Verzweiflung – 26. – 28. Lunet

Am nächsten Tag war Mitras früh auf den Beinen. Der Gedanke daran, was Kira für eine rücksichtslose Rabenmutter hatte, ließ ihn nicht los. Das eigene Kind wegen der Haarfarbe zu verstoßen war schon schlimm genug, es aber in solch einer Situation nicht zu unterstützen, war unverzeilch. Es wäre besser für sie, wenn er sie niemals zu fassen bekommen würde. Und was diesen Johann anging, da konnte er sich nur mit Mühe beherrschen nicht gleich in den nächsten Zug zu steigen um in den Norden zu fahren und ihn ob seiner Vergehen Kira – und sicher auch vielen anderen Mädchen gegenüber – zu einem Duell zu fordern. Da dieser Bastard aus einer Adelsfamilie, sicher irgendeiner der dortigen Barone, stammte, wäre es bei dem bloßen Verdacht sein gutes Recht gewesen. Und das Duell wäre lang gewesen. Kaum einer konnte Mitras mit dem Rapier das Wasser reichen und so ein Landpöbel würde sicher nicht in der Lage sein gegen ihn anzukommen. Und William, dem er von dem Vorfall berichtet hatte, wäre sicherlich ebenfalls mit von der Partie. Es hätte nicht viel gefehlt und er wäre auch direkt in den nächsten Zug gestiegen, aber Mitras hatte ihn zurückgehalten und ihm auch den Schwur abgenommen, die Geschichte für sich zu behalten. Es war letztendlich Kiras Entscheidung, wer davon wusste. Fast kam Mitras sich schon etwas schäbig dabei vor, es überhaupt an William weitergetragen zu haben, aber er hatte sich in seiner Wut darüber erst spät Gedanken gemacht. Früher oder später würde er sie in den Norden begleiten und ihr zu ihrer Rache verhelfen. Wobei ein richtiger Prozess mit einem Schuldspruch am Ende ihr wahrscheinlich mehr helfen würde.

Mitras riss sich aus diesen finsteren Gedanken. Im Moment würde er Kira am besten helfen, wenn er ihr erst einmal ein bisschen Ruhe gönnen und ihr dann mit den Telekinesezaubern ein Erfolgserlebnis verschaffen würde. Sollte das aber auch scheitern, würde sie dringend Hilfe brauchen. Mitras war zwar ein brauchbarer Heiler, auch wenn ihn die Heilkunst nicht wirklich interessierte, aber seelische Leiden vermochte er nicht zu heilen. Es gab einige Magier der Hellsichtschule, die sich auch aufs heilen verstanden, aber Hellsicht- und Verwandlungsbegabungen vertrugen sich nicht gut, so dass diese Magier äußerst selten waren. Ein Priester würde ihr wohl eher helfen können. Mitras sollte sich wohl schon einmal umhören, welche von ihnen sich auf derartige Leiden verstanden. Aber gut, Kira hatte jetzt erstmal Ruhe und er viel zu viel zu tun. Um die Schule beliefern zu können, hatte er seine gesamten Vorräte verbraucht. Er hatte noch einen Monat, um die Ladung für die Generalität fertig zu bekommen, aber dank Kiras Hilfe konnte er nun auch wieder deutlich mehr produzieren. Und den Generator würde er die nächsten zwei Abende auch allein geladen bekommen. Er hatte vor dem Regenerationszauber auch schon andere Vitalisierungszauber versucht, aber nie mit der Menge an Energie, die Kira ihm gegeben hatte. Dazu wäre für ihn allein ein mindestens zweistündiges Ritual nötig und das hätte er nicht mehr durchgehalten. Nun aber strotzte er wieder vor Energie. Das Elektrum würde er schnell fertig bekommen und genug Überschuss produzieren, um seine Forschungen schnell wieder aufnehmen zu können.

Kira kam nicht zum Frühstück, aber das war schon in Ordnung. Nach dem Schrecken gestern musste sie sich ja ein bisschen ausschlafen. Er bat Abigail darum ihr später etwas hoch zu bringen und ging in den Keller um mit der Fertigung zu beginnen. Heute würde er seine Reste verarbeiten und dann Morgen, am Schengstag, die ersten Rohstoffe für die nächste Ladung vorbereiten. Ihm fiel ein, dass er und William sich dann am Abend auch wieder mit Titus treffen wollten. Er war gespannt darauf zu erfahren, was dieser herausgefunden hatte. Es war Zeit gegen die di Porrums vorzugehen, zu lange schon war diese Bedrohung aus seinem Fokus gerückt.

Die zwei Tage vergingen wie im Flug. Es tat ihm ein bisschen leid, dass er keine Zeit hatte noch einmal nach Kira zu sehen, aber das würde er morgen am Silenz nachholen. Heute hatte er sie noch gar nicht gesehen, aber er hatte das Haus auch schon früh verlassen und war zum Abendessen bei seinen Eltern geblieben. Nun musste er sich schon ein bisschen beeilen, um William noch rechtzeitig zu erreichen. Nach der unerfreulichen Szene mit dem Dockarbeiter hatte Titus sie zu sich nach Hause eingeladen. Er wollte ganz klar vermeiden, dass die Leute aus dem Hafenviertel ihn noch einmal mit einem Adligen​​​​​​ sahen. Er lebte in zwei Welten und gehörte doch zu keiner so richtig dazu. Aber gerade diese Außenseiterrolle ermöglichte es ihm, seine teils schon sehr zwielichtigen Geschäfte zu tätigen. Titus folgte dabei allerdings einem gewissen Kodex und würde nie die Schädigung von Unschuldigen in Kauf nehmen. Er hatte sich vielmehr darauf spezialisiert, denen zu ihrem Recht zu verhelfen, die dies selbst nicht konnten und die Aufträge von Mitras und einigen anderen Wohlhabenden sorgten dafür, dass er sich das auch leisten konnte, ohne sofort mit dem Gesetz aneinander zu geraten. In der Folge war er bei den Ärmeren recht beliebt und wurde von den Reichen als nützlich erachtet, jedenfalls von denen, die seinen eigenen Moralvorstellungen genügten.

Titus wohnte im etwas jüngeren Teil der östlichen Altstadt in einem der dortigen Händlerhäuser. Mitras hatte keine Ahnung, wie er es geschafft hatte an das Haus zu kommen, da die dort ansässigen Händlerfamilien diese alten Häuser als Statussymbol erachteten. Sie lebten innerhalb der alten Mauern, auch wenn es nur die zweite, neuere Mauer im Norden war und sie die erste Stadtmauer vom alten Palast trennte. Ähnlich wie die alten Adelshäuser, waren auch diese alten Händlerfamilien ein Anachronismus. Sie existierten ob des alten Reichtums und wurden nach und nach von den großen Händlern, wie zum Beispiel seinem Vater, verdrängt. 

Mitras erreichte das Haus zur gleichen Zeit wie William. „Na, da komm ich ja genau richtig. Wie war es bei deinen Eltern?“ „Gut, danke der Nachfrage und ist zu Hause alles in Ordnung?“ „Kira ist wieder nicht zum Abendessen herunter gekommen, ich mach mir Sorgen um sie.“ „Nun, wir wissen jetzt, dass sie schlimmes durch gemacht hat. Und der Zauberversuch hat sie genau in diese Situation wieder rein geworfen. Gib ihr etwas Zeit, sie soll sich erstmal davon erholen und braucht sicher Zeit für sich. Abby hat ja ein Auge auf sie.“ „Ha, na ja, …“ William wurde von einem Zuruf unterbrochen. „He, ihr beiden, wollt ihr hier nur vor meinem Haus rumlungern oder kommt ihr auch rein?“ Während Mitras noch mit William diskutiert hatte, war Titus aus dem Haus gekommen. Anscheinend hatte er sie gehört, wie sie so auf der Straße standen. „Guten Abend Titus. Entschuldige, William und ich hatten noch kurz etwas aus dem Haushalt zu klären. Ich bin schon den ganzen Tag unterwegs. Aber gut, wir sollten wirklich reinkommen.“ Titus lachte kurz auf, bis er die Mienen der beiden Männer im Lichtschein sah. „Gab es Probleme?“ Mitras sah ihn mit einem gezwungenen Lächeln an und antwortete: „Keine aktuellen. Nein, bei uns zu Hause ist alles gut. Aber ich brauche eventuell deine Hilfe in einer weiteren Angelegenheit.“ „Nun gut, aber kommt erstmal rein. Bei einem kleinen Schluck, lässt sich das alles leichter klären. Und meine Herren, den Schluck werden wir auch brauchen.“, fügte Titus mit einem Unheil verkündenden Unterton hinzu und geleitete sie hinein.

„Kindchen, du musst etwas essen.“ Abby schob sich durch die Tür ins Zimmer und blickte Kira vorwurfsvoll an. Kira schreckte hoch und warf eines der Bücher von der Tischkante. Verdammt. Sie war eingeschlafen. Schon wieder. Ihr rechter Arm tat weh, weil die Tischkante ungünstig gedrückt hatte. Sie blickte Abby an, die mit einer Mischung aus Sorge und Wut vor ihr stand, schon das dritte Mal am heutigen Tag. „Ja, Abby, ich werd was essen. Vielleicht eine Scheibe Brot?“ „Pff!“ Abby kam zum Tisch und schob noch zwei weitere Bücher zu Seite, was ein drittes abstürzen lies. Kira fing es eben in der Luft und fauchte:“ Pass doch auf! Das gehört Magister Mitras!“ Abby lies sich davon allerdings nicht beeindrucken. Sie setzte, nein, knallte, einen Teller auf den Tisch, auf dem belegte Brote und etwas Obst lagen. „Nicht eine. Du hast noch gar nichts gegessen seit gestern abend. Drei!“ Seufzend griff Kira nach einer Brotscheibe und linste dabei schon wieder auf den Zauber, den sie sich gerade versuchte einzuprägen. Lockere Hand. Wellenförmige… Abby wedelete mit der Hand vor ihrem Gesicht. „Kira? Nordgeist an Kira?“ Verärgert blickte Kira auf. „Was?“ Abby stemmte die Arme in die Seiten. „Du musst auch mal schlafen, Kindchen. Du hast schon Ringe unter den Augen. Das Buch ist morgen auch noch da.“ „Ja, aber wer weiß, ob ich es noch bin.“ Kira spürte, wie die Verzweiflung wieder in ihr hochstieg. Mitras hatte sie nicht weggeschickt, aber wenn sie nochmal versagte, würde er das sicherlich. Abby murmelte etwas, das sie nicht verstand. Sie schob den Teller mit den Broten etwas zur Seite, hob das heruntergefallende Buch auf und legte es auf den Tisch, ehe sie ging. Heute morgen hatten sie bereits eine ähnliche Diskusssion geführt, als Abby sie das erste Mal schlafend am Tisch gefunden hatte. Abby schien überhaupt nicht zu verstehen, wie ernst die Lage gerade war. Sie war hier, um zaubern zu lernen. Wenn sie nicht zaubern konnte, weil sie sich nicht davon lösen konnte, wie die Hände ihren Rock hochschoben und wie die Schreie von Johann hinter ihr her grellten, dann wäre sie nutzlos. Dann müsste sie nach Hause zurück. Und da wartete wahrscheinlich Johanns Vater nur darauf, ihr endgültig den Hals umzudrehen, so wie sie seinem Sohn den Arm verdreht hatte. Immerhin war er der Baron von Hagen. Sie musste zaubern können. Sie legte das Brot beseite, nahm sich das Buch und begann, wieder die Bewegungen des Schwebezaubers zu üben, an dem sie gesessen hatte, ehe sie eingedöst war.

Titus führte sie in ein kleines Wohnzimmer. Kaum, dass sie den Raum betreten hatten, sprang eine Frau auf mit schwarzen Haaren, die schon mit silbernen Fäden durchzogen waren, vom Sofa auf und fiel William um den Hals. „William! Es ist so lange her, schön dich endlich mal wieder zu sehen.“ Sie ließ ihn wieder los, ging etwas auf Abstand und fügte leicht vorwurfsvoll hinzu, „Du kannst dich ruhig mal öfter sehen lassen. Das letzte Mal ist ja schon ewig her“. Nun erst erkannte Mitras Stefania, Williams Schwester. „Ha, äh, ja, aber die Arbeit. Ich hab ja kaum Zeit für irgendwas.“ stammelte ihr Bruder verlegen. Mitras wunderte sich, war William nicht erst letztens weg gewesen, um sie zu besuchen? Er würde ihn später zur Rede stellen, jetzt war aber nicht der richtige Zeitpunkt für eine Szene. Mitras selbst war Stefania in den letzten Jahren nur ein paar Mal begegnet, als Kind aber deutlich häufiger. Sie war gut zehn Jahre älter als William und hatte ihn eine Zeit lang allein groß gezogen, als die beiden bei Verwandten in Albion untergekommen waren. Mitras wusste nicht mehr, warum sie ihre Eltern damals verlassen mussten, aber was der Grund auch war, so hatte er wenigstens die Chance gehabt William kennen zu lernen. Warum er sie aber nun mied, sollte er wohl besser bald mal herausfinden, jedenfalls wollte er nun nicht als Sündenbock herhalten und sagte: „Aber William, du weißt doch, ein Wort und du hast einen Tag frei.“ „Äh ja aber…“ „Nichts aber, wir klären das später in Ruhe. Werte Stefania, sollte ich dir in irgendeiner Weise deinen Bruder vorenthalten haben, so tut es mir leid.“ „So die Herren mögt ihr nun bitte Platz nehmen?“ Titus saß bereits am Tisch und blickte etwas finster drein. Schlagartig wurde Mitras ernst, was auch immer vorgefallen war, es musste sich um etwas Größeres handeln, um den immer fröhlich wirkenden Titus so auf die Laune zu schlagen. Mitras setzte sich ihm gegenüber und eröfnete das Gespräch: „Sie sehen nicht glücklich aus, also muss etwas schief gelaufen sein, oder Sie haben andere wahrhaft schlechte Nachrichten.“ „Ich habe gar keine Nachrichten. Jeglicher Versuch die Manufaktur oder einen anderen Geschäftsbereich der di Porrums zu infiltrieren ist gescheitert. Ich habe sogar einen Mann verloren, einen sehr guten und einen Freund.“ „Das tut mir leid zu hören, wirklich. Hatte er Familie?“ „Hatte er.“ Presste Titus zwischen den Zähnen hervor. Mitras griff sofort in seine Tasche und sammelte ein paar Münzen zusammen. Er schob zehn Goldmünzen über den Tisch, ein kleines Vermögen. „Ich möchte dass die Witwe dieses Geld bekommt, richtet ihr mein aufrichtiges Beileid aus und sagt ihr, dass Geld keine Wunden heilen kann, ich aber auf keinen Fall will, dass aus meinem Auftrag heraus auch noch ihre Existenz und die Zukunft ihrer Kinder zerstört wird.“ Titus entspannte sich wieder ein bisschen. „Eine noble Geste Lord di Venaris, wir hätten uns auch so um die Familie gekümmert, aber ich weiß das hier sehr wohl zu schätzen.“ „Der Verlust ihres Freundes tut mir leid Titus, aber warum auf einmal diese Probleme? Es war schon immer schwer etwas aus den Geschäften der di Porrums zu erfahren, aber Sie konnten bisher doch immer zumindest Boten bestechen oder auch mal einen Buchhalter aushorchen. Was hat sich geändert?“ „Ich fürchte, es ist den di Porrums gelungen, mehr magische Unterstützung zu erlangen. Ein Vertrauter geht davon aus, dass sie einen guten Hellsichtmagier beschäftigen oder zumindest mit ihm zusammen arbeiten. Es wird sich dabei wohl mindestens um einen Magister handeln.“ Mitras fluchte ausgiebig. Wenn dieser Magier ihre Verteidigung schon so verstärkte, wie sehr konnte er sie dann im Angriff unterstützen. Er musste sich dahingehend unbedingt mit Nathanael beraten. Er selbst kannte keine Hellsichtmagier näher. Schon die Spiegel ohne größere Nachfragen zu bekommen war ein schwieriges und teures Unterfangen gewesen. „Nun das ist ein Problem, aber sagt Titus, Sie kennen nicht zufällig einen Hellsichtmagier, der mich bei der Verteidigung gegen diese neue Bedrohung unterstützen kann oder?“ „Nun, ich müsste erst Rücksprache mit meiner Quelle halten und ich bin mir auch noch nicht sicher, ob ich das will. Dieser Auftrag ist deutlich gefährlicher, als ich dachte.“ „Das verstehe ich. Mir geht es auch ausschließlich um die Defensive. Die di Porrums werden diesen Magier sicher auch offensiv einsetzen und ich brauche Schutz. Ich bin bereit sehr großzügig und diskret zu sein.“ „Das glaube ich Ihnen, ich werde es vorschlagen und dann sehen wie die Reaktion ausfällt.“ Mitras merkte, dass Titus alles versuchte, um ja keine Hinweise auf seinen Kontakt durchsickern zu lassen. Wer es auch war, die Person musste ihm wichtig sein. „Gut, ziehen sie ihre Leute so weit wie nötig zurück. Ich brauche weiter jede nur erdenkliche Information, aber sie sollen kein unnötiges Risiko eingehen. Ich verdopple den vereinbarten Preis, um das Risiko auszugleichen.“ Titus sah ihn erstaunt an und blickte kurz zu Stefania. Anscheinend war er so viel Entgegenkommen von seinen adeligen Kunden nicht gewohnt.

Mitras lehnte sich zurück. Die neue Bedrohung war besorgniserregend. Aber deswegen war er heute nicht hier. Er musste mehr über diesen Bastard Johann herausfinden. Kira hatte nur gesagt, dass er adelig war, aber nicht zu welchem Haus er gehörte. Offensichtlich war er nicht magisch, sonst hätte er sich wehren können. Aber das hieß nicht, dass es in seiner Familie keine Magier gab. Und selbst wenn sie zu den nichtmagischen Adelslinien zählte, war nicht klar wie groß ihr Einfluss war. Es konnte sehr wohl sein, dass Johann oder sein Vater in diesem Moment ihre Rache an Kira planten. Außerdem war dieser Johann ganz offensichtlich ein Schwein. Kira war sicher nicht sein erstes Opfer und wohl auch nicht sein letztes, auch wenn ihn die Verletzung wohl erstmal zur Ruhe bringen sollte. Aber darauf konnte und wollte Mitras sich nicht verlassen. Er wollte diesem Mistkerl das Handwerk legen. Aber dazu musste er erst mehr über diesen neuen Feind wissen.

„Gut, das Ganze ist eine besorgniserregende Entwicklung, aber heute bin ich eigentlich gar nicht wegen der di Porrums hier. Ich habe einen neuen Auftrag, weniger gefährlich, dafür mit mehr Reiseaufwand verbunden oder eben Hellsicht, wenn Ihr Kontakt dazu bereit ist. Es geht um meine Schülerin. Ihr ist Schreckliches wiederfahren und darüber muss ich mehr wissen, da es sowohl für mich, aber insbesondere für sie eine Gefahr darstellen könnte. Bei dem was ich nun wiedergebe, bitte ich alle Anwesenden um absolute Diskretion.“ Alle nickten. Mitras fuhr fort: „Das Erwachen von Magiern geschieht nicht immer ruhig und bei Kira war es besonders turbulent. Öffentlich heißt es, dass sie betrunken einen jungen Herren angegriffen hat. Tatsächlich hat sie sich aber gewehrt. Sie ist nur knapp und nur dank ihrer Fähigkeiten einer Vergewaltigung entgangen.“ William knurrte wütend: „Und ich bin immer noch der Meinung, dass wir keine Zeit verlieren sollten und sofort selbst nach Norden fahren sollten um den Kerl aufzuknöpfen!“ Stefania griff seinen Arm und drückte ihn. „Lass ihn ausreden.“ Mitras atmete langsam aus und fuhr fort: „Der Grund, warum ich diesen Johann noch nicht habe herschleifen lassen, um ihn vor Gericht zu stellen ist der, dass er adelig ist und ich nicht weiß, wie adelig. Kira konnte mir nur berichten, dass er von höherer Geburt ist und das kann alles heißen, vom Neffen eines Herzogs bis zum Bastard eines verarmten Barons. Ich muss also wissen um wen es sich handelt und wie ich an ihn heran kommen kann.“ Mitras hofte, dass, wenn er diesen Johann zur Strecke bringen würde, es Kiras Blockade lösen könnte. Das wollte er Titus gegenüber aber nicht unbedingt erwähnen. Informationen waren schließlich Geld wert. „Also Titus, ich habe nur den Namen Johann. Er ist adelig und aus der Gegend um Bispar. Er ist ungefähr 19 Jahre alt und hat gerade eine umfassende magische Behandlung seiner schwer verletzten Arme bekommen. Ich muss wissen, um wen genau es sich handelt und wie seine Verbindungen aussehen. Offiziell ist Kira der Aggressor in dieser Geschichte und nur die Entdeckung ihrer Fähigkeiten hat sie vor einem Schauprozess und einem Schuldspruch gerettet. Ich will, dass ihr Ruf wieder hergestellt wird und dass dieser elende Bastard nie wieder einer Frau leid zufügt.“ „Ihr wollt also einen Adeligen dingfest machen, der sich gern an kleinen Mädchen vergreift? Das gefällt mir. Betrachtet die Sache als erledigt, ich bringe Ihnen alle nötigen Informationen, um ihn anzuzeigen und fertig zu machen. Die Anhebung des Solds in der anderen Sache ist mehr als genug, das hier ist als Bonus mit drin. Als Zeichen, dass wir ihre Großzügigkeit zu schätzen wissen. Und weil mir die Sache zusagt.“ Stefania beugte sich lächelnd vor. „Ja, das habe ich mir gedacht. Mitras, ich kenne dich schon lange, und es zeigt sich mal wieder, dass du dein Herz immer noch am richtigen Fleck hast. Bring Kira hier zu mir, oder etwas, dass sie aus Bispar mitgebracht hat und dass ihr wichtig ist, dann werden wir rasch mehr wissen.“ Mitras blickte sie verblüfft an. „Zu dir?“ Titus schien leicht verzweifelt zu sein und schüttelte den Kopf, sagte aber nichts. William grinste. „Mitras, da sie es selbst sagt, darf ich dir meine Schwester Stefania vorstellen? Seherin der Inuk, also Hellsichtmagierin vom Rang einer Erzmagierin, wir ihr in der Gildenmagie sagen würdet.“ Mitras hatte das Gefühl, ihm würde kurz der Boden unter den Füßen weggezogen werden. Stefania war Titus Quelle! Kein Wunder, dass er sie so schützte. Er räusperte sich. „Oh.“ Und nachdem er sich gesammelt hatte, fügte er hinzu: „Das ist mir eine Ehre, Stefania. Ihr hütet eure Geheimnisse gut.“ Stefania lächelte. Plötzlich verstand Mitras, warum er bei ihr immer das Gefühl gehabt hatte, keine Aura sehen zu können, obwohl selbst nichtmagische normalerweise eine Gefühlsaura hatten. Sie hatte sie vermutlich verborgen. Die Inuk, das fahrende Volk, hatten eigene Pfade und Wege, ihre magischen Kinder auszubilden, und Hellsicht kam bei Ihnen tatsächlich öfter vor als die anderen Magiearten. Das erklärte auch, warum William oft nur gesagt hatte, seine Schwester sei „weg“ und er „allein zu Hause“. Vermutlich war sie zu einem Lehrmeister oder einer Lehrmeisterin gereist. „Du brauchst jetzt nicht förmlich zu werden, Mitras. Ich hab dir sogar mal den Po abgewischt, auch wenn du dich daran vermutlich nicht mehr erinnern kannst.“ Das konnte er in der Tat nicht und war auch dankbar dafür. „In Ordnung. Gut, ja, etwas von Kira oder sie selbst sollte ich wohl herbringen können. Oder du besuchst uns am Mafuristag oder so und lässt dich von deinem Bruder bekochen.“ William wollte protestieren, wurde jedoch von Stefania unterbrochen. „Eine hervorragende Idee, kleiner Bruder, nicht wahr? Dann kannst du mir auch sagen, warum erst dein Arbeitgeber ein Geschäft mit uns haben muss, damit du wieder auftauchst.“ William schien nicht geneigt zu sein, auf diese Frage eine Antwort geben zu wollen. „Du bist doch die Magierin.“ grummelte er. „William!“ Ihr Lachen war ansteckend und freundlich. „Ich schaue nicht in deinen Kopf, selbst wenn ich es könnte.“ Sie blickte wieder zu Mitras. „Also ist es abgemacht. Ich komme herum, sobald es passt.“ Mitras nickte. Er spürte, wie die Gespräche ihn ermüdeten. Messerangriffe, Vergewaltigungen und verletzte Frauen gab es in diesem Land eindeutig zu viele. Eine Weile sprachen die vier noch über einige Tagesthemen der Hauptstadt und über die Pläne der Generalität, mit dem Elektrum einen neuen Eroberungszug starten zu können, und Mitras spürte, wie mutlos er dabei wurde. Schließlich verabschiedete er sich und ging stumm mit William nach Hause. Dieser schien seinen Gedanken ebenso nachzuhängen, und so verabschiedeten sie sich kurz, als sie im Haus waren, und Mitras ging rasch schlafen. Morgen würde er mit Kira reden, ihr ein paar Bücher zur Telekinese empfehlen und schauen, was er sich von ihr wohl für den Hellsichtzauber leihen konnte. Und dann würde er zumindest gegen einen dieser deprimierenden Zustände etwas tun können. Auch mit William würde er bald reden müssen. Was war vorgefallen, dass er Treffen mit seiner Schwester vortäuschte, sie selbst aber mied. Er würde sicher Gründe dafür haben, aber Mitras spürte ein leichtes Stechen bei dem Gedanken, dass sein ältester Freund Geheimnisse vor ihm hatte und ihn und seine Schwester sogar anlog. Konnte er ihm wirklich noch trauen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

* Bitte akzeptiere unsere Datenschutzbestimmungen.