Familienbande – 10. Lunet 242 (Silenz)

Kira wachte um halb sieben auf, wie sie feststellen konnte, sobald die Lampe hell genug leuchtete. Draußen war es stockfinster und es trommelte Schneeregen gegen das Fenster. Im Gegensatz zu gestern fühlte sie sich gar nicht erholt, ihre Stimmung passte zum Wetter. Ihr Kopf tat immer noch leicht weh, und sie erinnerte sich an wirre Träume, in denen sie ihren Vater gesehen hatte, der seinen Stock holte, um sie mal wieder für etwas zu betrafen, Johanns Hände, die nach ihr griffen und dazwischen immer wieder Mitras blaue Augen, die sie anblitzten und seine Stimme, die sagte: „Sie werden packen.“ Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und seufzte. Die Angst der Traumfetzen hing noch in ihr, und sie brauchte einen Moment, um Mut zu sammeln, sich diesem Tag zu stellen, ehe sie die Decke beiseite schob und sich Wasser holte, um sich zu waschen. Dass es regnete, bedeutete, dass es wohl wieder wärmer geworden war, aber hier drinnen war es dank der Heizsteine wohlig warm wie immer. Sie wusch sich, zog eines ihrer guten alten Kleider ohne bauschigen Rock an und angelte sich das Mathebuch. Von nichts kommt nichts. Und wenn man einen Fehler macht, muss man ihn beheben. Sie seufzte noch einmal. Schade, dass sie viel mehr schlaue Sprüche als Matheformeln kannte. Sie schlug das erste Kapitel auf und begann, die Erklärungen Satz für Satz zu lesen. Was sie verstand, übertrug sie sich ins Heft, was sie nicht verstand (und das waren etliche Sätze), markierte sie mit Bleistift und notierte sich auf einem losen Blatt, was genau sie Abby dazu fragen wollte. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte sie so den ersten Abschnitt des Buches zum Thema „Regula Detri“, also in neuerer Sprache Dreisatz, durchgearbeitet. Das Buch war anscheinend nicht mehr ganz das neueste. Oder es wurde immer erweitert. Sie blätterte kurz um und sah ihre zweite These bestätigt: Auch die Schriftart wechselte hinten im Buch, ebenso wohl der Sprachgebrauch und die Art, Formeln zu notieren. Sie schaute auf die Uhr. Erst viertel nach acht. Nachdenklich betrachtete sie ihre Notizen und dachte an Adrian, der ihr beigebracht hatte, wie man alleine mit Büchern arbeiten kann, um den Fernunterricht zu schaffen. Er hatte sich auch dafür eingesetzt, dass sie ihn überhaupt besuchen konnte statt den erstbesten Bauern zu heiraten. Ob er manchmal an sie dachte? Sie spürte, wie die Traurigkeit und die Sehnsucht nach seinem Lachen, seinen beschützenden Armen in ihr aufstieg, und einige Tränen kullerten über ihre Wangen. Ob er die Lügen glaubte, die Johann und wohl auch ihre Mutter nun über sie erzählten? Sie würde ihm schreiben müssen… und da sie auf das Frühstück ja noch warten musste, konnte sie ja auch gleich damit beginnen. Immerhin hatte sie sich ja jetzt nicht vor Mathematik gedrückt.

Sie fischte sich ein leeres, sauberes Blatt aus dem Schreibtisch und begann zu schreiben.

Lieber Adrian,
ich vermisse dich sehr. Nie war ich so weit von dir, selbst dann nicht, als du die ganze Küste herunter gereist bist, um Vaters Geschäfte zu lernen. Denn damals habe ich immer gewusst, dass wir uns wieder sehen werden, und dass du mich hochnehmen und herumwirbeln wirst, sobald du den Raum betrittst. Jetzt bin ich mir so unsicher…
Egal was die anderen sagen, bitte glaube mir, ich habe Johann nicht angegriffen oder ihm schaden wollen. Er hat versucht, mich zu bedrängen, und ich bin einfach so wütend geworden, und dann war alles komisch um mich… ich kann es noch gar nicht beschreiben. Auf jeden Fall hat Mutter seitdem nicht mehr mit mir gesprochen, seitdem sie weiß, dass ihr kleines Trollbalg magisch begabt ist. Ich glaube, sie hat jetzt Angst vor mir. Hatte sie das nicht vorher auch schon? Hast du Angst? Ich würde euch nie etwas tun, wirklich nicht!
Man hat mich hier in Uldum einem jungen Magister zugewiesen, der wirklich sehr nett …

Kira hielt inne. War Mitras nett? Bis gestern hatte sie das zumindest gedacht. Und wenn sie ehrlich war, hatte er sie noch nicht mal besonders schlimm beschimpft. Er hatte nur gesagt, dass sie ohne Mathematik an der Akademie nicht würde bestehen können, und das war ja vermutlich nicht mal eine Beschimpfung, sondern die Wahrheit. Und dass sie sich – wie auch in all den Jahren zuhause – vor Mathematik gedrückt hatte, war ja nun eindeutig ihr Fehler gewesen. Als Mentor musste Mitras sie dafür rügen. Er hatte sie nicht mal geschlagen, stellte sie verblüfft fest. Entschlossen schrieb sie weiter.

… ist. Und er wohnt in einem total luxuriösen Haus, es gibt sogar ein Bad mit einer riesigen, kreisrunden Wanne hier, und ich darf es jederzeit benutzen! Stell dir vor, deine kleine Schwester wird vornehm.

Sie hielt wieder inne und kicherte in sich hinein. Vornehm und Kira Silva, das passte wirklich nicht. Draußen auf dem Flur klackte eine Tür. Sie schaute auf die Uhr. Schon fünf vor neun. Mitras ging wohl zum Frühstück, also sollte sie auch gehen. Ihre Laune hatte sich deutlich gebessert. Sie hauchte einen Kuss auf das Papier und versteckte den Brief, nachdem die Tinte trocken genug war, in der untersten Schublade des Schreibtisches. Dann ging sie nach unten.

Mitras saß tatsächlich am Esstisch. Sie grüßte ihn: „Guten Morgen, Magister.“ Er blickte kurz auf und nickte, sagte aber nichts. Seine Haare sahen ein wenig zerstrubbelt aus, und er hatte Ringe unter den Augen. Kira erinnerte sich, dass er wohl Schwierigkeiten mit dem Generator hatte, dass hatte Abby ja gestern gesagt. Wo er wohl gestern gewesen war? Sie öffnete die Küchentür und schaute in die Küche, wo William gerade leise summend Kartoffeln schälte. „Guten Morgen, William!“ „Mylady, wie schön, du bist wach!“ William winkte ihr freundlich zu. „Dein Frühstück steht da schon.“ Kira bedankte sich und nahm das Tablett. Sie versuchte, die Tür hinter sich mit dem Fuß zu schließen, schaffte es aber nicht, und William rief: „Lass, die kann auch offen bleiben.“ Mitras runzelte die Stirn und blickte mit leicht zusammengekniffenen Augen an ihr vorbei in die Küche, aber da er nichts sagte, ließ Kira die Tür einfach halb offen stehen und setze sich auf Tobeys Platz, gegenüber von Mitras. Dieser stocherte mehr in seinem Essen herum, als das er ass. Kira hingegen hatte Hunger, also gab sie sich Mühe, ruhig und anständig zu essen, um Mitras nicht weiter zu verärgern, ass aber mit Appetit das belegte Brot und die Schale mit Obst leer, die William für sie vorbereitet hatte. Zwischendurch linste sie ab und zu zu Mitras, doch dieser schwieg und schien eine dunkle Wolke um sich zu sammeln, die eindeutig sagte, dass man ihn besser nicht ansprach. Verlegen senkte Kira den Kopf wieder zu ihrem Essen. Vermutlich war er immer noch ziemlich enttäuscht von ihr. Zu Recht, piepste eine kleine Stimme in ihrem Kopf. Du hast dich wirklich zu sehr gehen lassen gestern! Heute nicht, brachte Kira die Stimme zum Schweigen. Heute nicht. Sie räusperte sich. „Magister? Gibt es heute Termine, zu denen Sie mich brauchen?“ Mitras blickte sie einen Moment abwesend an, als nähme er erst jetzt war, nicht allein im Raum zu sein. Dann verdunkelte sich seine Miene noch etwas weiter, sofern das möglich war. „Nein.“ Kira hatte fast das Gefühl, das Wort wäre eine kleine Ohrfeige. Sie schluckte und stand auf, nahm das Tablett und stellte es zurück in die Küche. Dann verbeugte sie sich kurz und höflich vor Mitras und ging zurück in den Flur. Draußen lehnte sie sich einen Moment gegen die Wand und beruhigte ihren Atem wieder. Heute nicht. Heute nicht, sagte sie sich. Er ist nicht nur deinetwegen so wütend, ergänzte sie. Trotzdem verletzte sein abweisendes Verhalten. Nach einer Weile schüttelte sie sich und ging nach oben, um ihre Mathesachen zu holen. Wie sollte sie an Mitras vorbei kommen, um zu Abby ins Gesindehaus zu gehen? Eine Weile grübelte sie, auf der Galerie stehend, über diese Frage nach, als sich die Tür des Esszimmers öffnete und Mitras wortlos an ihr vorbei ins Labor rauschte. Sie seufzte. Ok. Wenigstens löste sich so das Problem, wie sie herüber gehen konnte, ohne von ihm bemerkt zu werden, von alleine. Sie holte ihre Materialien und ihren Mantel und stapfte durch den Schneematsch herüber zum Gesindehaus.

Mitras hatte schlecht geschlafen und seine Laune war auf dem Tiefpunkt. Es entsetze ihn immer noch, dass er letzte Nacht kurz davor gewesen war sich mit dem besoffenen Trottel zu prügeln. Er war noch nicht einmal betrunken gewesen. Es war einfach nur die Wut, die ihn geleitet hatte. Er hatte sich prügeln wollen und wahrscheinlich hätte er die gesamte Kneipe zerlegt, wenn Titus die Lage nicht entschärft hätte. Die Scham darüber hatte ihn nun voll im Griff. Selbst wenn Kira bei der Prüfung nächstes Jahr ein Totalausfall gewesen wäre, hätte ihm das nicht so sehr geschadet wie die Entgleisung, in die er da beinahe hineingeschliddert wäre. Den ganzen Morgen brütete er nun schon darüber und konnte sich einfach nicht auf seine Arbeit konzentrieren, obwohl die doch gerade jetzt so wichtig war, dass er sogar das Treffen mit Rieke dafür abgesagt hatte.

Es klopfte an der Tür, doch er ignorierte es. Egal was es war, er wollte sich jetzt nicht damit auseinander setzen, doch da schob sich die Klinke nach unten. Mitras setzte zu Protest an, doch dann stand William bereits vor ihm und unterbrach ihn vor der ersten Silbe mit einer Handbewegung. „Nein, du verkriechst dich jetzt nicht, du hörst jetzt zu. Und dann sagst mir, was das eben sollte! Erst stauchst du Kira über alle Stränge zusammen, dann zerhaust du fast die Kneipe und dann watschst du sie mit deinem kalten Verhalten heute Morgen noch einmal ab! Ich dachte eigentlich, du wolltest es besser machen als Thadeus und jetzt bist du keinen Deut besser – du lässt deine Wut an anderen aus und bist über Tage ungenießbar!“ Williams Triade traf ihn noch härter als die Selbstvorwürfe, die er sich eh schon gemacht hatte. Und da war es wieder, das schlechte Gewissen. In all seinen Problemen hatte er Kira beinahe ausgeblendet. Ihre Leistung hatte ihn geärgert, aber durch Williams Vorwurf wurde ihm erst richtig bewusst, wie sehr er sie angefahren hatte – ja, selbst heute morgen hatte er sie noch ignoriert, obwohl sie sich nichts weiter zu Schulden hatte kommen lassen, als schlecht in Mathematik zu sein. Ja, ihre Aufgabe hatte klar gezeigt, dass sie selbst mit den Grundlagen Probleme hatte, aber war er nicht vorher schon besorgt gewesen, ob es in ihrer Familie nicht doch irgendwelche Probleme gab? Hatte sie nicht in allen anderen Bereichen gezeigt, dass sie überragend gut war? Er selbst hatte ihr ja sogar gesagt, sie solle mal Pausen machen, und dann warf er ihr genau das vor. An dieser Stelle fühlte sich die Reue fast wie körperlicher Schmerz an der Stelle an, an der er am Rücken die Narbe von Thadeus schlimmster Prügelattacke übrig behalten hatte, und er rieb sich mit leicht verzogenem Gesicht den Rücken. „He, willst du mich jetzt auch wohl mit Schweigen strafen, oder was?“ blaffte William und riss ihn so aus seinen Gedanken. „Nein, entschuldige, die letzten zwei Tage haben mir enorm zugesetzt und mich ausgelaugt. Du hast recht, ich war zu hart zu ihr.“ gestand er resignierend ein. „Ha, zu hart ist gut und was war das da gestern abend? Ich habe doch genau gesehen, dass du einen Zauber vorbereitet hast. Ich kenne die Gesten, du warst auf Streit aus!“, fuhr William etwas weniger hitzig fort. „Ja, auch da hast du recht und glaube mir, das nagt nun nur noch stärker an mir. Ich war kurz davor die Beherrschung zu verlieren.“ „Kurz davor? Du warst schon Meilenweit dran vorbei und selbst Titus hat das gemerkt!“, fiel William ihm ins Wort. „Wäre er nicht so geistesgegenwärtig gewesen und hätte die Situation an sich gerissen, hättest du eine Katastrophe vom Zaun gebrochen. Das sind doch nicht nur die Frustrationen von ein paar Tagen? Was ist los mit dir?“ Williams Triade ließ mit jedem Wort mehr Sorge um seinen Freund durchklingen. „Was los ist?“ antwortete Mitras erschöpft. „Meine Erfindung droht mir zu entgleiten. Die di Porrums gehen mich nun schon in aller Öffentlichkeit an, meine Experimente mit dem Generator scheitern schneller, als ich mir neue Lösungen ausdenken kann und di Accipiteris von der Generalität versucht den König dazu zu bewegen, mehr Elektrum von mir zu fordern. Ich habe neulich ihr neuestes Spielzeug gesehen. Ein Schwert aus Elektrum mit einem Feuerzauber versehen. Das Ding schnitt durch Stahl, als wäre es ein warmes Brotmessser, das durch Butter fährt. Das hebt den Schutz, den Eisen oder Stahlrüstungen gegen Magie im Nahkampf geben, komplett auf. Ich will mir gar nicht ausmalen, was das in der Schlacht bedeutet. Noch können sie es nicht so machen, dass ein Nichtmagischer das Schwert führen kann und außerdem entlädt sich die Magie beim ersten Schlag auf die Eisenrüstung, aber die Hitze bleibt ja da. Verstehst du, sie sammeln Ideen für Waffen, um in den Krieg ziehen zu können. Klar, das mag im ersten Moment die absolute Überlegenheit unserer Truppen garantieren, aber was halten diese Wilden aus dem Süden für geheime Schrecken bereit, die sie sich bisher nicht getraut haben einzusetzen? Und wissen wir, welche zendrischen Schrecken die Angshire mit über das Meer gebracht haben oder noch holen können? Zu viele Stimmen im Rat raunen vom Krieg, der Frieden sei zu lang gewesen. Und ich, geblendet vom Reichtum, habe ihnen nun ein Mittel dafür gegeben. Und wer weiß, was sie sich noch alles ausdenken, wenn ich den Blick auf das Elektrum nicht bald auf eine zivile Nutzung lenke.“ Erst jetzt merkte er wie sehr ihn diese Sorgen auffraßen, aber es tat auch ein wenig gut, es nun endlich alles gesagt zu haben. „Ha, ja, das sind in der Tat kolossale Sorgen, aber was hat das mit Kira zu tun? Ich sag’s dir, vor lauter Frust hast du sie als Blitzableiter benutzt. Hat sie es wirklich verdient als dein Prügelknabe herzuhalten, nur weil sie in Mathe hinterher hinkt?“, entgegnete William. „Nein, das hat sie nicht, ich habe über die Stränge geschlagen“, gab Mitras niedergeschlagen zu. „Hm, gut, und was gedenkst du deswegen zu tun?“ fragte William nun deutlich ruhiger. Sie hatte durchaus eine Entschuldigung für den angeschlagenen Ton und auch für sein Verhalten heute Morgen verdient. Er musste nur an sich halten, dass er sie trotzdem wegen der Mathematik weiter ermahnte. Sie musste ihre Leistung verbessern, sonst würde sie nicht weit kommen. Aber es gab sicher bessere Wege als die alte Thadeusschule aus anschreien, demütigen und Schlägen. „Ich werde mich in unserer Stunde Morgen wegen des Tons bei ihr entschuldigen und dann sehen, wie wir das Matheproblem zusammen lösen können.“, antwortete er. „Und was ist wohl mit heute Abend?“, gab William zurück. Mitras seufzte. „Meine Schwester wird mich wahrscheinlich schneller durchschauen als du gerade. Und sie wird Kira verteidigen wie eine Berglöwin, immerhin fand sie Mathematik auch immer fürchterlich.“ William nickte grinsend. „Oh, bei den Geistern.“ Frustriert vergrub Mitras den Kopf in seinen Händen. „In Ordnung. Ich entschuldige mich beim Mittag bei Kira und lobe ihre Kekse. Dann braucht Rieke nichts von dem Ärger hier mitzubekommen und wird mich nicht auch noch zusammenfalten.“ William nickte, diesmal sichtlich zufrieden mit den Folgen seiner Erziehung. „Das mit den Keksen wird aber schwierig, es sind nur noch wenige da, Tobey hat sich einen ganzen Beutel heute morgen mitgenommen, weil er heute bei gleich drei der Stromkunden irgendwas flicken wollte und erst zum Abendessen wieder da ist.“ Mitras stöhnte. „Würdest du mir dann BITTE, liebster William, ein paar Kekse zurücklegen, damit ich sie wenigsten probieren kann, ehe ich sie lobe?“ William knickste höflich und grinste ihn unverschämt an. „Natürlich, mein Herr.“ Dann wurde er schlagartig wieder ernst und ergänzte: „Wegen der anderen Sorgen, nimm es dir nicht zu sehr zu Herzen. Wenn die Herrschaften Krieg wollen, gibt es Krieg, das weißt du doch. Und unser Elos – die Geister mögen dem König gnädig sein – hat sich bisher nicht als großer Schlachtenfreund hervorgetan, dafür beschäftigt er sich zu oft mit den schönen Künsten und den schönen Frauen.“ Mitras nickte. Sein Kopf tat weh und er erinnerte sich noch zu gut an sein Entsetzen bei der Vorführung des neuen Schwertes, um sich von Williams beschwichtigenden Worten beruhigen zu lassen. „Und selbst wenn es Krieg geben sollte, „, fuhr William fort, „ist das nicht deine Schuld. Du hast ja keine Waffe gesucht, das haben andere daraus gemacht.“ Mitras seufzte noch einmal. William hatte gut reden, er war ja nicht derjenige, der einmal im Monat in der Schmiede stand und die Zauber wob, die dem alchimistischen Prozess als Katalysator dienten. Manchmal verfluchte er sich selbst dafür, das alte Rezept versehentlich genau in diese Richtung abgewandelt zu haben. Hätte ihm das Schicksal nicht einen etwas weniger gefährlichen Stoff zuspielen können? William nickte ihm nochmal zu und ging dann aus dem Labor, einen nicht mehr ganz so unklaren, aber dafür deutlich besorgteren und reumütigeren Mitras zurücklassend. Er sann noch eine Weile über Williams letzte Worte nach und betrachtete dabei das Elektrum in seiner Hand. Dann legte er es in den Kreis, der auf dem Boden angebracht war, um den magisch abgeschirmten Bereich zu kennzeichnen. „Das haben andere aus dir gemacht….“, murmelte er. „Was kann man denn wohl noch aus dir machen?“ Er hatte sich bisher bei seinen Untersuchungen auf die Leitfähigkeit konzentriert, weil Elektrizität ihm als der beste Anwendungsbereich erschienen war. Die Generalität hingegen hatte sofort eine Waffe gesehen. Was konnte das Elektrum noch sein? Er beschloß, die üblichen Zauberbereiche der Reihe nach systematisch durchzugehen und zu beobachten, wie das Elektrum jeweils reagierte. Und da Elementarzauber nicht wirklich seine Stärke waren, würde er mit denen anfangen. Er holte sich ein Buch mit passenden Sprüchen und begann mit der Forschung.

Abby begrüßte Kira im Wohnzimmer, wo sie anscheinend an dem neuen Kleid gearbeitet hatte. Sie räumte den Stoff beiseite und Kira zeigte ihr, was sie vorbereitet hatte. Abby las einen Moment und lächelte sie dann freundlich an: „Da warst du aber schon fleißig.“ Kira schaute verlegen zu Boden. „Ich versuch ja, meine Fehler nicht zu oft zu wiederholen.“ Abby nickte. „Gute Einstellung. Aber gräm dich nicht zu sehr,  wenn du Fehler doch wiederholst. Laufen lernt man auch nicht beim ersten Sturz.“ Kira fand, dass man das nicht so Recht vergleichen konnte, doch sie nickte zustimmend. Abby fuhr fort: „Und denk ja nicht, die Tatsache, dass du dich gestern Mal mit Keksen statt lernen beschäftigt hast, wäre ein Fehler. Mitras hat einfach schlechte Laune. Du musst nicht jeden Tag perfekt sein und ständig lernen. Du bist jung, dein Leben sollte auch Spaß machen.“ Kira blickte sie zweifelnd an. Bisher hat mein Leben eigentlich nie Spaß gemacht, wenn ich gerade in einem Haus sein musste, dachte sie. Und jung war sie ja auch nicht mehr so wirklich, etliche andere Mädchen in ihrem Alter hatten bereits das erste, vielleicht sogar das zweite Kind. Aber sie verkniff sich die Aussage. Wenn man ehrlich war, war es vielleicht auch etwas übertrieben, denn Lesen und Lernen machte man ja auch drinnen, und das machte ihr Spaß. Wenn es nicht gerade Mathematik sein musste. Abby hatte ihren Gesichtsausdruck entweder nicht bemerkt oder irgnorierte ihn, denn sie zog sich einen Stuhl heran und deutete auf den Platz neben sich. „Dann setz dich mal hin. Wollen doch sehen, ob die alte Abby dir nicht ein wenig helfen kann.“ Kira setzte sich zu ihr, und sie gingen der Reihe nach die Fragen durch. Das Buch stellte die Rechnungen anders dar, als Kira es gelernt hatte, sie nutzen eine Art Tabelle, und Abby erklärte ihr, dass viele Dinge in der Welt gleichmäßig zusammenhingen. Wenn man also eine Größe etwa verdopple, dann verdopple sich die zweite Größe auch. Kira beobachtete, wie sie verschiedene Beispiele vorrechnete. Das ergab gleich vielmehr Sinn. Warum stand das nicht einfach so im Buch drin? Und warum hatte ihr alter Lehrer ihr diese seltsame Kreuzschreibweise erklärt, wenn man auch einfach multiplizieren und divideren konnte? „Hier, jetzt rechne nochmal dein Beispiel von gestern!“, forderte Abby sie auf. „Denk daran: Erst die Tabelle hinschreiben und sortieren, welche Größe auf welche Seite kommen soll. Und in der Mitte Schritte frei lassen.“ Kira rechnete: „Zu 24 Ellen links gehören 2 Silber rechts. Und ich suche den Preis für 14 Ellen, die schreibe ich links hin. Und weil jetzt links eine Lücke ist, schreibe ich da eine eins rein und dann rechne ich durch 24 und mal 14.“ Sie schrieb alles hin und schaute dann Abby fragend an. „Aber wie kann man denn 2 durch 24 rechnen?“ Abby schmunzelte. „Du kannst es in Schilling umrechnen. Oder du schreibst es als Bruch. Sowas wie ein Halbes oder ein Viertel, das kennst du, oder?“ Kira runzelte die Stirn und nickte. Einfache Brüche kannte sie, und dunkel erinnerte sie sich, dass man eigentlich alles in Brüchen schreiben konnte. Aber sie hatte es meistens dann einfach so „in etwa“ ausgerechnet. Sie schrieb an die Kante des Blattes „200 durch 24“ und dachte kurz nach. „Das müssen ungefähr 8 Schilling sein.“ Abby erhob gespielt empört den Finger: „Willst du dich selbst etwa reinlegen? Wenn du 8 Schilling für eine Elle nimmst, dann kaufe ich 24 Ellen für 1 Silber und 92 Schilling, da fehlen dir dann ja 8 Schilling!“ Kira seufzte. „Siehst du, deswegen mag ich Mathe nicht!“ „Ach, Kindchen. Nicht so schnell aufgeben!“ Abby erklärte ihr, dass man den Preis für eine Elle auch kleiner als Schilling sehen könne, und versuchte ihr eine Weile, das Rechnen mit Brüchen schmackhaft zu machen, wobei sie aber eher nicht so viel Erfolg hatte. Sie einigten sich auf 8,33 Schilling für eine Elle und 117 Schilling für 14 Ellen und Kira verstand plötzlich, wieso das exakte Rechnen hilfreich sein konnte: Der Händler würde ja nun für die 14 Ellen ein kleines bisschen mehr bekommen, als der faire Preis gewesen wäre. Wenn man das jedes Mal so machte, konnte man bestimmt gute Preistafeln und ähnliches machen, die die Kunden in den Laden lockten, und dann konnte man immer ein bisschen draufschlagen, weniger als ein Schilling eben… und man würde quasi nebenbei reich werden. War es das, was ihren Bruder an Mathematik fasziniert hatte? Torge bestimmt, der mochte alle Arten von Betrügereien. Sie stellte Abby ihre Beobachtung vor, und diese lachte herzlich, bestätigte ihr aber, dass man so natürlich Geld dazu verdiene. „Nur um damit reich zu werden, musst du sehr, sehr viele Geschäfte machen.“, setzte sie augenzwinkernd hinzu. Kira lachte. Dann wurde sie ernst. „Danke, Abby. Ich habe das Gefühl, wirklich etwas verstanden zu haben. Und ich hatte noch nie so viel Spaß mit Mathematik… Bei uns zuhause gab es eigentlich immer nur Streit, wenn es um Zahlen ging. Egal was.“ Abby schaute sie prüfend an: „Deine Eltern und Geschwister sind doch Händler, oder? War Mathematik da nicht ein häufiges Thema?“ Kira lachte bitter. „Geld. Es ging immer alles um Geld. Das wir zuwenig davon haben, dass jemand anderes zu viel will, dass irgendwas zu viel kostet… besonders, wenn es darum ging, dass ich etwas von diesem Geld brauchte. Weil ich kein Geld verdiene. Weil ich ja nur lese und unnütz bin. Weil ich … naja, aussehe wie eine Skir statt eine von ihnen. Meine Mutter hat, glaube ich, Buch geführt über alle Ausgaben wie Kleider und Schulgeld und so, damit sie später „die richtige Mitgift“ fordern könnte.“ Sie schwieg einen Moment und sah zu Boden, und für diesen langen Moment hing die Stille schwer im Raum, erdrückt von ihren Erinnerungen. „Deswegen hab ich, wenn wir in der Schule Kaufmannsrechnen gemacht haben, eigentlich kaum versucht, mich damit zu beschäftigen. Ich hatte Fernunterricht, weißt du? Da kann man sich ja schon ein bisschen aussuchen, was man wie intensiv lernt. Ich durfte zwei Stunden am Tag bei unserem Priester lernen, damit ich an den halbjährlichen Prüfungen in Lührenburg teilnehmen kann, und nächstes Frühjahr hätte ich meine Matura machen können. Aber Bruder Harras hat nicht geschaut, was ich zu tun habe, das ist ja auch nicht seine Aufgabe gewesen. Adrian, mein Bruder, hat ab und zu versucht, mit mir Mathe zu machen, deswegen hab ich wenigstens vor den Prüfungen immer ein bisschen was gekonnt, aber gemerkt hab ich es mir halt nicht, weil ich immer nur gedacht habe, dass sich alles um Geld dreht… und ich hasse diese Rechnerei.“ Nachdenklich blickte Kira auf das Blatt vor ihr. Bei Mitras spielte Geld irgendwie gar keine Rolle, dachte sie. Seine großzügigen Geschenke… sie blickte zum halb fertigen Kleid, dass Abby beiseite geräumt hatte. Zeit und Geld, sie wurde hier wirklich reich beschenkt. Das war definitiv ein guter Grund, ihre Abneigung gegenüber der Rechenkunst zu überdenken. Abby hatte noch einen Moment geschwiegen. Jetzt sagte sie mit etwas belegter Stimme: „Ich kann verstehen, dass man unter solchen Umständen die Kaufmannsrechnungen nicht mag, aber Mathematik ist ja viel mehr als Kaufmannsrechnungen. Sieh mal hier zum Beispiel…“ Sie zog ein Blatt heran und nahm sich den Holzstab, mit dem sie beim Schneidern Längen abmaß. Dann zeichnete sie mit raschen Strichen ein Muster aus Dreiecken auf das Blatt. „Das sieht hübsch aus, oder?“ Kira staunte. „Ja, alle sind ganz gleich. Wie macht man das?“ Verschwörerisch zwinkerte Abigail ihr zu. „Das, meine Liebe, ist auch Mathematik. Geometrie, um genau zu sein. Sobald du die Übungen zur Regula Detri sicher beherrschst, können wir uns gerne die Geometrie der Dreiecke und Strahlen anschauen. Man braucht sie für Muster und zum Übertragen und Anpassen von Mustern auf Stoff, aber soweit ich weiß auch beim Bauen von Häusern oder Städten.“ „Geometrie und Dreiecke hatten wir auch mal“, erinnerte Kira sich. „Da war ich sogar gar nicht so schlecht in der Prüfung, obwohl Adrian mir vorher nicht geholfen hat.“ Abby sah sie kurz an, als ob sie etwas fragen wollte, doch schüttelte dann kaum merklich den Kopf und forderte sie stattdessen auf, die Übungen bis morgen alleine zu rechnen. „Kann ich dafür hier sitzen bleiben? Es ist gemütlich hier.“ Freundlich schmunzelte die ältere Frau sie an. „Natürlich. Ich nähe derweil weiter.“

Die nächsten zwei Stunden saßen die beiden friedlich zusammen und arbeiteten. Ab und zu fragte Kira etwas zu den Aufgaben, meistens, weil sie die Aufgabenstellung nicht verstand, und Abby stimmte ihr zu, dass die Formulierungen wirklich teilweise sehr umständlich waren. In anderen Momenten unterbrach die Schneiderin dafür Kira, um ihr das Kleid überzulegen und abzustecken, weil es so ja viel praktischer sei als an der Nähpuppe. Sie lachten darüber sehr, als Abby Kira einmal mit der Nadel stach, denn die lebende Nähpuppe entpuppte sich dabei doch nicht als so praktisch und riss beinahe eine Naht wieder auf. Schließlich erinnerte Abigails grummelnder Magen die beiden daran, dass es ja schon Mittagszeit war, und Kira packte ihre Sachen zusammen und sie gingen gemeinsam zurück zum Haus. Auf dem Weg blieb Kira plötzlich stehen. „Was sagen wir Mitras eigentlich, wenn er sieht, dass ich bei euch war? Er soll ja nicht wissen, dass du mir geholfen hast.“ Abby grinste. „Du hast Kleider anprobiert. Ist ja auch nicht gelogen, meine kleine Nähpuppe.“ Kira kicherte. Am Haus angekommen hielt die Haushälterin ihr die Tür zum Esszimmer auf. „Mylady, treten Sie bitte ein.“ Kira guckte verblüfft, sah dann aber Mitras, der bereits am Esstisch saß und zu ihnen herüber blickte. Sie schob die Hand mit den Matheheften etwas tiefer unter den Mantel und nickte Abby höflich zu, ehe sie einen kleinen Knicks vor Mitras machte und an ihm vorbei aus dem Raum gehen wollte. Mitras blickte sie an. „Wollen Sie sich nicht zu uns setzen? William hat bereits für alle gedeckt.“ Kira, die schon fast aus der Tür war, zuckte zusammen und drehte sich so, dass er die Hefte nicht sehen konnte. „Äh, ja, ich komme gleich, ich wollte nur den Mantel wegbringen“, sagte sie und huschte in den Flur, ehe er sagen konnte, dass das ja die Aufgabe der Bediensteten sei. Rasch brachte sie den Mantel weg und ihre Unterlagen zurück in ihr Zimmer. Er redete wieder mit ihr, stellte sie dabei erleichtert fest. Hoffentlich hat er nichts bemerkt. Abby soll keinen Ärger bekommen. Und außerdem geschieht es ihm ja recht. Er hat ja auch Geheimlabore, da hab ich dann halt eine Geheimlehrerin. Ihr Schalk, der seit der Abreise aus Bispar, eigentlich sogar seit dem Vorfall mit Johann, völlig verstummt war, regte sich leicht. Irgendwann würde sie rausfinden, wie man diese Geheimtür öffnete. Und dann würde sie ihm einen Streich spielen können, besser als alles, was sie in Bispar zustande gebracht hatte, und das würde lustig sein. An dieser Stelle schalteten sich Überlebenswille und Vernunft in ihr inneres Gespräch und erinnerten sie dann, dass er erstens ihr Mentor, zweitens ein ziemlich mächtiger Magier und drittens ein sehr großzügiger Mann war, der es nicht verdient hatte, geärgert zu werden. Und wie seine bisherigen Schimpftiraden gezeigt hatten, war er zudem ein sehr beeindruckender Mann, der sie gehörig zusammenstauchen würde, wenn sie es übertrieb. Sie legte die Streichpläne also lieber erstmal beiseite und betrat stattdessen nur innerlich schmunzelnd das Esszimmer, in dem William bereits einen Eintopf mit Gemüse und Kartoffeln auf den Tisch gestellt hatte.

Mitras saß auf seinem üblichen Platz, und William hatte links neben ihm für Kira gedeckt. Da sie aber von Abby wusste, dass Tobey heute unterwegs war, und sie ihre neue Geheimlehrerin nicht allein an ihrer Tischseite sitzen lassen wollte, nahm sie sich ihr Gedeck, schob es über den Tisch und setzte sich ohne ihn anzusehen Mitras gegenüber neben Abby, die ihr den Teller abnahm und vom Eintopf auffüllte.

Dass sie sich von ihm wegsetzte, stach Mitras ein wenig ins Herz, zeigte es doch, wie sehr er sie heute Morgen noch zusätzlich gekränkt hatte. Sich entschuldigen zu müssen, kratzte an seinem Stolz, aber sein Verhalten war wirklich unangebracht gewesen. Die Härte gestern Abend und sein ablehnendes Verhalten, das hatte sie nicht verdient, das war nicht er, und diesen Fehler musste er korrigieren, auch wenn es ihm schwer fiel. Er räusperte sich und blickte sie direkt an: „Ich denke, ich muss mich bei Ihnen für die Härte der gestrigen Zurechtweisung und mein Benehmen heute Morgen entschuldigen.“

Kira schaute von ihrem Teller auf. Er musste was? Sie schüttelte den Kopf. „Sie waren nicht hart, Magister. Ich habe nicht gelernt.“ Ihre Gedanken purzelten ein wenig durcheinander, da sie innerlich noch irgendwo zwischen den Überlegungen, wie man hier im Haus ein wenig chaotische Verwirrung wie zuhause stiften konnte und dem Gefühl von Dankbarkeit, sich so sicher zu fühlen, dass sie sich solche Gedanken überhaupt machen konnte, gefangen gewesen war.

Mitras fuhr unbeirrt fort:Ich stehe dank einer ganzen Serie von Fehlschlägen mit meinen neuesten Experimenten sehr unter Druck und habe diesen an Ihnen ausgelassen und das haben Sie nicht verdient. Insbesondere habe ich Sie ja selbst dazu ermutigt Pausen zu machen und dass Sie diese dann so produktiv genutzt haben, ich denke, dafür stehen wir alle in Ihrer Schuld. Die Kekse waren außerordentlich gut.“ Er hielt inne und schaute sie an. Sie sah verwirrt aus, gar nicht niedergeschlagen. Langsam verarbeitete sein Gehirn ihre Erwiderung. „Aber das stimmt doch gar nicht! Kira, Sie haben mit dem Vortrag über die magischen Pflanzen ein großes Interesse und eine schnelle Auffassungsgabe gezeigt. In diesen Vortrag ist deutlich mehr Arbeit geflossen, als ich es bei so manchen Schüler in meiner Zeit an der Akademie beobachten konnte.“

„Und hart war er bestimmt auch“, kommentierte William von der Seite. „Er ist immer ungenießbar, wenn irgendwas mit dem Elektrum oder dem Generator ist.“ Kira blickte von einem zum anderen. Ja, sie hatte gestern geweint, und für eine Weile hatte sie Mitras auch verflucht. Und heute morgen war auch unangenehm gewesen, aber so ungenießbar, wie William ihn gerade darstellte, war er ja gar nicht gewesen. Er hatte nicht gebrüllt, sie nicht geschlagen, sie nicht als völlig unnütz, nicht als Trollgezücht, Hexenbiest oder ähnliches bezeichnet. Er hatte nur festgestellt, dass sie in Mathe fürchterlich schlecht war und dass das für eine Kaufmannstochter ziemlich ungewöhnlich und, nunja, peinlich war. Aber nachdem sie heute gesehen hatte, wie leicht einige der Aufgaben eigentlich waren, waren Mitras Worte von gestern eigentlich wirklich keine Beleidigung gewesen, sondern eine etwas deutlich vorgebrachte Tatsachenfeststellung. Und eben gerade hatte er sie gelobt, trotz seines Stresses hatte er ihrem Vortrag also doch richtig zugehört. Sie schüttelte wieder den Kopf. „William, deine freundschaftliche Beziehung zu deinem Herrn in Ehren, aber ich denke, was er im privaten zu mir gesagt hat, kann ich selbst am besten beurteilen. Er war zurecht über meine Leistung in Mathematik unzufrieden, und mir wird so ein Fehler nicht wieder unterlaufen.“ Sie schaute Mitras direkt an. „Magister Mitras, vielen Dank für das Lob. Ich möchte wirklich gern die Akademie bestehen, und ich habe bereits begonnen, mich um das Aufarbeiten des Stoffes zu kümmern.“ An dieser Stelle grinste sie ein bisschen und schielte zu Abby hinüber, die ihr Grinsen erwiderte. „Ich bin nicht aus Zucker, und berechtigte Kritik ist zum Lernen notwendig“ zitierte Kira einen alten Spruch von Bruder Harras und realisierte in diesem Moment, wie wahr er eigentlich war. „Alle Mitglieder dieses Hauses geben mir wertvolle Unterstützung und ich werde mich bemühen, dafür ebenfalls beste Leistungen zu zeigen.“ William pfiff anerkennend durch die Zähne. „Ha, verzeiht, Mylady. Aber eine Frage: Sind wir uns wohl eigentlich einig, dass du 18 und nicht 28 bist?“ Kira blickte ihn verwirrt an. Was hatte das mit ihren Leistungen zu tun? „William!“, schalt Abby und strich über Kiras Arm. „Er meint, dass du zu erwachsen sprichst und zu wenig auf Spaß aus bist. Aber mit 18 sind andere Mädchen schon 3 Jahre verheiratet, also finde ich es schon richtig, dass du Kritik ernst nehmen willst. Nur denk daran, was ich dir vorhin gesagt habe: Spaß muss auch sein. Und du musst dich auch nicht unhöflich anranzen lassen, von niemandem“, fügte sie mit einem scharfen Blick zu Mitras hinzu, der bereits mehrfach angesetzt hatte, etwas zu sagen, aber nicht zu Wort gekommen war. Kira nickte und schmunzelte in sich hinein. Sie würde lernen und gut sein, aber ja, sie würde auch Spaß haben. Gerade hatte sie ja auch Spaß an ihrem kleinen Geheimnis vor Mitras. Jemanden ärgern zu können oder etwas zu verbergen war eben lustig, auch wenn das Gegenüber das nicht immer verstand.

Mitras blickte sie ein wenig überrascht an und lächelte dann. Seine vorbereitete Predigt zur Mathematik konnte er sich wohl sparen. Und auch Williams und Abbys Kritik stach nicht mehr so, stellte er verblüfft fest, seitdem sie ihn so energisch in Schutz genommen hatte. Manchmal vergaß er über all die Freundschaft, dass er eigentlich ja der Herr in diesem Haushalt war, und meistens war es ja auch ganz gut, dass er es vergaß. Aber von einer strebsamen und überaus wortgewandten Schülerin verteidigt zu werden, war wirklich auch nicht übel. „Nun, die beiden haben jedenfalls recht, Sie sind deutlich reifer als die meisten Schülerinnen in Ihrem Alter.“ Warum schmunzelte sie eigentlich so, fragte er sich. Und was war da zwischen Abby und ihr? Die beiden hatten doch eindeutig einander zugezwinkert. Wahrscheinlich hatte seine schlaue Haushälterin Kira mit Mathe geholfen, kam ihm in den Sinn, und er kam nicht umhin, sie für ihr verborgenes Eingreifen zu bewundern. Deswegen war Kira den ganzen Morgen im Gesindehaus gewesen! Er notierte sich innerlich, Abigail einen kleinen Zuschlag zum Gehalt in diesem Monat zu geben, immerhin arbeitete sie nicht nur an den Kleidern, sondern gab wohl auch noch Nachhilfe, und das am Silenz. Er schaute Kira an und sagte: „Aber ich muss Sie trotzdem nochmal ermahnen, die Mathematik wird nicht leichter werden und wir sollten zusammen überlegen wie wir Sie darauf vorbereiten. Lineare Verhältnisse sind nur der Anfang und wenn ich richtig vermute, wird Abigail Ihnen nur auf den ersten Metern des Weges helfen können. Ich werde Sie wahrscheinlich nicht im vollen Umfang selbst unterweisen können, deswegen habe ich mir bereits überlegt, einen Lehrer für Sie einzustellen.“

Kira wusste nicht, ob sie schuldbewusst, wütend oder enttäuscht sein sollte. Woher wusste Mitras, dass Abigail ihr geholfen hatte? Sie blickte zu ihr hinüber, doch Abby zuckte nur mit den Schultern und schüttelte den Kopf. Mühsam rang Kira mit ihrer Beherrschung. Einerseits war die Tatsache, dass er ihr kleines Geheimnis so schnell durchschaut hatte, sicherlich ein Zeichen, wie schlau ihr Mentor war. Sie würde viel von ihm lernen können. Andererseits war es wirklich ärgerlich. Wie sollte sie ihn ärgern können, wenn er alles durchschaute? Wo blieb da der Spaß? Eine kleine Stimme in ihr säuselte leise, dass es ihr recht geschehe, einmal an einen Meister zu geraten, den sie nicht gleich austricksen konnte, denn andere ärgern sei sowieso nicht gut und kein tugendhafter Spaß. Sie nahm einen großen Löffel voll Eintopf und kaute daran herum, um die Stimme zum Schweigen zu bringen und Mitras nicht antworten zu müssen. Dafür wasch ich aber die Wäsche, ohne dass er es merkt, beschloss sie bockig. Das muss ich nur besser planen!

Sie wirkte nun doch etwas eingeschnappt, Mathematik schien ihr wirklich keinen Spaß zu machen, dachte er. Aber gut, ihre restlichen Leistungen lagen weit über dem Durchschnitt. Solange Mathematik ihre einzige Schwäche war, sollten die zehn Monate locker reichen. Außerdem kam es ja letztendlich auf ihre Verwandlungszauber in der Prüfung an, nicht auf die Mathematik.

„Gut, genug von der Ausbildung, ich musste wegen meiner Experimente die geplante Tour absagen, nicht aber das Abendessen. Sie werden meine Schwester also heute Abend doch noch kennenlernen.“ Kira blickte auf, deutliches Interesse im Gesicht. „Dann sollte ich besser eines der neuen Kleider tragen?“  Er dachte kurz nach, Frederieke war eigentlich kein so förmlicher Mensch, aber er war neugierig auf die neuen Kleider. Abbys Stilsicherheit stand außer Frage, aber was hatten die beiden ausgesucht und wie sah es an seiner Schülerin mit den roten Haaren aus? Außerdem, ergänzte die Stimme der Vernunft, wäre es auf jeden Fall eine gute Übung, um Etikette zu lernen. Obwohl Frederieke solche Versuche wahrscheinlich durch ihre Abneigung aller formalen Gegebenheiten schnell zunichte machen würde. „Ja, warum nicht.“ Kira nickte. „Ist Ihre Schwester auch magisch?“, fragte sie. „Nein, ich bin der einzige und soweit ich weiß auch der erste Magier in der Familie Venaris.“ Kira lächelte ihn ein wenig scheu an. „Dann hatte der Schulleiter ja Recht, als er sagte, wir beide hätten etwas gemeinsam.“ Thadeus hatte das wahrscheinlich deutlich abwertender gemeint, als sie es verstanden hatte, aber es stimmte. „Ja, in der Tat.“ antwortete er ihr, lächelnd. Einen Moment lang sahen sie sich in die Augen, dann wurde sie rot im Gesicht und blickte scheu zur Seite. Süß ist sie auf jeden Fall, dachte er kurz und scholt sich sofort für diesen Gedanken. Sie beendeten das Mittagessen in friedlichem Schweigen, das Abby und William nach einer Weile mit einem eigenen Gespräch füllten. Er ging nach einer kurzen Verabschiedung wieder ins Labor zurück, um weitere Zauber durchzugehen.

Kira ging nach dem Mittagessen nach oben und setzte sich in den Sessel am Fenster. In ihr tobten recht widersprüchliche Gefühle. Mitras hatte sie gelobt, für ihre Leistungen insgesamt und für ihren Vortrag zu den Pflanzen. Er hatte also doch zugehört, das machte sie glücklich. Gleichzeitig ärgerte sie sich, dass er sie und Abby gleich durchschaut hatte. Sie bewunderte ihn aber auch dafür. Und dann war da noch dieser Moment gewesen, als er ihr in die Augen geschaut hatte und sie bemerkt hatte, dass seine Augen ganz blau waren, mit kleinen Tupfern von eisgrau darin, und ziemlich gut aussahen, wenn er dabei lächelte, und sie hatte einen Moment lang das Gefühl gehabt, in diesen Augen zu versinken. Sie vergrub ihren Kopf zwischen ihren Händen. Dieses Gefühl von angezogen werden war ihr völlig neu. Er war schlau, und offenbar auch gutherzig und er hatte sich sogar für ein kleines bisschen rauen Tonfall bei ihr entschuldigt, das zeigte auch Größe, aber er war ja ihr Mentor. War es nicht ziemlich unanständig, sich dann von seinen Augen so angezogen zu fühlen? Warum sollte man sich überhaupt von einem Mann angezogen fühlen? Letztendlich waren Männer diejenigen, die die Welt bestimmten, über die Frauen bestimmten und taten, was sie wollten, sich nahmen, was sie wollten… hatte sie nicht geschworen, nie einem Mann gefallen zu wollen? Und jetzt saß sie hier und fragte sich, wie sie wohl von diesen Augen gesehen würde. Sie stöhnte leise und rieb sich die Stirn. Was war nur los mit ihr? Für einen kleinen Moment erlaubte sie sich, sich vorzustellen, er wäre nicht ihr Mentor und sie hätte die Akademie abgeschlossen. Ob er sie wahrnehmen würde? Dann schob sie diese Gedanken rasch von sich. Sie war magisch begabt, kein Mann würde ihr mehr Befehle geben können, sie war frei. Keine Heirat. Keine Familie. Und schon gar nicht angefasst werden. Lernen, Forschen, das war doch das Leben, von dem sie geträumt hatte, und sie würde es bekommen, dank Mitras, William und Abigail. Und irgendwie auch dank Johann, realisierte sie, und ein bisschen von ihrem Hass schmolz dahin. Ohne ihn wäre ich ja auch nicht hier. Und dann müsste ich mich jetzt auch nicht fragen, was ich denn jetzt gleich anziehe. Und das ist ja schon eine ziemlich luxuriöse Frage. Sie stand auf und ging zum Schrank, dabei fiel ihr Blick auf den Niggel, der immer noch auf dem Bett lag. Sie schaute auf die Uhr. Es war ja erst ein Uhr Mittags, und sie hatte noch viel Zeit bis zum Abendessen. In Mitras Haus galten wohl viele Regeln nicht, aber der Niggel enthielt ja auch Kapitel über Familienbanden und -umgang. Wenn sie es richtig einschätzte, würde Rieke, Mitras Schwester, sich in diesen komischen, warmherzigen, ständelosen Haushalt gut einfügen, und dann wären Tipps zum Umgang mit Menschen, die sich wie entfernte Verwandte erwiesen, wohl ganz gut. Sie zog sich bis auf die Unterwäsche aus, kuschelte sich ins Bett und nahm das Buch. Die Frage nach der Kleidung war eigentlich ja auch schon durch die Auswahl geklärt: Das Sternenkleid war noch nicht umgenäht, also blieben nur das burgunderfarbene und das grüne mit den Rüschen. Und da das grüne den moderneren Schnitt hatte und ihre Taille schön zeigte, würde sie das nehmen. Zufrieden über ihre Entscheidung schlug sie den Niggel auf, suchte sich das Kapitel über Familien und begann zu lesen.

Mitras kam gut voran. Er hatte einen einfachen Wärmezauber auf einen seiner Elektrumzylinder gewirkt, aber eben so, dass nur eine bestimmte Region um ein paar Grad erwärmt wurde. Die Wärme breitete sich zwar langsam im Material aus, aber durch einen einfachen Magie erkennen Zauber konnte er den verzauberten Bereich genau beobachten. Zunächst blieb die Verzauberung an Ort und Stelle, dann aber fing sie an zu wandern. Er ging seine Geräte durch und stellte zufrieden fest, dass der Fluß der Magie sowie die Position des Zaubers genau aufgezeichnet wurden. Er verstand die Magie dahinter nicht genau, Hellsicht war nicht seine Stärke und Geräte wie diese oder auch die Spiegel konnte er beim besten Willen nicht selbst herstellen. Das war zwar etwas frustrierend, aber wenigstens konnte ihm in der Verwandlungsmagie kaum jemand etwas vor machen. Immerhin hatte er es geschafft, einen komplett neuen Stoff zu erschaffen. Es war zwar kein Gold, aber ohne dieses neue Element wäre die Legierung, aus der das Elektrum bestand, nicht möglich gewesen.

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass er fast den ganzen Nachmittag durch gearbeitet hatte. Es war nun 17 Uhr und seine Schwester würde bald ankommen. Er überprüfte noch einmal alles, aber so wie es jetzt aussah, konnte er den Zauber sich selbst überlassen und sich auf die Geräte verlassen. Er ging in seine Gemächer und begann sich umzuziehen. Auch wenn seine Schwester die Förmlichkeiten in Adelskreisen nicht ausstehen konnte, so hatte sie doch eine Schwäche für Mode und schöne Kleider im speziellen. Er würde ihr also den Gefallen tun und sich ein wenig herausputzen. Er legte sich die Einzelteile auf dem Bett zurecht: Beginnend mit einfachen, blank polierten, schwarzen Lederschuhen mit weißen Strümpfen, dazu eine schlichte schwarze Hose aus weichem Seidenstoff. Es kam nicht viel gutes aus den Dschungeln im Süden, aber Seide wollte er nicht wieder missen, auch wenn sie sehr teuer war. Das türkisfarbende Hemd, dass er dazu legte, hatte eine um eine Handbreit nach rechts versetzte Knopfzeile und passte so irgendwie nicht zu Krawatten. So war es aber Mode und Krawatten konnte er eh nicht ausstehen. Der Kragen des Hemdes war steif übergeklappt und ragte nur schmal hoch, mit einem einzelnen Knopf an der Seite. Die Weste, die er dazu tragen wollte, war schwarz mit einem leichten silbrigen Schimmer. Auf der Knopfseite war der Ausschnitt ein wenig verschoben, so dass die Knopfzeile teilweise frei lag. Er hatte schon Leute gesehen, die dazu eine ebenfalls versetzte Fliege trugen, aber das gefiel ihn so gar nicht. Über Hemd und Weste würde er ein leichtes Seidengehrock, ebenfalls Türkis, tragen. Er hätte ja lieber etwas schlichteres gewählt als diesen doch schon sehr grellen Rock, aber so trug man es gerade nun einmal. Kira hatte, soweit er wusste, bereits drei angepasste Kleider, aber auch wenn er auf die anderen neugierig war, hoffte er, dass sie sich für das grüne entscheiden würde. Er mochte das Kleid und fand, dass es ihr besonders gut stand. Das Läuten der Tür schreckte ihn aus seinen Gedanken heraus. Er war mit dem Ankleiden genau rechtzeitig fertig geworden und ging nun, um seine Schwester zu begrüßen.

Er öffnete seine Zimmertür und fand Kira im Türrahmen ihres Zimmers vor. Sie musste gerade erst herausgetreten sein, wirkte aber sehr unsicher. Er blickte sie an und ließ seine Augen einmal von oben nach unten wandern. Sie hatte ihre Haare teilweise nach hinten geflochten, wodurch ihr schmales Gesicht und die, wie ihm jetzt auffiel, hellgrünen Augen, die von leichten Sommersprossen umgeben waren und die sie dezent geschminkt hatte, besonders zur Geltung kamen. Dazu trug sie Ohrringe, die ähnlich der ihm schon bekannten Kette aus Muscheln geschliffen waren und eines der zwei anderen Kleider. Zu seiner Freude sah es aber dem grünen Kleid, das er schon kannte und mochte, sehr ähnlich. Das Oberteil lag eng an, war aber an der Brust mit Rüschen verziert, die sich auch in den leicht aufgebauschten Ärmeln wiederfanden. Es betonte ihre Oberweite, ohne vulgär zu wirken, fand er. Der Rock folgte der neusten Mode und hob die Taille hervor, indem er nach hinten hin ausladend wurde. „Sie sehen außerordentlich hübsch in dem Kleid aus, kein Grund schüchtern zu sein, kommen Sie. Wir gehen zusammen runter.“ sagte er und lächelte sie aufmunternd an.

Kira spürte, wie ihr die Röte leicht ins Gesicht stieg. Sie versuchte, möglichst freundlich zurück zu lächeln und spürte, wie ihr Herz klopfte. Ihr Magister sah umwerfend gut aus, fand sie, elegant und lebendig, aber auch ein wenig geheimnisvoll. Und sein Lächeln… Dass er ihr Kleid und ihre gesamte Aufmachung gut hieß, floß ihre Kehle herunter wie warme Milch und löste im Bauch ein leichtes Kribbeln aus. Gleichzeitig verspürte sie Erleichterung, immerhin hieß das, dass sie auch diesen ersten Test in Gesellschaftsdingen bestanden hatte. Mitras hielt ihr den Arm hin, und sie hakte sich ein und ließ sich von ihm die Galerie entlang führen.

Unten im Hausflur stand eine hochgewachsene Frau in einem blauen Kleid mit roten Stickereien. Sie hatte braune, glatte Haare, die sie zu einem Zopf geflochten hatte. Als sie den Blick nach oben zur Galerie wandte, konnte Kira zwei Dinge feststellen. Erstens sah ihr Gesicht dem von Mitras erstaunlich ähnlich, wie eine weibliche Version von ihm, und zweitens hatte sie ein strahlendes, ungemein einnehmendes Lächeln. Sie war etwas schmaler als der Magister, aber wenn Kira sich nicht täuschte war sie größer als er, das ließ sich aus der Perspektive von der Treppe herab aber nicht so genau sagen. Das  Kleid, das sie trug, war aus einem feinen, glatten Stoff gewebt, fast so wie die Sachen, die Mitras anhatte, und war ähnlich dem geschnitten, das Kira selbst trug. Auffällig war allerdings der Schmuck, den sie im Haar und an den Ohren trug: Die Ohrringe waren kleine, goldene Bäume, die mit roten, glitzernden Steinen besetzt waren, und im Haar trug sie goldene Klammern, an denen kleine Blüten aus Gold saßen, in deren Mitte ebensolche Steine in größerer Ausführung funkelten. Kira war sich sicher, dass dieser Schmuck mehr wert war, als ihre Eltern in einem ganzen Jahr, vermutlich sogar in mehreren Jahren, verdienen konnten. Und Mitras Schwester trug ihn nicht zu einem Ball, sondern zu einem zwanglosen Familienabendessen!

Mitras strahlte nun richtig, wie Kira mit einem raschen Seitenblick feststellte, und wurde die letzten Treppenstufen schneller, so dass Kira nicht mehr hinterher kam und sich von ihm löste. Er umschlang Frederiekes Taille mit den Armen, wirbelte sie eine halbe Drehung herum und rief: „Rieke!“ „Hallo, lieber Bruder, ich freue mich auch, dich zu sehen.“ sagte sie lachend und etwas atemlos, als er sie wieder absetzte. „Es ist schön dich zu sehen und es tut mir Leid, dass ich den Ausflug absagen musste.“, entschuldigte Mitras sich, und seine Miene wurde rasch wieder ernst. „Meine Experimente liefen schlecht und nun muss ich die Ursache herausfinden und einen Bericht an die Generalität verfassen, bevor sich einer von deren stümperhaften Blitzewerfern noch selbst in die Luft sprengt.“ Kira blieb zögernd auf der Treppe stehen. Mitras drehte sich nun wieder zu ihr herum und sagte: „Und das hier, Frederieke, ist meine neue Schülerin Kira Silva aus Bispar. Zukünftige Magierin der Gilde der Heil-, Verwandlungs- und Veränderungsmagie.“ Kira knickste höflich wie vor einer Gleichrangigen. Sie war sich eigentlich gar nicht sicher, wie sie und Frederieke zueinander standen. Bis vor ihrer Entdeckung als Magierin war Kira zwar vom gleichen Stand wie sie gewesen, nämlich nicht adelig und frei, aber gemessen am Reichtum war Frederieke ihr offenbar haushoch überlegen. Die Tatsache, dass Kira magisch war, adelte sie zwar und erhob sie somit über die nichtadelige Frau, nur hatte sie bisher außer einem fürchterlich schief gelaufenen Zauber nichts bewiesen, also war sie als Discipula der reichen Handelstochter vermutlich gleichgestellt. Frederieke lächelte sie freundlich an und erwiderte den Knicks. „Hat mein Bruder also endlich mal jemanden, der sein Haus nicht nur erwärmt, sondern auch aufhellt! Ich freue mich, Sie treffen zu dürfen!“ Kira wusste nicht recht, was sie mit der Bemerkung anfangen sollte, aber sie spürte Wärme und Herzlichkeit und antwortete daher ehrlich: „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Die ältere Frau blickte sie einen Moment prüfend an. „So, und da wir uns jetzt vorgestellt haben, lassen wir die ganze fürchterliche Förmlichkeit doch einfach. Du gehörst jetzt ja quasi zur Familie, also nenn mich Rieke.“ sagte sie dann resolut, öffnete die Arme und zog die verblüffte Kira an sich. Diese stand völlig überrumpelt da und wusste nicht recht, was sie sagen sollte. Hilfesuchend blickte sie zu Mitras, doch der lachte bei ihrem Blick nur. „Tut mir leid, vielleicht hätte ich Sie warnen sollen. Meine Schwester kann diese ganze Förmlichkeit nicht ausstehen und ist auch generell ein sehr herzlicher Mensch.“ Kira nickte. „Ähh… danke?“, sagte sie, zu Frederieke gewandt. „Tut mir leid, ich bin nicht gewohnt, dass Menschen so freundlich zu Fremden sind. Aber ich glaube, Ihre ganze Familie scheint so zu sein. Ich bin auf jeden Fall von den Geistern gesegnet, bei solchen Menschen zu landen.“ Frederieke lachte und zuckte mit den Schultern. „Na, wenn du die Aussage nicht irgendwann nochmal bereust. Mein Bruder hier ist ein ziemlicher Einsiedler, da hilft auch alle Freundlichkeit nicht, da versauert man glatt.“ Sie grinste Mitras herausfordernd an. „Aber jetzt bin ich ja da. Und wenn es zu eintönig wird, bringe ich meine Kinder mit, dann ist es nie langweilig.“ Mitras verdrehte die Augen, er schien nicht so der Freund kleiner Kinder zu sein. Kira hingegen fand die Aussicht, mit Kindern spielen zu können, ziemlich reizvoll, sie mochte Kinder. „Wo essen wir?“, fuhr Frederieke fort. „Ich freue mich schon den ganzen Tag auf Williams Küche.“ „Im Saal“, antwortete Mitras und öffnete die Türen, verbeugte sich möglichst steif und sagte mit einem ironisch versnobten Unterton: „Wenn ich die Damen nun bitten dürfte. Es ist angerichtet.“ Frederieke ignorierte seinen Ton und seine Verbeugung und klatschte freudig in die Hände, um an ihm vorbei in den Saal zu eilen. Kira fragte sich, wie alt sie war. Sie wirkte fast selber noch kindlich in ihrem direkten und aufgedrehten Verhalten, aber sah eher wie Mitte zwanzig aus. Auf jeden Fall war sie ganz anders als alle, die sie sonst kannte. Sie folgte ihr in den Saal, der tatsächlich von Abigail und William vorbereitet worden war. Der Tisch war für sechs Personen gedeckt und auch ein wenig dekoriert mit getrockneten Blumen und einigen Steinen auf einem langen Läufer. Tobey saß bereits an der rechten Seite und wurde von Frederieke freundlich begrüßt. Mitras folgte Kira und deutete ihr mit einer Handbewegung, sie solle sich neben Tobey setzen. Er selbst setzte sich mit Frederieke ihr gegenüber. Abby, die ihnen gefolgt war, nahm von einem Beistelltisch eine Flasche Wein und begann, die Gläser zu füllen. Nicht lang danach trat auch William herein und brachte einen Braten und diverse Beilagen, die die Gesellschaft alsbald auf den Tellern hatte. Kira genoß das Essen. Frederieke plauderte mit William, Abby und Tobey, und ab und zu neckte sie ihren Bruder, der jedoch ihre Spitzen mit würdevollem Schmunzeln versickern ließ. Kira entspannte sich. Sie kannte solche Familienessen zumeist nur als Spießrutenlauf, bei denen erbittert diskutiert wurde, wer in der vergangenen Woche sich am meisten verdient gemacht hatte, und natürlich war sie immer diejenige gewesen, die, obwohl sie im Haus und Garten durchaus viel gearbeitet hatte, als am wenigsten verdienstvoll angesehen wurde, denn Hausarbeit brachte nunmal kein Geld ein. Hier jedoch schien es wirklich um das Zusammensein zu gehen, um das gute Essen, um den Austausch von Informationen. Es war neu, aber Kira wusste, dass sie diese Art von Familienessen ab sofort jeden Silenz vermissen würde.

Als sie beim Nachtisch saßen – geeiste Früchte mit einer hellen, sehr leckeren Soße mit einem Gewürz, das Kira nicht kannte – wandte sich Rieke wieder an Kira. „Du kommst also aus Bispar, ja? Das ist in der Provinz Burnias, oder?“ Kira nickte. „Ja. Ich bin überrascht, woher kennen Sie es?“ Rieke runzelte missbilligend die Stirn. „Du, bitte, ja? Du brauchst mich nicht zu siezen, da komme ich mir wie eine alte, runzelige Frau vor. So viel Spießigkeit steht höchstens meinem Bruder hier. Ja, Bispar – meine Familie ist im Schmuckgeschäft, und ich habe vor einigen Jahren eine Reise durch die Nordprovinzen gemacht, um neue Partner für den Erwerb von Baumgold zu finden. Hat Mitras dir nichts von seiner Familie erzählt?“ Kira schüttelte den Kopf. „Aber das ist ja auch etwas eher privates…“ „Es ist so typisch!“, beschwerte Frederieke sich, ihren Einwand ignorierend. „Also, in Kürze: Unser gemeinsamer Vater handelt mit Schmuck und Edelsteinen, und seitdem unser Land nun schon seit über 72 Jahren keinen Krieg mehr gesehen hat, ist das auch ein recht erträgliches Geschäft. Ich hatte das Glück, in genau diesem Bereich meinen Mann Niclas zu treffen, der ein Künstler und Goldschmied von besonderer Güte ist. Diese Ohrringe zum Beispiel, die hat er mir zur Geburt unserer Tochter geschenkt.“ Sie zog einen ihrer Ohrringe vom Ohr und reichte ihn Kira, die nun sah, dass die kleinen roten Steine Äpfel darstellten. „Es ist wunderschön, und so unglaublich filigran gearbeitet.“, sagte sie, und reichte den Ohrring vorsichtig an Rieke zurück, die über das Lob sichtlich zufrieden war und den Ohrring vorsichtig wieder ansteckte. „Die Blüten im Haar hat er dann gemacht, als unser kleiner Julius kam. Ich trage sie oft, wenn ich zur Familie gehe, weil es für mich Familienschmuck ist. Nicht, dass du denkst, ich müsse hier mit dem ganzen Gold angeben.“ „Du tust es aber trotzdem“, sagte Mitras trocken, woraufhin Frederieke schnaubte und eine Serviette nach ihm warf. „Ich habe wenigstens Kinder und sehe meine Familie täglich. Und was siehst du? Steine und Metall und William! Nicht mal Papa guckt so viel auf irgendwelche Steine wie du!“ „Abby und Tobey sieht er auch manchmal“, wandte William ein, was Frederieke und Abby zum Lachen brachte, selbst Kira musste grinsen und Tobey hustete plötzlich verdächtig. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, wandte sich Frederieke an Kira: „Was machen deine Eltern?“ „Sie handeln auch, allerdings haben wir nur einen kleinen Kontor und einen Laden im Dorf, in dem man alles notwendige zum Leben kaufen kann, Töpfe, Pfannen, Kleidung und auch allerlei Lebensmittel. Mein Vater und meine Brüder reisen auch viel, um Waren aus unserer Gegend in den Süden zu bringen, und meine Mutter führt dann den Laden und die Geschäfte im Dorf.“ „Oh, stammt deine Familie dann noch von den Skir ab, wegen deiner Haare und wenn deine Mutter die Geschäfte daheim regelt?“ Kira wurde rot. „Nein, ich glaub nicht. Meine Haare sind vermutlich einfach nur eine unglückliche Laune der Natur. Außer mir sehen alle normal aus, und meine Großeltern stammen aus Flate. Zumindest die, die ich kenne. Mein Großvater väterlichseits ist aus Pasrino nach Burnias gesiedelt, als das Land gerade neu erschlossen wurde, weil ihm vom neuen Lehnsherren in Lührenburg die Handelslizenz zugesprochen worden ist, aber er starb vor meiner Geburt, und meine Großmutter…“ Kira dachte kurz nach. „Über sie weiß ich eigentlich nichts. Sie starb, als mein Vater noch jung war. Lebte Ih… deine Familie immer schon im Hochland?“ Rieke nickte. „Unser Stammbaum reicht sogar noch ins alte Reich, und alle waren immer Händler. Mario, unserer ältester Bruder, wird den Schmuckkontor übernehmen, so dass „Venaris – Gold und Edelsteine“ nicht aussterben wird. Hast du Geschwister?“ „Ich habe auch zwei Brüder, einen älteren, Adrian, und einen jüngeren, Torge.“ „Oh, dann vermissen die dich jetzt bestimmt, oder?“ Kira schaute nach unten und schwieg einen Moment. „Weiß ich nicht…“, sagte sie dann leise. Sie spürte die Blicke aller am Tisch auf sich ruhen. „Adrian war nicht da, als der Unfall passierte, und Torge und ich… naja… wir sind noch nie so gut miteinander ausgekommen.“ „Das kommt in allen Familien vor“, half Tobey ihr aus der Verlegenheit. „Ich hab auch einen Bruder, den ich wirklich nicht leiden kann.“ Abby lachte. „Du hast aber auch acht Brüder und zwei Schwestern!“ „So viele?“, staunte Kira, dankbar, das Thema wechseln zu können. Tobey schmunzelte. „Na klar! Meine Eltern haben fleißig dazu beigetragen, das große Reich Rorestadia zu vergrößern… dumm nur, dass die Hälfte ihrer Kinder dann nach Albion ausgewandert ist.“ Er nahm sich noch einen Schluck Wein und erzählte dann zu Kiras Begeisterterung eine Geschichte aus seiner Kindheit, bei der sie den zweitjünsten Bruder der großen Familie einmal auf einem Markt vergessen hatten und beinahe ohne ihn wieder nach Hause gefahren wären. „Bei so vielen Kindern, sagte meine Mutter, ist es wie mit einer Schachtel Mehlwürmer – ob einer fehlt, siehst du erst, wenn du sie alle auf die Angelhaken gefädelt hast!“ Alle lachten, aber Kira fiel auf, dass Mitras zwar schmunzelte, aber dabei nicht Tobey, sondern sie anschaute.

Mitras lauschte Tobeys Geschichte nur mit einem halben Ohr. Er kannte sie schon, ebenso wie Abby und William, aber normalerweise hörte man den Geschichten von Tobey auch dann gerne zu, wenn er sie zum dritten Mal erzählte. Tobey war ein begnadeter Erzähler. Doch etwas an Kiras Antwort auf seine Schwester hatte ihn stutzig gemacht. Unfall. Warum bezeichnete sie ihre Magieentdeckung – denn davon hatte sie ja offenbar gesprochen – als Unfall? Seines Wissens nach hatte sie einen Dorfjungen, einen jungen Adeligen aus der Provinz, angegriffen und ihm im Gerangel die rechte Hand samt Sehnen und Knochen verbogen. Der Bericht sprach davon, dass sie bereits vorher durch zahlreiche aggressive Handlungen gegenüber den Dorfbewohnern aufgefallen sei, deswegen hatte er bisher nicht weiter hinterfragt, warum sie einen Kameraden angegriffen haben könnte. Doch so wie er sie kennengelernt hatte, konnte er sich dieses Bild von ihr immer schlechter vorstellen. Der Bericht und seine Beobachtungen passten einfach nicht zusammen. Ebensowenig wie die Bezeichnung eines von ihr ausgehenden Angriffes als Unfall. Er beobachtete sie, wie sie mit vom Wein geröteten Wangen da saß und über Tobeys Erzählung kicherte. Sie wirkte einfach nicht aggressiv. Sie hatte geweint, als er sie kritisiert hatte, nicht sich verteidigt, das passte doch nicht zu einer eher aggressiven Person. Des Weiteren hörte er aus ihren doch sehr sporadischen Erzählungen von zu Hause heraus, dass sie wenig Anschluss an das Dorf oder ihre Familie hatte. Warum bezeichnete sie ihre roten Haare als unnormal, ja sogar unglücklich? Er hatte immer gedacht, Skirvorfahren zu haben, sei in den Provinzen völlig normal. Im Osten lebten ja auch viele Menschen, die zuvor zum Reich Roestadia gehörten und Angshire Vorfahren hatten. Konnte es sein, dass die Familie sie ausgeschlossen hatte, vielleicht auch, weil sie anders aussah? Von ihrem Bruder Adrian wohl nicht, ihre Stimmfarbe klang liebevoll, wenn sie vom ihm sprach. Er würde wohl weiter gute Gelegenheiten abwarten müssen, um mehr von ihr zu erfahren. Bis er von Titus was hören würde, könnte es noch Wochen dauern. 

Tobey beendete seine Geschichte und gähnte dann. „Meine lieben Herrschaften, Ladys, es freut mich, euch erheitert zu haben, aber ich werde mich verabschieden müssen.“ Rieke schaute auf die Uhr. „Ach, herrjeh, ja. Mitras, kannst du mich noch zum Kutschenstand begleiten? Es ist schon so spät und ich habe Niclas versprochen, nicht zu spät nach Hause zu kommen.“ Mitras nickte. Der Kutschenstand war an der großen Kreuzung, eigentlich musste man nur einmal um das Haus herumgehen, aber im Dunkeln war es definitiv besser, sie nicht alleine gehen zu lassen. Sie lösten die Tafel auf, die Geschwister zogen sich Mäntel an und traten nach draußen in die kalte, leicht verregnete Winternacht. „Sie ist nett, deine neue Schülerin.“, sagte Rieke, als sie um die Ecke bogen. „Ja, das ist sie, aber sie ist auch sehr in sich gekehrt und taut nur langsam auf. Irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass einige Geheimnisse sie umgeben. Ich habe mir jedenfalls noch keine abschließende Meinung gebildet. Sie weist aber ein großes Potential auf. Das nächste Jahr wird jedenfalls interessant.“ Rieke lächelte. „Geheimnisse, huh? Vielleicht ist sie auch einfach 18, das erste Mal weit weg von zuhause und von deinem ständigen Siezen und deinem Gehabe einfach verschüchtert. Du siehst immer überall Komplotte und Verschwörungen, seitdem du bei Thadeus in die Lehre gegangen bist. Aber entspann dich doch einfach. Das Schicksal hat dir eine schöne Schülerin mit viel Potential ins Haus gespült. Da kannst du dich auch einfach mal freuen.“ „Ja, aber…“, setzte Mitras an. „Shhh!“ Rieke legte ihm einen Finger auf den Mund. „Mach mal kein aber. Genieß einfach, dass du jetzt wieder eine hübsche Frau hast, mit der du deine magischen Tricks und Spielereien diskutieren kannst. Vielleicht fällt ihr ja auch was ein, wie sie dir helfen kann mit deiner ganzen Paranoia.“ Mitras zweifelte, dass Kira ihm bei irgendwas eine Hilfe sein würde, zumindest nicht in diesem ersten Jahr, aber er wusste auch, dass es nutzlos war, Rieke zu widersprechen. Auch nicht darin, dass Magie nicht aus Tricks bestand. Also winkte er ihr eine Kutsche heran, verabschiedete sich und ging dann rasch wieder nach Hause. Das Wetter war wirklich ungemütlich, da wollte man auf keinen Fall länger draußen bleiben.

Kira war bereits nach oben gegangen und Abby war Tobey nach drüben gefolgt. Nur William räumte noch in der Küche auf. Er dankte ihm noch einmal für das wunderbare Essen und  wünschte eine gute Nacht. Oben  in seinen Gemächern machte er sich kurz frisch, zog sich halb aus und ließ sich nur noch in einem Unterhemd und der Hose auf einen Sessel fallen. Vielleicht sollte er auf seine Schwester hören und die ganze Sache etwas entspannter angehen. Kira war ja nun wirklich nicht auf den Kopf gefallen. Aber eines ließ ihn keine Ruhe, was hatte seine Schwester gesagt? Er hatte jetzt eine hübsche Frau im Haus? Er dachte an Claudia, seine erste Partnerin. Sie hatte nie in seinem Haus gelebt. Vielleicht war das auch ein Grund gewesen, warum ihre Beziehung nie recht geklappt hatte, warum sie letztendlich seinen Heiratsantrag so theatralisch abgelehnt hatte. Seitdem war er wirklich ziemlich alleine. Auch seine alten Freunde hatte er schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, fiel ihm auf. Früher hatten sie sich öfters getroffen, als sie noch zur Schule gingen, zum Lernen und für die anderen, körperlichen Annehmlichkeiten, aber die Arbeit am Elektrum und am Generator hatte ihn die Einladungen immer wieder ausschlagen lassen – und irgendwann hatte es wohl keine mehr gegeben. Er seufzte. Seine Schwester hatte Recht, er war zu oft allein. Und jetzt war da Kira. Sicher ihm war schon öfter aufgefallen, dass sie auf eine gewisse Weise schön anzusehen war, aber er hatte noch nie richtig darüber nachgedacht. Nein, du hast es nicht zugelassen, dass du da näher drüber nachdenkst, schoß es ihm durch den Kopf. Unruhig ob dieser Gedanken setzte er sich an seinen Spiegel und ehe er so recht wusste wieso, hatte er die Formel gemurmelt, die nötigen Gesten vollführt, den Spiegel am geheimen Siegel berührt und ließ seine Magie hineinfließen. Eine weitere Bewegung später sah er in Kiras Zimmer. Sie hatte das Kleid ausgezogen und saß in ihrem Unterkleid am Schreibtisch, fast schon außerhalb des Winkels, den er einsehen konnte, und blätterte in einem Buch. Von hier konnte er nicht sehen in welchem, aber es musste wohl eines der Lehrbücher sein. Auf dem Nachttisch entdeckte er ein Buch, dass er noch nicht kannte, sie hatte die Bibliothek also schon genutzt. Warum auch nicht. Ein wenig Zerstreuung war sicher nicht verkehrt. Ich sollte auch mal wieder etwas entspannendes lesen. Während er noch über die Auswahl seiner Bücher nachdachte, stand sie auf und ging quer durch den Raum. Sie ging in die Toilette und kam nach kurzer Zeit mit einem Krug wieder heraus und stellte ihn auf den kleinen Tisch mit der Schale. Sie drehte sich mit dem Rücken zu ihm zum Kleiderschrank und fing an, ihr Untergewand zu öffnen. Mitras registrierte es in Gedanken versunken erst gar nicht, was er da sah, und dann waren ihre Schultern schon entblößt. Das Kleid glitt langsam an ihr herunter und legte ihren Rücken frei. Er staunte ob der makellosen, hellen Haut und war ganz hingerissen von dem Anblick. Als das Kleid dann aber auf ihre Hüften glitt und sie es vollends nach unten streifen wollte, kam er wieder zur Besinnung und realisierte, was er da gerade tat. Er wischte so schnell über den Spiegel, dass er dabei eines der Duftfläschchen, die daneben standen, herunter riss. Es klirrte zu Boden, brach aber den Geistern sei Dank nicht. Fluchend bückte er sich, hob es wieder auf und starrte dann einen Moment auf sein Spiegelbild, das nun wieder zu sehen war. Eine hübsche Frau. Herrjeh, was hatte Frederieke da nur angerichtet!

Im Waschbecken stand noch ein Rest kaltes Wasser. Er nahm sich etwas davon und spritzte es sich ins Gesicht, um wieder klar zu werden. Immerhin musste er sich auch noch um den Generator kümmern. Dieser Gedanke kühlte ihn noch besser ab als das Wasser. Zähneknirschend machte er sich fertig und begann in seinem Zimmer mit der nötigen Meditation. ​​​​​​

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