Im Laufe des Mafuristags normalisierte sich das Leben im Haus langsam wieder. Oder vielmehr hatte Mitras sich mittlerweile soweit beruhigt, dass er die anderen nicht mehr alle halbe Stunde durcheinander wirbelte. Kira war am Mirastag regelrecht zu Christobal geflohen, nachdem Mitras Emotionen bei ihrer Meditationsstunde auch sie störte, einfach weil er sich so wenig unter Kontrolle hatte, dass er unbewusst leichte magische Wellen aussandte, die Kira wiederum komplett durcheinander brachten. Wenigstens hatte er sich in anderer Hinsicht wieder etwas abgekühlt. Er zog Kira nicht mehr regelmäßig in Gedanken aus, und auch seine Träume waren wieder ruhiger geworden. Allerdings hatte ihr Wunsch ihn auch überrascht. Während er nun auf dem Weg zu Nathanael war, konnte er zum ersten Mal wirklich darüber nachdenken. Die Frage war, interessierte sie sich auch für ihn, oder war es einfach nun doch erwachtes jugendliches Interesse an Intimität? Letzteres käme ihm entgegen. Sie waren mittlerweile Freunde geworden, auch wenn ihr Verhältnis durch seine Mentorenschaft immer noch ein gewisses Gefälle hatte. Und wenn sie sich einfach ausprobieren wollte, dann war er mehr als nur bereit, ihr dabei zu helfen. Er wusste, dass es auf dem Land deutlich prüder zuging als in der Hauptstadt, hier aber war es durchaus üblich erste Erfahrungen mit Vertrauten zu sammeln. Hier heiratete man aber in der Regel auch nicht schon mit 14. Auf der anderen Seite heirateten nur die wenigsten reichen Händlerskinder und erst recht keine Adligen aus Liebe. Da war es ganz gut, wenn man sich vorher ein bisschen austoben konnte. Aber Mitras musste aufpassen, zusammen Spaß zu haben und ihr die körperlichen Freuden beibringen war in Ordnung. Aber außerhalb ihres Haushalts mussten sie der unnötig abgelenkte Lehrer und die nur geduldete Schülerin sein. Er hatte natürlich auch die Verpflichtung sie gesellschaftlich auszubilden, was ihnen erlaubte auch mal auszugehen, ohne dass die Fassade gleich fiel. Aber an mehr als Erkunden war sie vermutlich eh nicht interessiert, also sollte das mit der Fassade beiden gut gelingen. Ja, sie hatte einen richtigen Kuss gewollt. Und weil er sie so überraschend geküsst hatte, hatte sie sich getraut ihn zu fragen. Garantiert nur, weil sie sich bei Sebastian eben nicht traute. Sie hielt sich immer noch für eine unansehnliche Skir. Aber nichts lag ferner, also außer, dass sie deutlich nach Skir aussah, was ihr aber neben dem guten Aussehen zu allem Überfluss nur noch eine exotische Note gab. Wahrscheinlich hatte er ihr jetzt mit diesem Kuss mehr Selbstbewusstsein gegeben und wenn es nicht Sebastian war, mit dem sie die nächsten Schritte ging, dann sicher einer der anderen gebildeten jungen Adligen. Aber das war vielleicht auch gar nicht verkehrt. Warum nur löste der Gedanken so eine seltsame Traurigkeit aus?
Gut, Mitras würde sie nicht bedrängen, sollte sie doch noch Interesse an weiteren Erkundungen mit ihm äußern, würde er ihr klare Regeln machen und sich dann voll Freude in ein weiteres Lehrfeld stürzen. Und wenn nicht, dann war es eigentlich auch nicht schlecht, versicherte er sich selbst, nur dass er dann mit seinem eigenen Verlangen leben musste. Aber wenigstens brachte er sie dann nicht in Gefahr. Er sollte sich nun auch wieder auf das wirklich wichtige konzentrieren. Er musste mit Nathanael die nächsen Schritte durchgehen. Er brauchte dringstens eine zweite Meinung, eine mit mehr Abstand als es ihm gerade möglich war. Der Generator lief ruhig, vom Klopfen mal abgesehen, und das seit fast drei Tagen. Drei! Heute Abend würde wohl die nächste teure Flasche Wein Teil des Abendessens werden. Aber das er heute Morgen noch lief hatte nach all der Aufregung dann doch eher zur Beruhigung beigetragen. Beim Mittagessen hatte sich langsam auch bei den anderen vorsichtiger Optimismus gezeigt. Um 13 Uhr hatte es ihn dann nicht mehr gehalten. Er hatte sich einen Eilboten geholt und zu Nathanael geschickt, mit der Aufforderung um sofortige Rückmeldung. Um den Boten machte Mitras sich dabei keine Sorgen, bei dem Trinkgeld würde er Morgen eh nicht mehr wissen, was heute überhaupt passiert war. Nathanael hatte zum Glück Zeit, oder er hatte sich zumindest Zeit genommen. Und nun, gerade einmal eineinhalb Stunden später war Mitras fast da.
Ein Butler ließ ihn ein und brachte ihn in das Turmzimmer, in dem Nathanael ihn bereits erwartete. „Mitras, ist alles in Ordnung? Der Bote und die kryptische Botschaft hat mich doch beunruhigt.“ Nathanael war sichtlich besorgt. „Es ist alles in Ordnung, nein, es ist mehr als in Ordnung! Setz dich mein Freund, ich habe gute Nachrichten.“ Die nächste halbe Stunde berichtete Mitras ihm alles, ließ dabei lediglich die beiden Küsse aus. „Also Nathanael, der Generator läuft nun fast 22 Stunden länger als jemals zuvor. Bei meiner letzten Sondierung waren die beiden Verzauberungen stabil und hatten das erwartete Energielevel. Es scheint also nicht so zu sein, dass das Elektrum Magie wie Eisen ableitet. Wobei ich sagen muss, dass der Gedanke mir erst kam, als der Generator schon lief. Aber die Angst war wohl unbegründet. Kannst du dir das vorstellen? Zwei Jahre forsche ich nun schon an den magischen Eigenschaften des Elektrums und wie ich es langfristig verzaubere und ich denke nicht einmal daran, stattdessen das umgebene Material zu verzaubern. Zumindest nicht bis meine vorwitzige, wie geniale Schülerin einen Zirkuszauber für sich entdeckt und dann auch gleich die richtige Idee hat. Würde ich nicht jedes Gramm brauchen, würde ich ihr Gewicht in Elektrum aufwiegen! Wobei nein, das wäre dann doch zu viel Geld für sie.“ Mitras lachte, als er sich an ihr Gesicht erinnerte, als er ihr das Konto überschrieben hatte. Nathanael riss ihn aus seinen Gedanken. „Mitras, ich finde zwar, dass es für Freudenfeste noch zu früh ist, aber mich hinzuzuziehen war definitiv das Richtige, da verzeihe ich dir auch, dass du mich von diesen Stapel wichtiger Dokumente für die Planung des Convent weggezogen hast.“ Mit einem ironischen Lächeln deutete er durch die offene Tür auf einen Stapel Akten auf seinem Schreibtisch im Nebenraum. „Also gut, mal angenommen der Generator läuft nun die vollen zwei Wochen, was dann? Wie sehen deine Pläne für eine größere Produktion aus?“ Mitras erkannte, dass sein alter Meister genau die richtige Frage gestellt hatte und damit auch genau die, über die Mitras bis jetzt noch gar nicht nachgedacht hatte. Das ewige Forschen nach einer Lösung hatte ihn so eingenommen, dass er darüber noch gar nicht nachgedacht hatte. „Ich, äh…“ Mitras brach ab und resignierte. „Ich weiß es nicht. Ich bin noch keine Sekunde dazu gekommen mir über das Danach Gedanken zu machen. Ich war so von den Forschungen eingenommen, und wahrscheinlich habe ich auch gar nicht mehr mit einem Erfolg gerechnet. Aber du hast bestimmt schon wieder drei Schritte weiter gedacht, alter Stratege.“ „Als erstes wirst du ein Patent fertigmachen und beantragen. Sobald das durch ist, musst du das Königshaus als ersten Käufer gewinnen, das wird nicht so schwer, birgt aber auch das Risiko, dass etwas schief läuft und du damit komplett vom Markt fliegst. Den König zu überzeugen wird nicht schwer, aber kostspielig. Aber sobald du das Schlossgelände eine Weile ausfallsfrei versorgt hast, wird er klare Empfehlungen aussprechen. Sobald das passiert ist, wirst du dich nicht mehr vor Kunden retten können. Die Frage ist, kannst du genug Elektrum produzieren, um so viele Anfragen zu bewältigen?“ „Mit den nötigen Sicherheitsvorkehrungen, ja. Die Verzauberung ist der kleinste Teil der Arbeit. Viel aufwändiger ist die Vorbereitung der Materialien. Ich werde dafür ein Werk benötigen. Ich denke, dass ich mich sowohl wegen der Rohstoffe, als auch wegen des Werks an die Familie di Ferrus wenden werde. Ich vertraue ihnen und beziehe die meisten Waren eh schon von ihnen. Und ich bin lang nicht so verschwenderisch, wie es manchmal erscheint. Ich habe Reserven angelegt und ich kann, mit Kiras Hilfe, meine Produktion verdoppeln und so immer noch Elektrum verkaufen. Im besten Fall kann ich die Absprache mit dem König vor der Generalität geheim halten und die Veröffentlichung des Generators noch ein halbes Jahr hinauszögern.“ „Gut, gut. Mit unserer lieben Freundin Felicia als Verbündete sehe ich da keine Probleme. Du bist also doch nicht so kopflos, wie ich befürchtet hatte. Aber Mitras, was passiert in 20 oder 30 Jahren? Irgendwann wirst du kein Elektrum mehr für die Generatoren brauchen, da dann genug vorhanden sind. Und dann wird die Generalität dich mit Aufträgen zuschmeißen und wahrscheinlich werden sie bis dahin mit dem Material, was sie jetzt bekommen haben, alle Forschungen abgeschlossen haben. Du siehst, das Problem ist nur aufgeschoben.“ „Wie immer denkst du gleich die nächsten 20 Schritte weiter. Ja, du hast recht, das Problem ist in der Welt und Zeit meines Lebens werde ich wohl immer weiter zivile Nutzungsmöglichkeiten finden müssen, um die Generalität auf Abstand zu halten. Aber vielleicht sorgt der so gewonnene Wohlstand dafür, dass alle Wünsche nach Krieg verschwinden.“ Nathanael lachte herzhaft. „Ja natürlich, der Mensch hört irgendwann auf gierig zu sein. Nein, Mitras, es wird immer unzufriedene geben. Schau dir Thadeus di Hedera an, er hat es bis zum Leiter der Akademie gebracht, aber zufrieden kann man ihn nicht nennen. Am liebsten würde er doch die Schule und auch gleich die Gilde für Neuzugänge aus dem Bürgertum schließen und jede Entwicklung der letzten hundert Jahre zurückdrehen. Er wird weder Elektrizität noch Waffen und neue Kriege gut heißen, und du tust gut daran, seinen Einfluss nicht zu unterschätzen. Manchmal denke ich, er würde sogar den König kritisieren, wenn dieser etwas zu Modernes sagt. Und außerdem, wer wird denn von diesem Wohlstand profitieren? Viele Tausend Arbeiter werden durch die Elektrizität ihre Arbeit verlieren. Das wird zwar auf jeden Fall passieren, aber du wirst den Prozess wohl massiv beschleunigen.“ Mitras nickte. „Die Sache mit Thadeus stimmt, aber mit ihm komme ich sowieso nicht mehr auf einen grünen Zweig, nichtmal mit einem Meister der Elementarmagie am Baum. Und ja, auch mit den Arbeitern könntest du durchaus recht haben, aber das wäre durch die Kohlekraftwerke und die Manufakturen sowieso passiert. Ich hoffe ja nur, dass wir durch die Elektrizität etwas weniger Russ in die Luft pumpen. Und denk dir nur, wie viele Arbeiter wir brauchen werden, um all die Kupferleitungen herzustellen. Und wie viele neue Geräte man erfinden kann, wenn erst jeder Haushalt Strom hat! Ich glaube, da werden auch einige tausend neue Arbeitsplätze entstehen. Ach, was weiß ich, was die Zukunft bringt. Zum umkehren ist es eh viel zu spät.“ Nathaneal dachte einen Moment nach und sagte dann ernst: „So ist es. Ich will dich auch nicht entmutigen, aber du musst das große Ganze im Blick behalten. Ich werde dir solange helfen wie möglich. Aber ich werde nicht immer da sein.“ „Und nichts ist mir schmerzlicher bewusst. Auch wenn es da draußen Gerüchte gibt, dass du das Geheimnis der Unsterblichkeit geknackt hast.“ Erneut lachte Nathanael, diesmal aber deutlich herzlicher, voller und vor allem wahrhaft belustigt. „Ich will gar nicht ewig leben. Ich habe jetzt schon genug für zwei normale Lebensspannen. Aber keine Sorge, so bald werde ich dich auch nicht verlassen, dafür bin ich auch noch zu neugierig, wohin deine Reise gehen wird.“ Er stand auf und ging zu seinem Getränkeregal und zog die zwei teuersten Flaschen heraus, einen Rum, den Mitras bisher nur vom Hörensagen kannte, und einen 25 Jahre alten Whisky einer Brauerei, die sonst nur für das Königshaus produzierte. Diese beiden Flaschen zusammen waren schon so viel wert, dass Mitras selbst nach seinen Aufstieg unter die Reichsten Uldums noch staunte mit welcher Selbstverständlichkeit Nathanael ihnen davon einschenkte. Seinen Blick bemerkend, sagte er lächelnd: „Nur vom Besten für diesen Anlass. Mitras di Venaris, sei dir bewusst, dass du dabei bist Geschichte zu schreiben. In hundert Jahren kannst du deinen eigenen Namen in Büchern überall im Reich nachschlagen. Stoßen wir darauf an, dass alle Erwähnungen nur lobenswert sein werden, und darauf, dass du alt genug wirst, sie auch wirklich zu lesen.“ Sie stießen an und Mitras nahm sich alle Zeit der Welt, um diesen einmaligen Tropfen zu würdigen und um Nathanaels Toast zu verarbeiten. Dann sagte er: „Ich glaube, Kira würde das nicht gut verkraften, zu wissen, dass ihr Name irgendwann in einem Geschichtsbuch stehen wird.“ Nathanael lachte ein wenig und meinte dann: „Willst du sie wirklich mit erwähnen?“ Mitras nickte langsam, während er den letzten Tropfen des wirklich hervorragenden Rums trank. „Nicht gleich. Sie ist noch nicht stark genug, sich gegen die Hetzerei und die Angriffe zu stellen, welche die Neider sicher beginnen würden – und man stelle sich erst vor, was Menschen wie der gute di Pinzon dazu sagen würden. Aber ja, ich denke, ich würde sie im Patenttext nennen oder so, damit ihr später der Ruhm zugestanden werden kann, den sie für diese geniale Idee verdient.“ Nathanael runzelte die Stirn, zuckte dann aber mit den Schultern. „Das ist deine Entscheidung. Lass auf jeden Fall einen guten Juristen über den Text lesen, ehe du ihn einreichst.“ Dem konnte Mitras nur zustimmen, und so beschlossen sie diesen Kriegsrat einvernehmlich, wenn auch noch etwas unbestimmt über die konkreten nächsten Schritte.
Kira hatte sich diesmal am Silenz mit Sebastian verabredet. Er hatte ihr schon am Miras einen Boten geschickt, der ihn für den Uldumstag entschuldigte, und so hatte sie die ganze Woche hindurch ungeduldig gewartet. Frederiekes Worte wollten einfach nicht mehr aus ihrem Kopf. Sie musste mit Sebastian darüber reden! Wollte sie Mitras… nun ja, verführen? Wollte sie seine Partnerin sein, ihn heiraten? Auch wenn Teile von ihr die Antwort darauf freudig bejahten, kämpfte sie doch sehr mit sich selber. Kaum hatten sie und Sebastian sich am Silenz also im Café in ein kleines Separé hingesetzt, formte sie rasch den Stille-Zauber, den sie die Woche über geübt hatte, und überfiel ihn dann quasi mit einem nur so heraussprudelnden Bericht über die vergangenen Tage. Als sie zum zweiten Kuss kam, hob er grinsend die Hand zu einem Zeichen der Begeisterung und des Lobes, aber ansonsten hörte er aufmerksam und still zu, wie es seine Art war, wenn sie wieder einmal mit ihren Sorgen zu ihm kam. Am Ende saß sie atemlos und mit roten Wangen vor ihm und fragte: „Was soll ich jetzt nur machen?“ Sebastian schaute sie einen Moment lang und sagte dann: „Feiern? Meine Güte, Kira, du hast mir gerade erzählt, dass ihr einen funktionierenden Generator gefunden habt. Das ist Wahnsinn!“ Kira zog eine Schnute. „Das meinte ich nicht. Ich meine, wegen Mitras. Und dem Kuss. Und Frederieke.“ Sebastian grinste. „Na, ich hab dir doch gesagt, du bist nicht so chancenlos wie andere Personen hier im Raum.“ Er schaute sich vorsichtig um. Kira lächelte. „Du kannst schon reden, ich habe einen Stille-Zauber gewirkt. Du glaubst doch nicht, dass ich dir sonst das alles in einem öffentlichen Café erzählen würde.“ Sebastian hob eine Augenbraue hoch und meinte: „Du warst so aufgeregt… aber gut, Mylady, Hut ab, ich kenne keine Discipula, von der ich diesen Satz schonmal gehört hätte und ihn auch geglaubt hätte. Meine Schwester hat ihn gerade erst dieses Jahr auf dem Stundenplan, und sie plagt sich sehr damit, hat sie neulich gesagt.“ Kira zuckte mit den Schultern und sagte verlegen: „Ich hab ihn auch ziemlich üben müssen, aber ich dachte mir, dass er hilfreich sein würde. Mitras hat ihn für den Generator benutzt, weil der so einen Höllenlärm gemacht hat. Und ja, du hast Recht, das mit dem Generator ist auch aufregend, aber seitdem Mitras am Mafuristag weg war, hat er sich einigermaßen wieder beruhigt. Nur ich weiß einfach nicht, was ich jetzt denken soll. Und machen. Wegen Heiraten. Das ist eine so… endgültige Sache.“ Sebastian brach in schallendes Gelächter aus. „Endgültig ist das höchstens bei politischen Hochzeiten, da kommt man schlecht wieder raus. Und auf dem Land ist es vielleicht auch noch Bis-der-Tod-euch-scheidet, aber hier in Uldum… ich kenne Männer, die schon viermal geheiratet haben, und nicht alle ihre Frauen sind gestorben.“ Er hielt inne. „Frederieke ist eine ganz schöne Kupplerin. Ihre Ehe muss gut laufen, wenn sie andere gleich unter die Haube bringen will.“ Kira schüttelte den Kopf. „Das mit dem Heiraten hat sie nicht so direkt gesagt, nur was von einer engeren Verbindung und dass sie Trauzeugin sein will. Aber ich habe ja schon dich als Trauzeugen.“ Sebastian kicherte und gluckste, während er versuchte, nicht ganz laut zu lachen und stattdessen zu reden. „Kira, du bist … einfach … einfach… hihi, unglaublich. Da kriegst du einen Kuss und planst schon die Hochzeit. Samt Trauzeugen. Hihi. Aber danke, ich nehme an.“ Kira lief rot an und deutete einen kleinen Schlag auf seine Schulter an. „Lach nicht. Das ist wichtig! Immerhin geht es um meine Zukunft.“ „Jaja, aber willst du nicht erstmal einen zweiten Kuss planen und vielleicht ein bisschen, uhmm, Intimität? Damit fängt man normalerweise an.“ Er genoß es sichtlich, wie Kira sich wand. Darin war er Adrian ebenfalls ähnlich. „Einen dritten Kuss.“, korrigierte sie. „Der erste zählt auch. Äh, ja… also. Ich weiß halt nur nicht, wie.“ Sebastian grinste sie fröhlich an. „Aber ich. Mylady, ich werde mir erlauben, dir ein verspätetes Geburtstaggeschenk zu machen, in Ordnung? Erstmal sind die Feiern zum Jahresende, aber nächste Woche gehst du am Shengstag doch sowieso mit der alten Frau Engel ins Theater. Wir treffen uns ein paar Stunden früher in meiner Wohnung und ich werde ein paar Dinge zum Aussuchen für dich bereithalten, für das Theater und auch für, nun, danach. Ich setze dich dann hinterher direkt vorm Theater ab, dann wirst du auch angemessen begleitet und musst nicht allein auf dem Hof stehen.“ Kira strich sich eine Locke aus dem Gesicht. „In Ordnung. Aber nichts zu großes schenken, ja? Wann hast du Geburtag?“ „Betriebsgeheimnis. Aber ist nicht mehr so lange hin. Du erfährst davon, falls meine Schwester wieder einen Überraschungsball organisiert. Also, du lässt dich von mir anleiten, was das Verführen von deinem Mentor anbelangt?“ Kira nickte zögerlich, und Sebastian rieb sich begeistert die Hände. „Das wird lustig. Haha, schade, dass ich da nicht hinterher ein Buch drüber schreiben kann. Aber egal, es wird auch so lustig.“ Kira blickte ihn ein wenig von der Seite an. Das war schon ein sehr komisches Gespräch gerade, ging ihr auf. Und der Plan war noch absurder. „Hast du eigentlich wirklich nichts anderes zu tun? Irgendwie was sinnvolles, mit Adelspolitik oder so? Ich meine, es ist ja schön, dass du mir helfen willst, aber ich komme mir jetzt eher wie ein Versuchskaninchen vor!“, sagte sie mit einem neckenden Grinsen. Tatsächlich interessierte sie seine Antwort aber schon – sie hatte sich schon länger gefragt, ob Sebastian nicht doch auch tiefer in die Familiengeschäfte einsteigen wollte. Er verstand ihre versteckte Frage, denn er antwortete: „Naja, ich würde manchmal schon wollen, aber wir sind einfach zu viele Kinder und ich bin halt nicht magisch. Alles, was ich kann, ist mit vielen reden und Klatsch erzählen und Karten spielen. Und reiten und feiern. Beim Schießen bin ich nur so Mittelmaß, aber im Sommer gehe ich trotzdem öfter als Vertretung meiner Mutter oder meines Vaters mit auf Jagden, das ist das einzige politische, was ich so mache. Und dann bleibt es mir halt nur übrig, meiner rothaarigen Freundin zu helfen, willst du dich etwa beschweren?“ Kira schüttelte den Kopf. „Nein, ich werde mich nicht beschweren. Es ist nur… naja, seltsam.“ Sebastian zuckte mit den Schultern. „Ich weiß ja nicht, wie es in Bispar ist, aber über Sex zu reden oder ihn zu planen ist in Uldum gar nicht so ungewöhnlich. Die meisten Personen in unserem Alter machen ihre ersten Erfahrungen im Freundeskreis – wenn man adelig ist, dann meistens auf einem Ball.“ Er grinste. „Es gibt sogar manchmal extra Zimmer dafür, und falls du ungestört bleiben willst, hängst du einfach dein Taschentuch an die Türklinke, dann macht niemand auf, nicht mal die Dienstmädchen. Höchstens mal der Ballherr, wenn er meint, es sei jetzt nach zwei Tagen genug mit der Liebelei.“ Kira musste verwundert schauen, denn Sebastian gluckste: „Schau nicht so verblüfft, das ist wirklich so! Wie soll man denn auch sonst lernen? Kannst dich ja nicht immer gleich unsterblich verlieben. Meine bisherigen Erfahrungen sind entgegen meines Rufes nicht so groß, aber ich habe einige gute Freundinnen, mit denen ich lernen konnte. Es ist auch nicht so unüblich, dass man sich als ersten Partner jemanden sucht, der älter und erfahrener ist, meine erste Partnerin war auch schon 27. Deswegen hast du auch ganz gute Chancen, dass dein angehimmelter Magister da mitmacht – immerhin ist er ja eh für deine Lehre zuständig.“ Kira lief rot an und löste den Stille-Zauber auf. Ihr Kopf begann nämlich, weh zu tun, und es war auch nicht mehr viel Magie in ihrer Nähe, die sie noch greifen konnte. Was Sebastian gesagt hatte, war gleichzeitig ungewohnt, aber auch nicht völlig neu für sie – Gerüchte über das lockere Leben der jugendlichen Adeligen hatte sie schon gehört, und Johanns Verhalten, so unsäglich es war, hatte aus seiner Sicht vermutlich auch gar nicht so viel anrüchiges an sich gehabt. Sex war eben normal, allerdings kannte sie es bisher eher als etwas, an dem Männer Vergnügen hatten und Frauen eben nur manchmal, auch hatten Frauen da meistens eher weniger die Wahl. Zu viel Sex stand einer Frau auf dem Dorf nicht gut an, man musste gut heiraten, danach war Treue sowieso das wichtigste moralische Gut der Frau. Männer hingegen konnten sich sexuelle Eskapaden ungeschadet ihres Rufes leisten. Sie traute sich aber nicht, Sebastian ohne den Stille-Zauber danach zu fragen, ob es auch in Uldum einen solchen Unterschied zwischen den Geschlechtern gab. Seine Erzählung klang nicht danach, vieles in der Stadt war ja auch offener und freier. Andererseits war er auch ein Mann, die nahmen solche Ungerechtigkeiten oft gar nicht richtig wahr. Sie dachte wieder an Frederieke, bei ihr hatte es auch nicht danach geklungen, als seien die Frauen hier mehr eingeschränkt als die Männer. „Ich werde es dir erstmal glauben müssen, aber du hast Recht, das ist in Bispar anders. Glaube ich zumindest… die Dorffeste könnten so ähnlich sein wie die Bälle, von denen du sprachst. Aber da habe ich selten teilgenommen. Vorsichtig, Feind hört wieder mit.“, sagte sie. Sebastian nickte und wechselte das Thema, indem er ihr einen Vortrag darüber hielt, wie man sich im Theater verhalten musste. Auf dem Nachhauseweg überlegte Kira, wie sie ihm all seine Hilfe wohl jemals würde danken können. Dieser kleine Kriegsrat hatte auf jeden Fall deutlich dazu beigetragen, ihre Gedanken zu klären und wieder mehr in der Gegenwart anzukommen. Ein Schritt nach dem anderen. Das war richtig. Erstmal ein Schritt nach dem anderen – und der nächste Schritt war defintiv, noch einen Kuss zu bekommen.
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