Am nächsten Tag erwachte Kira bereits früh, was nicht so verwunderlich war, sie war auch zeitig ins Bett gegangen. Es war noch still im Haus, also griff sie sich ihr Lehrbuch des Tages „Wort und Sinn“ und begann noch im Bett zu lesen. Der Titel hatte ihr nichts gesagt, aber sie stellte schon nach einigen Seiten fest, dass das Thema – Philosophie – sie durchaus interessierte. Albion hatte schon vor vielen hundert Jahren den Staat und die meisten gesellschaftlichen Strukturen von religiösen Anwandlungen befreit, doch es waren viele starke philosophische Schulen geblieben, deren Kenntnis zumindest für den Adel und das höhere Bürgertum selbstverständlich zur Allgemeinbildung gehörte. Im Fernunterricht war es aber kein wichtiger Bestandteil gewesen – nur ihr Sprachenlehrer hatte zeitweilig darauf verwiesen und bemängelt, dass es für die „schöne Kunst von Geist und dem eleganten Ausdruck des Denkbaren in wohlgefälligen Worten“ zu wenig Raum im materialbasierten Unterricht gäbe, denn „nur das Gespräch von Angesicht zu Angesicht kann den Geist erwecken und die Seele erquicken, wohingegen das geschriebene Wort seiner Seele beraubt und mechanisch zu werden droht“. Schon in der Einleitung hatte Kira das Gefühl, dass ihr alter Lehrer mit dem vorliegenden Werk seine wahre Freude gehabt hätte. Die Sätze klangen elegant und tiefgründig, aber die Gedanken dahinter waren komplex, manchmal auch verborgen. Manche Sätze musste sie mehrfach lesen, einige las sie sich sogar selbst vor, um den Sinn zu verstehen. Obwohl es keine gute Bettlektüre war, genoß sie die Herausforderung. Nach einer Weile stand sie allerdings ganz auf, zog sich erstmal an und setzte sich dann an den Tisch, damit sie nebenbei Notizen machen konnte. Bis sie Mitras gegen acht auf dem Gang hörte, hatte sie bereits eine kleine Tabelle angelegt, in die sie die vier großen Strömungen zur Frage, was gutes Handeln sei, eintragen wollte und eine Liste mit Namen der Philosophen angelegt, die im Text erwähnt wurden. Sie legte ihr Material beseite und ging in den Flur. Mitras lief vor ihr, und sie grüßte ihn, was er freundlich erwiderte. Gemeinsam gingen sie zum Frühstück, wo Abby sie bat, für eine Anprobe ins Gesindehaus zu kommen.
Kira folgte ihr gleich nach dem Frühstück dorthin, und Abby präsentierte ihr stolz die fertige Robe. „Du kannst sie hier im Haus tragen, wenn Mitras mit dir übt. Sie ist zur Magieausübung gedacht, die silbernen Fäden helfen angeblich bei der Konzentration oder so.“ Kira drehte sich stolz und bewunderte sowohl den feinen Stoff als auch die Tatsache, dass Abigail sowohl den klassischen Schnitt eindeutig getroffen hatte als ihm auch einen frischen, weiblichen Anstrich zu geben. Danach sollte sie das geblümte Korsett anprobieren, und Abby ruckelte ein wenig an den Stäben herum, erwärmte sie, steckte sie wieder in die Taschen und formte sie, so dass sie sich ganz an Kiras Körperbau anpassten. Zum Schluss steckte sie noch den passenden grünen Rock ab, dann war es schon Zeit fürs Mittagessen. Mitras war nicht da, also aß Kira mit Abby, Tobey und William und ging dann nach oben, um weiter zu lernen.
Nach dem Frühstück machte Mitras sich für seinen Besuch bei der Schule fertig. Er wählte eine eher schlichte Robe, die eher für das Labor als für einen öffentlichen Anlass geeignet war, fügte aber ein paar Details wie das königliche Siegel und einem Satz Manschetten, die er von Nathanael geschenkt bekommen hatte, hinzu. Thadeus wurde nicht müde auf seinem Titel herumzureiten, aber sein Kleidungsstil war eher schlicht. Das pompöse lag ihm nicht, in diesem einen Punkt waren sie sich tatsächlich einig. Mitras hatte diese Robe bewusst gewählt, nicht weil ihre Schlichtheit Thadeus imponieren könnte, sondern weil sie schlicht bequem war und er sie sich für diesen Anlass erlauben konnte.
Er verabschiedete sich noch bei William und verließ das Haus Richtung Droschkenstand. Er hatte Glück,der Kutscher Julius hielt gerade hier und er mietete ihn für die Fahrt zum Schulgebäude. Die Schule war gar nicht so weit weg, aber er hatte nicht die Ruhe die Strecke zu Fuß zu laufen. Die Gilde hatte ihre Gebäude erst vor zehn Jahren bezogen und hatte dabei die Schule von Uldum mit der Zentrale der Gilde zusammen gelegt. Er selbst war noch in der alten Schule unterrichtet worden, aber nun bildete das Gildenhaus mit den Schulgebäuden und den dazu gehörenden Wohnhäusern für die Internatsschüler einen eigenen Campus am Rande des Aristrokratenviertels und der Stadt. Die Bezeichnung Gildenhaus war dabei sehr bescheiden gewählt, war das Gebäude doch eines der größten der Stadt. Nur einige der wichtigeren Ministerien und der neue Palast waren größer. Selbst das Gildenhaus der Elementarmagier war kleiner, was aber primär daran lag, dass die Gilde der Verwandlung schlicht die Wohlhabenste der Magiergilden war. Frieden war gut für das Geschäft.
Das Gildenhaus war das Verwaltungszentrum der Gilde. Es beherbergte die Sitzungsräume des Gildenrats, das Büro der Gildenadvokaten und das des Schatzmeisters und das Gildenarchiv mit der großen Bibliothek. Letztere war durch einen kurzen Gang mit der Schulbibliothek verbunden. Sein Freund und Mentor Nathanael hatte es vor ein paar Jahren geschafft und war zum Magus gewählt worden, dem Leiter der Gilde. Leider begann seine Amtszeit erst nachdem sein Vorgänger Thadeus zum Leiter der Uldumer Schule ernannt hatte. Nathanael hätte ihn nie ernannt, so aber war Thadeus noch an dieses wichtige Amt gekommen. Offiziell standen die Leiter der fünf Schulen in der Gilde auf einer Stufe mit anderen Würdenträgern, wie dem Schatzmeister oder dem Gildenrichter. Da die gildeninterne Forschung aber von den Professoren und deren Mitarbeitern an den Schulen durchgeführt wurde, standen die Schulleiter fast auf einer Stufe mit dem stellvertretenden Gildenleiter. Die Schule in Uldum konkurierte dabei immer mit der in Berg darum, die wichtigste der fünf Schulen zu sein.
Die eigentliche Schule bestand aus vier Gebäuden. Zwei davon waren große Hörsäle, dann gab es noch ein Seminargebäude und das Hauptgebäude, in dem unter anderem die Schulbibliothek und die Verwaltung und damit auch Thadeus Büro untergebracht waren. Die Räumlichkeiten des Schulleiters lagen im Erdgeschoß. Eine Sekräterin kündigte ihn an und Mitras trat ein. Genauso wie seine Kleidung, hielt Thadeus auch sein Büro sehr schlicht. Es wurde von einem simplen, großen, aber trotzdem eleganten Schreibtisch dominiert. Vor diesem standen zwei einfache Sessel, während Thadeus in einem etwas größeren saß. An den Wänden standen Regale voller Bücher und Akten.
„Guten Morgen, Erzmagier di Hedera.“ begrüßte Mitras seinen verhassten Meister förmlich. „Ah, guten Morgen Mitras. Hat sich deine neue Schülerin schon gut eingelebt?“, fragte Thadeus in einem abfälligen Tonfall. Mitras hatte sich vorgenommen Kiras hohen Wissensstand nicht zu erwähnen und die Matheprobleme weiter aufzubauschen. Thadeus hatte vor gehabt ihm ein faules Ei unter zu schieben und Kira dabei komplett unterschätzt. Sollte er ruhig weiter glauben, dass Kira nur ein dummes Mädchen vom Land war, er würde es ihm schon zeigen. Kira hatte Potential und wenn er sie richtig ausbildete, sollte sie die Aufnahme ohne Probleme schaffen und auch einen ser guten Abschluss erreichen. „Sie weist einige Defizite in der Mathematik auf und ist noch recht verschüchtert von der Größe Uldums, aber das wird schon noch“, erwiderte Mitras mit einem leicht resignierenden Tonfall. Der Erzmagier verzog säuerlich das Gesicht, „Nun, vielleicht habe ich dir zuviel zugemutet. Deine Forschungen werden sich ja nun intensivieren müssen, sonst hättest du dich nicht von der Generalität hierher schicken lassen. Ich bin mir nicht sicher, ob ein derart unerfahrener Magister beiden Aufgaben gewachsen ist und es wäre doch schade, wenn das Händlersmädchen dadurch noch stärker benachteiligt wird, als es eh schon der Fall ist, so ganz ohne professionelle Vorbereitung durch ein erfahrenes Elternhaus. Wäre es da nicht sinnvoller, wenn du dich ganz auf deine Schülerin konzentrierst und deine Forschung samt Patent an einen erfahreneren Magister abgibst? Wobei …“ Thadeus grinste ihn gemein an. „Selbst wenn du deine Zeit nur auf sie verwendest, wird sie scheitern. Immerhin habe ich für deine Ausbildung auch zwei Jahre gebraucht, zwei verlorene Jahre. Da wirst du es wohl kaum in einem schaffen.“ Mitras ignorierte die Aussage, die Generalität hätte ihn geschickt. Es stimmte, auch wenn er es nicht zugeben wollte. Stattdessen erwiderte er das Grinsen mit einer wegwerfenden Handbewegung. „Oh, keine Sorge, ich bin sehr wohl im Stande beides zu meiner vollen Zufriedenheit und zum besten meiner Discipula auszufüllen. Im Übrigen, an wen würdet Ihr die Forschung denn weiter geben wollen? Ich musste meine Sicherheitsvorkehrungen schon stark ausbauen. Wollt ihr es gleich eurem Fehlschlag von einem Protegé di Porrum überreichen? Ich hatte erst kürzlich wieder eine spontane ‚Unterredung‘ mit ihm und seinem Bruder und kann nicht befürworten, dass diese beiden auch nur einen Finger an das Elektrum legen.“ Bei den letzten Sätzen spannte sich Thadeus sichtlich an.
Secus war einst, wie Mitras, ein Schüler von Thadeus gewesen. Nur dass er aus einer Magierfamilie stammte und Thadeus ihn deswegen ganz anders behandelte. So hatte er über die Jahre viele Schwächen seines Schülers gedeckt. Erst als bekannt wurde, dass dieser massiven Wissensdiebstahl betrieben hatte, um in den Rang eines Magisters aufzusteigen, hatte Thadeus ihn eiskalt abserviert, oberflächlich zumindest. Thadeus hatte die Untersuchung nach den ersten Gerüchten selbst übernommen und die Verfehlungen seines Schülers aufgedeckt. Sein geradezu skrupelloses Vorgehen hatte dem alten Magus imponiert und da die Stelle des Schulleiters von Uldum gerade vakant war, hatte er Thadeus auf diesen Posten gehoben. Secus hatte in der Folge Reue gezeigt und es war nicht zum Zerwürfnis zwischen den beiden gekommen, noch nicht. Mitras glaubte, dass das ganze ein abgekartetes Spiel gewesen war. Es passte für Thadeus alles zu sehr. Aber nicht einmal ein Jahr später fiel die weitergeführte Freundschaft zu seinem gefallenen Schüler wieder auf ihn zurück.
Thadeus hatte mit seinen Traditionalisten immer weiter Fuß in der Gilde gefasst und hatte es geschafft mit den Konservativen ein Bündnis zu schließen, um den Zugang zur Schule in Uldum auf Schüler mit klarer magischer Abstammung zu begrenzen. Parallel dazu hielt di Porrum eine öffentliche Rede, die geradezu reißerisch kriegstreibend war. Dies führte dann zum Bruch zwischen den beiden, da Thadeus klarer Kriegsgegner war. Die Rede hatte aber auch viele Konservative, ebenfalls eher Kriegsgegner, aufgeschreckt. Trotz des Bruchs führte Thadeus Verbindung zu Secus dazu, dass das Bündnis wieder gelöst wurde und die Traditionalisten die Abstimmung verloren.
Die Gruppierungen innerhalb der Gilde basierten auf den entsprechenden Parteien des Parlaments. Es fanden sich zwar nicht alle Parteien in den Gilden wieder, aber die größten Gruppierungen hatten in Form der Konservativen und der Progressiven ihre Gegenstücke. Einzig die Traditionalisten waren eine rein magische Gruppierung, die es aber mittlerweile in allen Gilden gab. Sie waren Gestrenge, die davon überzeugt waren, dass sich das magische Potential nur durch Verbindungen unter den bereits magischen Geschlechtern steigern ließ und dass Emporkömmlinge, wie sie Magier wie Mitras oder Kira, die aus nichtmagischen Verhältnissen stammten, nannten, zu vermeiden waren. Viele ihrer weiteren Ansichten deckten sich mit denen der Konservativen. Zusätzlich zog sich noch einmal eine weitere Linie quer durch alle Fraktionen im Parlament wie in den Gildenräten, die die einzelnen Parteien innerlich spaltete. Nämlich die nach der Frage ob Albion, gestützt auf seinem technologischen und magischen Fortschritt, expandieren oder den Frieden aufrecht erhalten sollte. Der derzeitige König Elos di Leonidas hielt sich in diesen Fragen derzeit leider weit zurück, was den einzelnen Gruppen zu viel Raum gab, ihre eigenen Pläne voranzutreiben.
Nach ihrem Streit fanden sich Thadeus und Secus auf unterschiedlichen Seiten dieser Linie wieder. Während Thadeus klarer Pazifist war, hatte sich Secus den Bellizisten angeschlossen und drängte wie sein Freund di Scuti sehr auf eine verstärkte Kriegsvorbereitung. Mitras hatte di Scuti mit seinem Angebot an die Generalität gut in die Hände gespielt, was so ziemlich das Letzte war, was er wollte. Er hatte die Wissenschaftler innerhalb der Generalität unterschätzt und war davon ausgegangen, dass sie das Elektrum als neues Material für die Nahkampfwaffenfertigung nutzen würden. Aber dass sie nun magische Waffen erforschten, hatte ihm deutlich vor Augen geführt, wie naiv er gewesen war. Es war so naheliegend – aber er hatte es nicht sehen wollen, war zu sehr auf das Geld aus gewesen. Es nagte jeden Tag an ihm. Thadeus hatte ihn vorher schon nicht gemocht – aber als Mitras Forschungen und seine Nutzungsmöglichkeiten bekannt geworden waren, hatte er Mitras öffentlich als „enttäuschenden Bellizisten“ betitelt, obwohl er genau wusste, dass dies niemals Mitras Absichten gewesen waren. Vermutlich würde er die Forschung nur deswegen übernehmen, um sie zu verzögern.
„In einem Punkt habt allerdings Ihr recht, Erzmagier“, fuhr Mitras fort, nachdem er den kleinen Thriumph ausgekostet hatte, den Thadeus offensichtlicher Ärger bei ihm ausgelöst hatte. „Ich brauche Unterstützung bei der Erforschung des Materials. Meine private Ausrüstung ist gut, aber der Schule stehen da nun einmal noch ganz andere Mittel zur Verfügung. Ich suche weiterhin nach zivilen Nutzungsmöglichkeiten und würde mich über Unterstützung dafür sehr freuen. Der Abfluss an Material zur Generalität ist jetzt schon zu groß und wird sich nun noch weiter vergrößern, da wäre es vom Vorteil, wenn wir dem König etwas präsentieren können, dass ihn davon überzeugt, alle Mittel auf eben diese zivile Nutzung umzulenken.“, führte Mitras sachlich aus. „Ja, das wäre was.“ Thadeus lächelte auf eine seltsame, gemeine Art. „Zu blöd nur, dass sich das Elektrum nur zu zweierlei Arten verwenden lässt, als Waffe und als Spielkram, oder verfolgt ihr immer noch euren lächerlichen Ansatz und spielt mit Elektrizität herum?“ Thadeus hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er die gesamte elektrische Entwicklung für Humbug hielt. Warum echte Kerzen oder gar magische Beleuchtung, wie er sie in seinem Büro einsetzte, durch häßliche Glühbirnen ersetzen? Dass die ärmeren sich Magie einfach nur als Lichtquelle genutzt noch nicht einmal vorstellen konnten und Kerzen teuer waren, daran verschwendete er keinen einzigen Gedanken. Auch für die sonstigen Nutzungsmöglichkeit in Motoren war er viel zu fantasielos.“Wenigstens versucht ihr nicht weiter, noch größere Waffen aus dem Zeug zu machen, wie dieser Brandstifter di Scuti. Ich musste mich neulich mit ihm unterhalten. Da ist wenigstens ein bisschen was von meiner großzügigen Erziehung bei euch hängen geblieben.“ Mitras erwiderte möglichst beherrscht: „Erzmagier, ich kenne eure Meinung dazu. Ja, ich weiß, dass ich diese Bedrohung in die Welt gesetzt habe und glaubt mir, das bereue ich jeden Tag aufs Neue. Aber es gibt andere Nutzungsmöglichkeiten, nur muss das Material dafür umfassender erforscht werden, als es mir bisher bewusst war. Ihr wollt di Scuti eins auswischen? Dann unterstützt mich dahingehend. Ich weiß, was Ihr von mir haltet und glaubt mir, meine Meinung über Euch ist kaum besser.“ Thadeus blickte mit von Wut gerötetem Gesicht auf und zischte ihn derart an, dass Spuckefetzen über den Tisch flogen: „Elender Emporkömmling, wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden!“ Mitras trat einen Schritt zurück und antwortete kühl, demonstrativ das Siegel zurechtrückend: „Vielleicht solltet Ihr euch einmal darauf besinnen, Erzmagier, wen Ihr vor euch habt. Recht meiner eigenen Leistung, bin ich Graf Magister Mitras di Venaris, Träger des königlichen Siegels. Ich bitte Sie nun nocheinmal höflichst, die Machtspiele sein zu lassen und mir die nötige Unterstützung zukommen zu lassen, um die Forschung in die richtige Richtung zu forcieren. Der Magus wird mir in dieser Sache sicher zustimmen und die Generalität sitzt uns beiden im Nacken, nicht wahr?“ Thadeus war tiefrot geworden, die Anspannung ließ seinen Kiefer mahlen. Gerade das Mitras seinen Grafentitel mit einbrachte, hatte Wirkung. Auch den höheren Titel, der eigentlich einem gebürtigen Adligen oder einem Erzmagier vorbehalten war, hatte er verliehen bekommen, als ersichtlich wurde, welchen Verdienst er der Wissenschaft erbracht hatte. Mühsam beruhigte sich Thadeus wieder. „Also gut ‚Lord‘ Mitras. Ich werde sehen, was ich tun kann. Ich habe einige vertrauensvolle Mitarbeiter, die darauf brennen etwas derartiges in die Finger zu bekommen und die diskret und zuverlässig genug sind, die nötige Sicherheit aufrecht zu erhalten.“, presste er zähneknirschend hervor. „Professor di Camino wird sich damit befassen können.“ fügte er schon sichtlich ruhiger hinzu. „Ich danke Euch. Ich kann binnen zwei Wochen die Hälfte der von der Generalität angeforderten Menge bereitstellen. Die andere Hälfte werde ich bis zur Mitte des nächsten Monats liefern können. Sie erhalten Zugriff auf alle meine Forschungsunterlagen, mit Ausnahme der nötigen Formeln zur Erzeugung der Legierung. Da es sich dabei um ein Geheimpatent handelt und es die Sicherheit des Reiches berührt, sehe ich mich außer Lage es aus der Hand zu geben. Aber das verstehen Sie ja sicherlich.“, erwiderte Mitras kalt, aber in einem höflichen Tonfall. „Gut, dann können Sie gehen.“ Mitras verneigte sich knapp, gerade so, dass es noch angemessen war. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, Erzmagier.“
Das war zu einfach gewesen. Insbesondere nachdem Mitras ihm so deutlich gesagt hatte, was er von ihm hielt. Thadeus war ein rachsüchtiger Mann, aber dass er ausgerechnet di Camino damit betraute, war ein klarer Erfolg für Mitras. Sollte es jedenfalls sein, denn di Camino war sowohl in der mineralogischen Alchemie als auch in der Veränderung von Materie ein Meister. Mitras wusste nicht, wo der Professor politisch stand, aber seine Unterstützung bei der Forschung zu erhalten war wertvoll. Zu wertvoll, Thadeus hatte in der Vergangenheit keinen Hehl daraus gemacht, dass er das Elektrum für zu gefährlich hielt und dass er sich keinen sinnvollen Nutzen außer Kriegsgerät vorstellen konnte. Mitras hatte fest damit gerechnet, dass sein Meister versuchen würde ihn und die Forschung an sich zu bremsen. Warum betraute er jemanden, der wirklich kompetent war? Mitras beschloss seinem Freund und Mentor Nathanael einen Besuch abzustatten. Er konnte sicher etwas Licht ins Dunkel bringen. Rasch verließ er das Schulgebäude und ging schnellen Schrittes zum Gildenhaus hinüber. Er kam jedoch nicht weiter als bis zur Sekretärin des Magus, da dieser außer Haus war. Mitras ersuchte sie, ihn um einen Termin zu bitten und ging den Weg nach Hause zu Fuß.
Nathanael war ein bemerkenswerter Mann. Während sein Vater aus einer der alten Adelsfamilien stammte, war seine Mutter aus dem Süden geflohen. Mitras wusste nicht, was die beiden zusammen gebracht hatte, aber nach Nathanaels Erzählungen war sie eine einmalige Frau gewesen. Ihr verdankte er aber auch sein größtes Hemmnis, seinen dunklen Teint. Die Gesellschaft in Uldum war im Allgemeinen recht weltoffen. Das galt aber nicht für die höheren Kreise. Unter den höheren Adligen, insbesondere in den Reihen der Konservativen, herrschte ein latenter Rassismus gegen die Skir und die Menschen des Südens vor und Nathanael hatte diesen oft genug zu spüren bekommen. Auch Kira würde es vielleicht merken, sollte sie weiter aufsteigen. Nathanael hatte sich davon nicht beirren lassen. Als Leiter der Bibliothek hatte er dann letztendlich den vorletzten Magus dazu gebracht, dass Mitras zu Thadeus Schüler wurde. Allerdings hatte er dabei keine bösen Absichten gehabt, wie er Mitras später einmal erzählte. Er hatte Thadeus auf diesem Wege eigentlich davon überzeugen wollen, dass auch Magier ohne langen Stammbaum ein großes Potential haben können. Als absehbar war, dass dieser Versuch gescheitert war, hatte Nathanael den mittlerweile eingeschulten Mitras unter seine Fittiche genommen. Bis zur Einschulung hatte Thadeus, wenn auch unter permanentem Lammentieren, Mitras Ausbildung konsequent voran getrieben. Ein Scheitern seines Schülers wäre auch klar auf ihn zurück gefallen. Mit der Einschulung war Mitras aber selbst für sein Vorankommen verantwortlich gewesen. Jeder anständige Meister hätte trotzdem seine Unterstützung nicht eingestellt, aber Thadeus wollte ihn scheitern sehen.
So hatte er Nathanael kennen gelernt und mit der Zeit waren sie trotz des großen Altersunterschieds gute Freunde geworden. Über seinen Mentor und ihre gemeinsame Geschichte zu sinnieren, lenkte ihn von seinen Sorgen rund um Thadeus Pläne ab, bis er zu Hause war. Er hatte nun noch ein paar Stunden, bis es Zeit für das nächste Lehrgespräch war. Er beschloss sich eine Tasse Tee zu holen, etwas zu entspannen, um auf andere Gedanken zu kommen.
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