Am nächsten Mirastag gelang Kira endlich, die Kugel anzuheben und so gezielt im Kreis schweben zu lassen, dass sie dabei weder Mitras noch etwas anderes im Labor traf. Sie hielt sogar die gleiche Höhe! Mitras lächelte sie an und lobte: „Sehr gut! Offenbar lernst du auch die Praxis schnell.“ Darauf lief Kira allerdings rot an und fand sich peinlich berührt auf ihrem Stuhl wieder, innerlich ein wenig darüber verzweifelnd, dass sie ihren Herzschlag so wenig unter Kontrolle hatte. Mitras nahm sie mit in seine Bibliothek und gab ihr einige Bücher mit verschiedenen kleinen (und großen, wie er betonte) Telekinesezauber, mit dem Auftrag, die kleineren und leichteren davon selbst zu üben – allerdings verbunden mit einer kleinen Kritik, trotz ihrer Bemühungen hatte er bemerkt, dass sie viel zu aufgeregt war. Sie dankte den Geistern, dass man Stress, Aufregung, Erregung und Liebe in der Aurafarbe nicht richtig auseinanderhalten konnte. Mitras wies sie an, neben den Zauberbewegungen auch Meditation zu üben. Dafür erteilte er ihr auch die Erlaubnis, das Labor ohne ihn betreten zu dürfen, und Kira spürte, wie sie vor Freude und Stolz nahezu glühte. Nicht mal mehr Mathematik erschien ihr jetzt als eine Bedrohung, da die Übungen mit Abby, die sie meistens am Silenz machten, ebenfalls langsam besser wurden. „Land in Sicht!“, hatte Abby es genannt. Sie bedankte sich bei Mitras, nahm das Buch und zog sich glücklich summend auf das kleine Sofa zurück, das zwischen den Buchreihen der Bibliothek unter dem Fenster zum Garten stand. Dort war es gemütlicher als in ihrem Zimmer am Schreibtisch zu lesen, aber man schlief auch nicht so schnell ein wie im Bett. Besonders, wenn sie nebenbei noch keine Notizen machte, sondern sich erstmal nur einlas, hatte sie diesen Platz zu ihrem Lieblingsplatz auserkoren.
So langsam stellte sich wieder etwas Normalität im Haus ein. Kiras Versuche wurden immer besser, nur das Fokusieren klappte noch nicht so. Er wirkte nun immer vorsorglich einen großflächigen Neutralisierungszauber auf den Bereich außerhalb des Zirkels, um das spontane Abheben von Gegenständen zu verhindern. Zunächst wollte er nicht weiter darauf eingehen, dass Kiras Zauber viel zu mächtig waren. Es ging ihm nun erst einmal darum, dass sie Kontrolle und Sicherheit lernte. Er grübelte die ganze Zeit darüber nach, wie er das Überschussproblem lösen konnte.
Am Mirastag kam ihm dann eine Idee. Kira hatte es gerade geschafft, eine Kugel kontrolliert fliegen zu lassen, ohne das sie dabei etwas anstieß oder er aus dem Weg springen musste. Es war also Zeit für weitere Zauber, doch anstatt ihr den nächsten Anfängerzauber vorzugeben, wollte er ihr nun etwas schwereres auftragen. In der Bibliothek lagen schon Bücher bereit. Er bat sie also mitzukommen, wobei ihm, die Magiesicht immer noch aktiv, auffiel, dass ihre Aura stark aufgewühlt und tiefrot mit grünen Schlieren war. Ihre Aura hatte insgesamt an Leuchtkraft gewonnen, seidem sie regelmäßig kanalisierte und auch aktiv zauberte, doch so farbkraftig sah sie selten aus. Der Erfolg war ihr also anscheinend sehr wichtig, gut so. Wenn sie mit Herz und Seele dabei war, konnte es nur besser werden. Dennoch musste sie ruhiger werden. In der Bibliothek angekommen, lief er noch einmal zu einem der hinteren Regale und fischte ein kleines Büchlein heraus. „Mir ist eben deine Aura aufgefallen, du wirkst ziemlich aufgewühlt. Und auch wenn dir der Zauber trotzdem gelungen ist, solltest du daran arbeiten ausgeglichener ans Werk zu gehen. Dieses kleine Buch hier kann dir dabei helfen. Es ist eine Meditationsanleitung. Ich möchte, dass du es dir ansiehst und die Übungen daraus verinnerlichst. Du musst sie nicht alle können. Such dir die aus, die für dich am besten funktionieren.“ Er gab ihr das Buch und ging zu dem Arbeitstisch, auf dem bereits ein kleiner Stapel lag. Er griff sich ein Buch mit schwerem Ledereinband heraus. Das Basiswerk der Bewegung. Eigentlich war es für Schüler in der Vorbereitung, insbesondere wenn sie keine Telekinetiker waren, zu schwer. Aber er wollte sehen, wie sie sich damit schlug. „Hier, arbeite die ersten fünf Kapitel durch und such dir ein paar Zauber aus, die du ausprobieren willst. Die meisten sind recht einfache Grundlagenzauber, da sind aber auch schwerere dazwischen. Die Bewegungsabläufe sind in der Telekinese aufwändiger, als bei uns. Zum üben darfst du gerne ins Labor gehen. Wenn du dir mit den Abläufen sicher genug bist, kannst du mich dazu rufen. Dann kannst du den Zauber auch testen.“ Kira strahlte ihn an und nahm sich beide Bücher. Sie tanzte mehr als das sie ging, ihr lockiger Zopf hüpfte mit den Schritten über ihren Rücken und sie fing an, eine ihm unbekannte Melodie zu summen, während sie quer auf das kleine Sofa setze, um zu lesen. Es war schon sehr süß, wie sie sich so quietschvergnügt an die Arbeit machte. Vom Stolz auf seine Schülerin erfüllt ging er zurück zum Schreibtisch im Labor, um seine eigene Arbeit fortzusetzen. Titus hatte ihm geschrieben, anscheinend hatte er mit dem Namen was anfangen können. Das Haus di Lohnas war ein nichtmagisches kleines Adelsgeschlecht. Aufgrund von Verdiensten im Krieg hatte Johanns Urgroßvater Land in Burnias bekommen und dort die Baronie Lohwingen gegründet. Ein Siedlerort wie Bispar, aber etwas größer. Johann war der fünfte Sohn des aktuellen Barons und ohne der Beihilfe einer Seuche oder ähnlichem hatte er keinerlei Aussicht auf irgendeine Form von Erbe. Bestenfalls lebte er auf der Tasche seines Vaters und später auf der seines älteren Bruders. Er war ein schon fast zu leichtes Ziel, aber Mitras wollte abwarten, was Titus Leute vor Ort noch weiter ausgraben konnten. Der Bursche rechnete aber sicher nicht damit, dass ein Graf seine Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hatte. Der Schlag würde ihn vollkommen unvorbereitet und wehrlos treffen. Mitras lächelte grimmig in sich hinein. Geschah ihm Recht.
Schreibe einen Kommentar