere Frauen und Männer saßen dort schon, einige lasen alleine, andere flüsterten leise, gemeinsam über einen Text gebeugt. Kira schaute sich suchend um, aber der junge di Ferrus war nirgendwo zu sehen, also wählte sie sich einen kleinen, grau-grünen Sessel in einer Ecke des Saales, setzte sich hin und begann die Einleitung zu lesen:
Die Magie wird nicht überall auf die gleiche Weise verstanden und ausgeführt wie in unserem großartigen Reich Albion oder dem kultivierten Riga. In Rhorestadia hat sich eine der unseren ähnliche gildenmagische Tradition gebildet, die im Vergleich aber noch sehr rückständig ist. Darüber hinaus wissen wir von Skir und einigen Angshire sowohl in Rhorestadia als auch in der Republik Reave jenseits des Meeres, dass sie in Zirkeln von Hexen und Druiden die bei ihnen seltener auftretende magische Begabung zu formen wissen und sich dabei an die natürlichen Gesetze von Gäa halten, ohne eine rechte Wissenschaft zu betreiben. Unsere südlichen Nachbarn in Astelia haben sich hingegen seit Jahrhunderten der tiefgründigen Erforschung der Magie gewidmet. Die Magie ist ihnen zugleich auch Religion, und so sind die Voodoopriester in den Dschungeln mächtige Herrscher. Die Gier nach Macht hat hier aber über die Jahrhunderte ihren Preis gefordert: So unterscheiden die Priester nicht mehr zwischen Geistern und den Ausgeburten der Äthersphären, die wir Dämonen nennen, und kommunizieren mit beiden gleichermaßen. Es kommt sogar vor, dass sie den Weisungen der Dämonen Folge leisten und in ihrem Namen Schrecken und Terror selbst unter den eigenen Gefolgsleuten verbreiten. Könnte man dies in Einzelfällen noch verstehen, so erreichten uns mit der Ankunft der Angshire, die vor dem Reiche Zendri fliehen mussten, Geschichten von noch weitaus schrecklicherem Gräuel – anscheinend haben die Krieger dieser Lande eine Methode gefunden, mit den Toten nicht nur zu kommunizieren, sondern sie sogar wieder beleben zu können und zu scheußlichen Kriegswaffen zu formen. Dieses Werk soll nun über alle Formen der Magieanwendung einen so gut als möglichen Überblick geben, begonnen bei der kultivierten Erforschung über die Naturmagie der Hexen und Druiden, den Voodoopriestern des Südens, bis hin zu den Untaten wider der Natur der Zendri. Lesern schwachen Gemütes sei empfohlen, die letzten Kapitel auszulassen, da wir uns auch hier bemüht haben, wie im restlichen Buche, unsere Schilderungen durch allerlei lebhafte Zeichnungen ergänzen zu lassen, die in diesem Falle aber zumindest für zarte Frauenzimmer nicht empfohlen werden. Dem mutigen Herz jedoch möge es als Anregung dienen, den rechten Weg nicht zu verlieren und sich zu wappnen gegen das Böse, das uns stets bedroht.
„Madame Silva?“ Kira drehte den Kopf. Hinter ihr stand der junge Sebastian di Ferrus und lächelte sie erfreut an. Sie erwiderte sein Lächeln. „Baron di Ferrus. Welche Freude, Sie zu sehen!“, antwortete sie leise. Sebastian winkte ab. „Nichts Baron, ich bin nur Bibliothekar mit Leib und Seele. Mein alter Herr ist der Baron von Mutters Gnaden und bleibt es hoffentlich noch lange.“ Er schaute sich das Buch an, in dem sie gelesen hatte und nickte wissend. „Das habe ich auch gelesen. Die Zeichnungen sind reißerisch, aber es ist gut recherchiert. Sie haben einen guten Geschmack.“ Kira spürte, wie sie ein wenig rot wurde. „Danke.“ Einen Moment lang schwiegen sie, dann beugte sich Sebastian vor und fragte sie leise: „Wären Sie vielleicht bereit, mich zu einer Tasse Tee in einem Cafe zu begleiten? Ich habe gleich Pause, und man könnte etwas lauter sprechen.“ Kira spürte, dass ihr Herz einen kleinen Sprung machte. War das eine Art Rendezvous? Doch sie verwarf den Gedanken gleich wieder. Der junge Mann war ihr sympathisch, eigentlich war sie ja hauptsächlich seinetwegen in die Bibliothek gekommen, und er hatte Recht, hier konnte man sich nicht gut unterhalten. Der Vorschlag war einfach nur praktisch. Sie stimmte also freundlich lächelnd zu und lies sich von ihm in ein nahe gelegendes Cafe führen.
„Ich freue mich sehr, mehr mit Ihnen reden zu können“, eröffnete Sebastian das Gespräch wieder. „Es kommt nicht jeden Tag vor, dass hübsche junge Magierinnen unsere Bibliothek beehren.“ Kira wurde feuerrot. „Es wird ja wohl einige hübsche Magierinnen an den Akademien geben, oder?“, wehrte sie ab. Sebastian grinste breit. „Aber die kenne ich ja schon!“ Kira musste lachen. „Also sind Sie eigentlich einfach nur neugierig auf die Neuen?“ Sebastian lachte ebenfalls. Er lehnte sich zurück und sagte: „Sie haben mich ertappt. Ich bin ungemein neugierig. Mein alter Herr ist so gnädig, mich in der Bibliothek arbeiten zu lassen. Stellen Sie sich vor, was für eine Klatschtante ich wäre, wenn ich diese ständige Neugierde nicht regelmäßig durch Bücher füttern könnte.“ Kira kicherte. Sie vermutete, dass Sebastian trotzdem eine Klatschtante war. „Haben Sie kein magisches Talent? Dann würden Sie doch auch zur Akademie gehen und müssten dort lernen, oder?“, fragte sie. Sebastian schüttelte den Kopf. „Nein, der Kelch ist an mir vorbei gegangen und hat meinen Bruder und meine kleine Schwester erwischt. Sie ist jetzt 16 und im ersten Schuljahr, und wenn ich sehe, wie viel sie arbeiten muss, bin ich ganz froh, nur Bücher herumzutragen und meinem Vater und meinem zweiten Bruder ab und zu bei den Geschäften zu helfen. So hat man viel mehr Zeit für die schönen Dinge im Leben.“ Kira betrachtete ihn interessiert. „Ich bin ja neu hier, welche schönen Dinge gibt es denn hier in Uldum?“ „Sie zum Beispiel“, erwiderte der junge Mann galant. „Und natürlich gibt es gute Feiern, viele gute Bücher und die Jagd. Ich reite sehr gerne und kann ganz passabel schießen. Können Sie reiten?“ Kira beschloß, das Kompliment zu ignorieren und nickte. Sein Leben klang unglaublich sorgenfrei und entspannt. Waren alle Kinder adeliger Familien so oder lag das daran, dass seine Familie ja vermutlich ziemlich reich war? „Ja, ich kann reiten. Allerdings habe ich noch nie auf einem Pferd gesessen, dass schneller als ein Zugpferd laufen konnte, insofern könnte es sein, dass meine Künste sich nicht ganz mit Ihren messen können.“ Wieder zeigte Sebastian ein breites, einnehmendes Grinsen. „Wenn sie es mal probieren wollen, lade ich Sie auf das Gestüt eines Freundes ein, sobald der Boden aufgetaut ist. Er züchtet ganz edle Rennpferde – schnell, aber von ruhigem Charakter.“ Kira wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Ob Mitras ihr soetwas erlauben würde? Sebastian führte noch einiges zu den Pferden aus und schloss dann: „Wo kommen Sie denn her?“ Kira spielte ein wenig scheu mit einer ihrer Locken. Ob er dachte, sie könnte aus dem Ausland kommen? Aus Skirgrad? Aber nein, dann würde sie ja nicht hier ausgebildet werden. Sie sollte wirklich aufhören, ständig darüber nachzudenken, was andere über ihr Aussehen und die Skir dachten, scholt sie sich selber. Das hatte sie doch gestern eigentlich schon gelernt. „Aus Burnias, aus einem kleinen Dorf names Bispar.“ Sebastian dachte einen Moment nach. „Uhm, Norden, irgendwo in den Mooren?“, fragte er. Sie nickte, etwas verblüfft über seine Kenntnis der Provinz. Andererseits könnte er auch einfach nur gut geraten haben. Der Großteil von Burnias war moorig gewesen, und ihr Großvater hatte noch dabei geholfen, einige der Moore trocken zu legen. Ehe die Bewohner der Provinz selbst vom Ackerbau leben konnten, hatten sie das Torf gestochen und verkauft, das wusste sie aus Erzählungen ihres Vaters über den Großvater. „Und nun sind Sie ganz bis nach Uldum gekommen? Wo sind Sie denn untergekommen?“ Kira dachte kurz nach. Ob es schlau war, ihm zu sagen, wer ihr Magister war? Andererseits hatte auch er von seinen Verhältnissen freimütig erzählt, also war sie etwas Ehrlichkeit schuldig. „Magister Mitras di Venaris hat mich aufgenommen. Ich bin seine Discipula.“ „Venaris!“ Sebastian grinste. „Die kenne ich. Also, nicht den Magister so richtig, aber die Familie. Mein alter Herr ist mit dem Herrn Venaris bekannt, ich würde sagen, sogar befreundet. Die beiden handeln oft zusammen und sie treffen sich bei uns öfters zu einer Partie Schach ‚um der guten alten Tage wegen‘, wie mein Vater sagt.“ Er ahmte dabei einen zittrigen Greis nach und schüttelte die Teetasse so sehr, dass ein wenig Tee über seine Hand schwappte und er sie leise fluchend absetzte, um die Hand an seinem Hemd zu trocknen. Kira lachte. Der junge di Ferrus war witzig. Sorglos und wild, weniger steif als sie es von einem Adeligen gedacht hatte. „Ich bin tatsächlich froh, bei ihm zu sein, ja. Er ist nett und fürsorglich und kümmert sich sorgfältig um meine Ausbildung“, sagte sie. Sebastian blickte sie an und verdrehte spielerisch die Augen. „Sagen Sie bloß jetzt nicht auch noch, er sähe gut aus, dann fühle ich mich ja gleich ganz unnütz hier.“ Kira grinste schalkhaft. „Aber er sieht gut aus!“ Sebastian griff sich gespielt ans Herz, was sie anspornte, noch weiter zu reden: „Seine Statur ist so männlich und seine eisblauen Augen funkeln wie die Sterne in einer klaren Nacht und …“ „Schon gut, schon gut!“ Übertrieben ächzend ließ sich Sebastian auf dem Stuhl nach hinten sinken. „Ich sehe, ich habe verloren. Da bin ich nun, ich junger Tor, und bin so einsam wie zuvor.“ Kira schaute ihn lächelnd an. Er war wirklich witzig. Wahrscheinlich war das das längste Gespräch mit einem gleichaltrigen Mann, das sie bisher geführt hatte, ohne sich dabei unwohl oder angegafft zu fühlen, und das, obwohl er ihr tatsächlich Avancen gemacht hatte! Sie hatte allerdings auch das Gefühl, dass Sebastian jede Frau ähnlich mit Komplimenten überhäufen würde. Er war so geübt darin, vermutlich war das einfach seine Art. Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis ihr Blick aus dem Fenster fiel und sie erschrak. „Meine Güte, es ist ja schon fast dunkel! Wie spät ist es denn?“ Sebastian fischte eine aufwendig verzierte Uhr aus der Tasche, die Kiras Vermutung über seinen Reichtum bestätigte und überhaupt nicht zu der schlichten Bibliotheksuniform passte. „Uhm, gleich halb sechs.“ „Ach herrjeh! Ich muss dringend los. Abby hat gesagt, ich solle nicht zu spät heimkommen.“ Sebastian nickte. „Wer auch immer Abby ist, sie hat Recht. Es ist nicht sicher für eine Dame allein zu später Stunde. Würden Sie gestatten, dass ich Sie nach Hause begleite, wenn ich Sie nun schon so lange vom Heimgehen abgehalten habe?“ Kira errötete nun doch wieder. „Das ist nicht nötig“, wehrte sie ab. „Ich bestehe darauf. Sie sind neu hier. Später mögen Sie wissen, wie man richtig reagiert, doch für’s erste lassen Sie mich wenigstens eine vertrauenswürdige Droschke auswählen.“ Kira wollte protestieren, doch er hatte sich abgewandt und winkte dem Kellner zu, damit dieser die Rechnung brachte. Sebastian beglich sie, ohne sie Kira zu zeigen. „Lord di Ferrus, wollen Sie mir nicht sagen, wie viel ich Ihnen schulde?“, fragte sie und versuchte, die Rechnung zu erhaschen. Sebastian zog sie ihr elegant weg und steckte sie in die Tasche. „Mylady, Sie schulden mir gar nichts, ich habe Sie eingeladen. Beleidigen Sie mich nicht. Und wären Sie so freundlich, meinen Vornamen zu nutzen?“ Er stand auf und bot ihr den Arm an. „Sebastian. Sonst nichts. Wir sind gleich alt und von gleichem Stand, und ich wäre sehr erfreut, wenn Sie sich diese kleine Vetraulichkeit erlauben würden. Ich fand unser Gespräch nämlich äußerst angenehm.“ Kira lief rot an und stand auf, ohne den angebotenen Arm anzunehmen. „Sebastian. Danke, Sebastian“, murmelte sie etwas scheu. „Ich bin Kira.“ Sebastian ließ den Arm sinken und blickte sie mit einer Mischung aus Hilflosigkeit, Faszination und Amüsiertheit an. „Das freut mich, Kira.“ Er begleitete sie zum Droschkenstand, wo Kira rasch Julius Droschke anhand des Pferdes ausmachte. „Sebastian, die Droschke werde ich nehmen. Ich bin schon heute morgen mit ihm gefahren, er wurde mir empfohlen.“ Sebastian nickte. „Dann werde ich Sie der fähigen Empfehlung überlassen. Ich hoffe, wir sehen uns wieder?“ Kira nickte etwas zögerlich. „Ja, das wäre schön. Ich komme bestimmt wieder in die Bibliothek. Mein Buch ist ja nun auch dort geblieben.“ „Ah, ja, die Bücher. Was habe ich für ein Glück, dass die guten Frauen von ihnen angezogen werden.“ Sebastian half ihr in die Kutsche, sprach noch kurz mit Julius, reichte ihm einige Münzen und verabschiedete sich dann mit einer Verbeugung.
Erwartungsgemäß weigerte Julius sich, Geld von ihr zu nehmen, als er sie vor der Haustür absetzte. „Lord di Ferrus hat mich großzügig bezahlt, Mylady.“ Kira dankte in Gedanken Sebastian und dann laut Julius, ehe sie aufs Haus zulief. Ihr war ein wenig mulmig. Es war in der Zwischenzeit dunkel, also bestimmt schon sechs. Hoffentlich war sie nicht zu spät. Abby hat ja keine konkrete Zeit genannt… Als sie das Haus betrat, riss William die Tür der Küche auf, schaute kurz in den Flur und rief dann hinter sich: „Du kannst aufhören, den Teppich kaputt zu laufen, sie ist hier.“ Die Tür des Esszimmers ging auf und Abby kam eilig auf sie zu. „Kira! Den Geistern sei Dank, dir ist nichts passiert! Ich hatte schon Sorge.“ Verlegen schaute Kira zu Boden. „Entschuldigt. Ich habe in der Bibliothek einfach die Zeit vergessen.“ Und außerdem bin ich es nicht gewohnt, dass man mich vermisst, fügte sie in Gedanken hinzu, schob diesen Gedanken aber rasch beseite. Er passte nicht zu diesem wundervollen und aufregenden Tag. William grinste durch die Küchentür. „Hab ich dir doch gesagt!“ „Sie hat keine Kinder, worüber soll sie sonst glucken?“, klang Tobeys Stimme vom Esszimmer her. William grinste noch breiter. „Das ist aber auch dein Job, nicht unserer! Vielleicht solltest du mal was gegen die Kinderlosigkeit tun!“, rief er zum Wohnzimmer hin. Abby holte aus und deutete eine Ohrfeige in seine Richtung an. „William! Untersteh dich! Glaub bloß nicht, ich hätte nicht gern Kinder gehabt.“ William duckte sich und floh lachend Richtung Küche. Kira gluckste leise. Abby, die zum Esszimmer zurück ging, sah tatsächlich etwas traurig aus, aber das ganze Chaos hatte sie auch davon abgelenkt, Kira zu viele Vorwürfe zu machen, und dafür war Kira William und Tobey dankbar.
„Die Bibliothek ist durchaus ein gefährlicher Ort“, sagte Mitras möglichst streng klingend, als er, angelockt von dem kleinen Tumult, die Treppe herunter kam. „Jedenfalls für schwer beschäftigte Menschen.“, fügte er lächelnd hinzu. Auch wenn er es unfair von William fand, Abby mit ihrer Kinderlosigkeit aufzuziehen, hatte das Geplänkel ihn doch amüsiert und seine Stimmung etwas gebessert. „Ich hoffe, Sie haben Ihren Nachmittag dort genießen können. Ich für meinen Teil habe dort schon allzu viele Stunden verbracht und so manches Mal die Zeit vergessen.“ Kira blickte ihn schuldbewusst an. „Keine Sorge, Sie sind spät, aber nicht zu spät. Bis zum Abendessen dauert es noch eine Weile und ich habe auch das Bedürfnis nach etwas Zerstreuung. Hätten Sie Lust auf eine weitere Partie Dame?“ Kira sah ihn kurz verblüfft an, dann nickte sie. „Heute scheint wohl mein Tag der Einladungen zu sein. Ich würde mich aber erst gern frisch machen, wenn das geht.“ Mitras zog eine Augenbraue hoch. „Aha, ist der erste Verehrer bei Ihnen vorstellig geworden?“, fragte er neckend. Kira lief sofort tiefrot an, er hatte also ins Schwarze getroffen. „Nein, ich bin nur auf einen Tee eingeladen worden. Kein Verehrer.“ „Soso.“ Amüsiert und etwas besorgt betrachtete Mitras sie. Es konnte natürlich Zufall sein, aber er musste vorsichtig sein. Immerhin konnten die di Porrums oder andere von ihr erfahren haben und sich bemühen, mithilfe eines galanten Jünglings an sie und somit an seine Geheimnisse zu gelangen. „Ich bin neugierig, wer war denn der spendable Herr?“ Immer noch tiefrot – sogar ihre Ohrenspitzen wurden rot, bemerkte er fasziniert- sagte sie: „Sebastian di Ferrus.“ Er atmete innerlich auf. Sebastian war zwar, nach allem was er gehört hatte, ein kleiner Schwerenöter, aber komplett harmlos und ein guter Junge. Jedenfalls ging von ihm keinerlei Gefahr aus. „Ah, Cornelius jüngster Sohn. Er müsste in Ihrem Alter sein, wenn ich mich recht erinnere. Sein Vater und meiner sind alte Geschäftsfreunde und für mich und seinen Bruder Marcus, den 2. Sohn der Familie, gilt das gleiche. Anständige Menschen sind das, die di Ferrus.“ Kira atmete hörbar erleichtert aus und ließ ihre angespannten Schultern sinken. Ihre Ohren nahmen wieder eine normale Farbe an. Interessant, realisierte Mitras, sie hat sich also Sorgen darüber gemacht, mit wem sie spricht. „Sie haben also einen ersten Freund gefunden, das freut mich. Aber seien sie weiterhin vorsichtig, mit wem sie sich einlassen.“ Kira nickte. „Gut, ich bin im Wintergarten und bereite das Spiel vor, bis gleich.“
Er ging und holte das Spiel aus dem Speisezimmer, wo Abby gerade mit dem Tisch beschäftigt war. Ihre Miene war immer noch leicht säuerlich, Tobey versteckte sich demonstrativ hinter einer Zeitung. Er kürzte durch die Küche ab und ermahnte William, dass er sich diesmal vielleicht doch bei Abigail entschuldigen sollte. Der Spaß war doch etwas zu weit gegangen. Dieser ließ schuldbewusst die Schultern hängen. „Tobey hat angefangen, aber ja, wahrscheinlich hast du recht. Ich warte einen ruhigen Moment ab.“ Mitras ging in den Saal und bog in den Wintergarten ab. Er hatte das Spiel gerade fertig aufgebaut, als Kira auf der anderen Seite den Raum betrat. „Sie kommen genau richtig, ich bin gerade fertig geworden.“ Er blickte auf und sah, dass sie das Kleid gewechselt hatte. Sie trug nun ein burgunderfarbenes Kleid mit goldenen Bordüren, dass zwar ihre Taille nicht betonte, weil es nicht geschnürt war, dafür aber einen Teil der Schultern frei ließ und ihre Oberweite hervorhob. Ihre Haare hatte sie locker nach oben gesteckt. Sie sah wie eine elegante, junge Dame aus, die zu einer entspannten Abendgesellschaft kam, nur der Schmuck fehlte. Wenig war noch von dem schüchternen Mädchen über, die vor etwa einer Woche hier das Haus betreten hatte. Er bewunderte ihre rasche Wandlung. Wie ein nicht geschliffener Stein, der nur das richtige Licht brauchte, um zu funkeln, dachte er. Mit einer flüssigen Armbewegung schob er ihr den Stuhl zurück, und sie setzte sich mit einem eleganten Kopfnicken als Dank. Mitras ließ sich ihr gegenüber auf die Bankreihe sinken und schob ihr das Spielbrett hin, um sie eröffnen zu lassen. Wenn wir sie noch etwas schleifen, dachte er, wird sie ein funkelnder, wundervoller Diamant.
Später am Abend saß Mitras allein in seinen Gemächern und sann mit einem Glas Wein über die letzten Entwicklungen nach. Kiras Erscheinen hatte zwar einiges durcheinander gewirbelt, stellte sich aber als Bereicherung für den Haushalt dar. Das Spiel mit ihr war genau die Ablenkung, die er gebraucht hatte und er bekam langsam das Gefühl, dass sie sich ihm gegenüber öffnete. Er hatte ihr ein bisschen über Sebastians Familie erzählt. Die di Ferrus waren eine der magischen Dynastien Albions und konnten ihre Linie bis ins alte Reich verfolgen. Für albionische Verhältnisse war ihre derzeitige Generation aber doch etwas auffallender. Nicht etwa Cornelius trug urprünglich den Titel des Barons, sondern seine Frau. Er selbst war bürgerlicher Herkunft und kannte wiederum Mitras Vater schon seit Ewigkeiten. Die beiden waren Geschäftspartner und enge Freunde. Sie hatten sich damals zu einer Kooperation zusammengeschlossen, um eine neue Edelsteinmine in Ferrus zu erschließen. Dabei hatte Cornelius es hinbekommen, sich unsterblich in die junge Baronin Felicia di Ferrus zu verlieben und noch außergewöhnlicher, sie erwiderte diese Gefühle auch noch. Sie war die letzte der Linie di Ferrus und hatte ihre Eltern schon früh an eine Seuche verloren. Mitras hatte sie immer bewundert. Sie hatte es nicht nur geschafft ihre Baronie zu halten, sie war auch zu einer sehr kompetenten Magierin geworden, eine durchweg starke Frau, die nun ihre Position und ihr Vermögen, dass ihr tüchtiger Mann stetig mehrte, einsetzte, um sich für die Rechte der Frauen im Reich einzusetzen. Mitras hatte diese Ungleichheit nie verstanden. In seinen Augen gab es, mal abgesehen von einigen physiologischen Merkmalen, keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Gerade Magierinnen wie Felicia zeigten doch, dass sie ihren männlichen Kollegen in nichts nachstanden und doch hatten gerade die Traditionalisten wie Thadeus nichts als Verachtung für sie übrig. Unter den Progressiven hingegen genoß sie einen außergewöhnlich guten Ruf. Sie war gut mit Nathanael befreundet und zählte ebenfalls zu Mitras Unterstützern, auch wenn sie als Elementarmagierin wenig Einfluß in der Gilde der Veränderung, Verwandlung und Heilung hatte. Aber genauso wie Nathanael genoß sie die Gunst des Königs und auch in der Generalität hörte man auf sie. War es doch ihr Eisen, dass die Armee bewaffnete.
Mittlerweile hatte sich die Anzahl der di Ferrus auch wieder vergrößert. Vier Kinder hatten die beiden bekommen, der Älteste war älter als Mitras und wie seine Mutter Elementarmagier. Sohn Nummer zwei, Marcus, kam ganz nach dem Vater und würde dessen Handelshaus und die Verwaltung der Baronie übernehmen, wenn ihr Vater sich zur Ruhe setzte. Er war genauso alt wie Mitras und die beiden verstanden sich prächtig. Sebastian und seine junge Schwester Stella kannte Mitras hingegen kaum trotz der Tatsache, dass sie auch der Schule der Verwandlung angehörte. Wäre sie zwei oder drei Jahre jünger, hätte Nathanael es sicher so gedreht, dass sie seine erste Discipula geworden wäre. Aber so war er noch nicht mal Magister gewesen, als ihr Talent entdeckt worden war. Und mit Kira hatte er es nun auch nicht schechter getroffen.
Als seine Gedanken wieder auf seine Schülerin zurück kamen, beschloß er noch einmal nach ihr zu sehen und ging zum Spiegel. Leicht benebelt vom Wein wischte er den Gedanken beiseite, dass dieser Eingriff in ihre Privatsphäre unangemessen sei. Er wollte ja nur sicher gehen, dass sie nicht wieder bis tief in die Nacht lernte, sagte er sich selbst. Tatsächlich lag sie aber schon im Bett und schlief tief und fest. Ihr Gesicht war zum Spiegel gewandt und völlig entspannt. Eine Woge der Zuneigung stieg in ihm auf, väterlicher Stolz, dachte er sich. Geistesabwesend betrachtete er sie eine Weile und dachte so vor sich hin, dass es ihm gar nicht so recht war, wenn ein Frauenheld wie Sebastian sich an seine Kira heranmachte, sei er auch noch so ein guter Kerl. Sie sah einfach zu hübsch aus… Der Gedanke, jemand könnte ihr zu nahe kommen, sie verletzen, versetzte ihm einen scharfen Stich.
Von diesem kurzen Gefühl hochgeschreckt, sammelte Mitras sich wieder und deaktivierte den Spiegel. Sebastian hatte einen gewissen Ruf weg, aber er war wirklich kein schlechter Mensch. Er wusste das Wort nein richtig aufzufassen und soweit Mitras wusste, gab es bisher nie Beschwerden über ihn. Und was Kira anging, so hatte er ihr im Zuge des Spiels auch erklärt, dass sie vorsichtig mit allzu freundlichen Menschen sein musste, da seine Feinde sicher früher oder später versuchen würden, über sie an ihn heran zu kommen. Sie war nicht dumm und hatte seine Sorgen sofort verstanden. Vielleicht war er auch einfach nur zu empfindlich. Ja, sie war seine erste Schülerin und ja, seine Lage war außergewöhnlich, aber deswegen musste er ja nicht ihre Kontakte einschränken. Er sollte nicht so paranoid sein, dachte er sich.
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