Als Kira am nächsten Morgen aufwachte, bemerkte sie als erstes, dass sie ihre Robe noch trug und als zweites, dass ihre Schuhe ausgezogen waren. Sie schloß daraus, dass Mitras sie ohne Abbys Hilfe ins Bett gebracht hatte. Diesmal zog sie sich sorgfältiger an, ehe sie nach unten ins Bad ging, sich gründlich wusch und die Haare bürstete. Es war schon eine Weile her, dass sie sie mit der Schale von Walnuss braun gefärbt hatte, wie sie es üblicherweise tat. Ihre Mutter hatte darauf bestanden, um ihre Haare, diesen „Schandfleck der Familie“ etwas besser überdecken zu können. Nachdenklich ringelte sie eine Locke über die Finger, während sie sich im Spiegel betrachtete. Die Haare waren heller geworden, doch anders als sonst konnte man keinen deutlichen Ansatz erkennen. Stattdessen hatte sie das Gefühl, sie würden nun nicht nur röter aussehen, sondern auch ihre Locken würden mehr werden. Es war schwieriger, sie geordnet in den Zopf zu bekommen. Das war ihr schon gestern aufgefallen, aber sie hatte es auf das flüchtige Kämmen geschoben. Eigentlich gefielen ihr die roten Haare so gar nicht so schlecht. Dann sah sie halt aus wie eine Skir. Na und? Sie beschloß, sich keine neue Farbe zu besorgen. Ihre Mutter hatte sie eh nicht gewollt, und Mitras hatte ebenso wie die anderen im Haus deutlich gezeigt, dass ihnen die Haarfarbe egal war. Dann würde sie eben noch etwas mehr auffallen. Dafür konnte sie ja ofenbar auch einen Generator mitladen. Sie spürte, wie ein neues Gefühl in ihr aufstieg: Stolz. Zufrieden ging sie zum Frühstück. Die nächsten beiden Tage würde sie alles zu den ersten Verwandlungszaubern lernen. Ein wenig aufgeregt war sie schon. In zwei Tagen würde sie richtig zaubern. Sie würde ihren ersten, eigenen, geplanten, richtigen Zauber ausführen. Selbst auf die Theorie in den nächsten beiden Tagen freute sie sich schon!
Mitras erwachte am Mafuristag komplett erholt und früher als sonst. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er das letzte Mal zwei Nächte in Folge durchgeschlafen hatte. Kira schien auch keine negativen Folgen davon getragen zu haben. Im Gegenteil wirkte sie am Mirastag doch deutlich munterer und aufgeschlossener als sonst. Mit den Haaren hatte er sich nicht geirrt, auch im Tageslicht schienen sie nun deutlich heller zu sein. Kira schien es aber nicht bemerkt zu haben, zumindest äußerte sie sich nicht dazu.
Heute hatte er wieder einmal einen Termin an der Schule, diesmal direkt bei di Camino. Er hatte den Professor bisher noch nicht direkt kennen gelernt. Das Elektrum der ersten Ladung war von einem Assistenten in Empfang genommen worden. Er hatte nun angekündigt den Rest zu liefern, den er eigentlich auch vorher schon im Lager gehabt hatte. Allerdings wollte er weder der Schule noch der Generalität verraten, wie viel Elektrum er lagerte. Und diese Lieferung würde seine Vorräte ja nun auch fast ganz erschöpfen. Di Camino hatte ihn zu einem Gespräch eingeladen, um ihre Forschung zu synchronisieren, wie er sich ausgedrückt hatte. Mitras war noch immer skeptisch, der Professor genoß zwar einen guten Ruf, zählte auch nicht zu Thadeus direkten Gefolgsleuten und hatte auch sonst nichts mit den Traditionalisten am Hut, aber irgendwas musste sich Thadeus ja dabei gedacht haben, den Auftrag an ihn zu geben.
Gegen Mittag kam er mit der Ladung an der Schule an. Das Gebäude in dem sich auch die Labore der Professoren befanden, enthielt eine größere Lagerhalle. Mitras beaufsichtigte gerade zwei Gehilfen, wie sie das Elektrum in ein speziell gesichertes Lager brachten, als di Camino dazutrat. „Magister di Venaris, ich grüße Sie. Danke, dass Sie gekommen sind.“ „Guten Tag Professor.“, erwiderte Mitras die Begrüßung. Nachdem die Lieferung sicher verstaut war, lud ihn di Camino zu sich ins Büro ein. Der Professor leitete ihn dorthin und bot ihm Tee an. Der Raum verfügte neben einem Schreibtisch mit mehreren Plätzen davor, auch über eine kleine gemütliche Sitzecke, in die sie sich nun setzten. Di Camino begann erst mit ein bisschen Smalltalk über die Schule, er schien ein recht begeisterter Lehrer zu sein, aber auch die Wissenschaft hatte es ihm sehr angetan. Mitras blieb höflich und ließ es über sich ergehen, dass der Professor ihm diverse Eskapaden seiner Schüler auftischte. „Aber nun gut, Sie sind ja nicht wegen meiner Studenten hier, nicht wahr, Magister?“, wechselte di Camino endlich das Thema. „Ihr Elektrum ist faszinierend. Aber sagen Sie, ist es möglich auch eine Probe des Venariums zu erhalten? Ich habe versucht es aus der Legierung zu extrahieren, aber das scheint nicht möglich zu sein.“ Mitras lachte: „Nein, das ist es nicht, da habe ich mir bereits selbst die Zähne dran ausgebissen, was auch in einer meiner Arbeiten ausführlich beschrieben steht. Das Venarium bindet in flüssiger Form das Silber auch weit über dessen Siedepunkt hinaus an sich und ich habe keine Ahnung, wieso. Aber wenn Sie dieses Geheimnis lüften können, nur zu. Was aber ihre Frage angeht, so muss ich Sie leider enttäuschen. Das Venarium werde ich nicht herausgeben. Es ist auch gar nicht so spannend. Mal abgesehen von seiner enormen Fähigkeit Magie aufzunehmen ist es als Material zu porös, um irgendwie sinnvoll genutzt zu werden. Nein, erst in der Legierung entfaltet es sein volles Potential. Und darum geht es in unserer Zusammenarbeit ja auch. Über die Bezirke habe ich Ihnen ja alles geschrieben, was ich bisher herausfinden konnte. Wie sieht es mit ihren Ansätzen aus? Hat der Dekan Ihnen irgendwas spezielles aufgetragen?“ Di Camino wirkte einen Moment enttäuscht, sammelte sich aber schnell wieder. „Nun, er wünscht die Generalität zu unterstützen. Da dort ja bereits an Waffen geforscht wird, dachte ich mir, dass sich das Material ja sicher auch für die Defensive eignet. Wissen Sie, meiner Familie gehören mehrere Gestüte und wir sind seit jeher stolz auf unsere Schlachtrößer. Beinahe wäre das meiner Familie auch zum Verhängnis geworden. Wie Sie sich denken können, sind meine Familienmitglieder auch alle begnadete Reiter. Mein Großvater hatte vor dem letzten großen Krieg fünf Brüder. Alle Sechs waren Teil eines Reiterregiments, drei von ihnen Magier. Sie wurden nicht gegen die Skir eingesetzt. Zu der Zeit hat Rhodestaria noch einmal versucht das Ergebnis der Westkriege ein bisschen zu korrigieren. Es gab eine Schlacht, nach der sie einsehen mussten, dass selbst ein abgelenktes Albion zu mächtig ist. Der Preis dafür war aber hoch. Von den 50 Reitern des Regimensts sind, mein Großvater eingeschlossen, nur sieben Mann zurück gekehrt. Ihre Aufgabe war es einen Zirkel feindlicher Magier auszuschalten. Meinem Großvater zufolge wurden sie von einer Infantrieeinheit abgefangen. Sie schafften es nicht diese Linie zu durchbrechen und die Magier metzelten ohne Unterschied alle nieder. Es waren wohl so eine Art Telekinese-Magier, Sie wissen ja, deren Schulen ticken ein wenig anders. Jedenfalls haben sie einfach kleine Steinkugeln auf die Kämpfenden geworfen und diese dann beschleunigt. Es muss grauenhaft gewesen sein. Der Zirkel konnte erst später in der Schlacht durch einen Doppelangriff ausgelöscht werden. Die Magier wurden durch eine weitere Attacke abgelenkt und dann alle auf einen Streich von einem Elemtarmagier gesprengt. Bei allen Geistern, ich möchte nie Zeuge eines solchen Gefechts werden, aber wenn es nochmal soweit kommt, dann soll unsere Kavallarie nie wieder so nieder gemäht werden. Das Elektrum bietet Möglichkeiten, Schutzzauber darauf zu legen. Und wenn wir das Springen steuern könnten, dann könnte man noch deutlich mächtigere punktuelle Zauber darauf legen und diese dann immer dahin lenken wo die Gefahr am größten ist. Außerdem ist das Material auch schon so sehr widerstandsfähig. Sehen Sie.“, di Camino reichte Mitras eine dünne Elektrumplatte von vielleicht einem halben Zentimeter Dicke und zehn mal zehn Zentimetern Fläche. Erst bei näherer Betrachtung sah Mitras eine kleine Beule auf der einen Seite. Auf der gegenüberliegenden Fläche war davon nichts mehr zu merken. „Ein befreundeter Magier der Schule der Bewegung hat mir einen Gefallen getan und einige Proben einen Nachmittag lang auf unterschiedlichste Art beschoßen. Dieser leichte Schaden ist alles was dabei herauskam. Ich könnte Ihnen jetzt eine gleichgroße Eisenplatte zeigen, die als Vergleichsziel gedient hat, wenn denn genug von ihr übrig wäre, um noch was zu zeigen, dass über Metallspäne hinausginge.“, fuhr der Proffesor fort. Mitras wog die Platte in seinen Händen. Das Elektrum war ein recht dichtes Material, wobei sich seine Festigkeit teilweise auf eine magische Komponente zurückführen ließ. Mitras hatte schon oft beobachtet, dass das Elektrum, wenn keine Magie zur Formung im Einsatz war, sich regelrecht weigerte verformt zu werden. Es zu schmieden war sinnlos, aber ein Zauber, der eigentlich nur für weichen Ton gedacht war, konnte es die Gestalt ändern lassen, wenn man denn keine Gegenmaßnahmen ergriff. Diese Platte war klein, hatte aber trotzdem schon einiges an Gewicht. Mitras wollte sich gar nicht ausmalen, wie schwer eine ganze Rüstung aus solchen Platten wäre, geschweige denn eine vollständige Kavallarieausführung. Aber das Ergebnis erschreckte ihn trotzdem, auch wenn die Platte deutlich dünner wäre, hätte sie wahrscheinlich eine ähnliche Schutzwirkung. Eine gebrochene Rippe, wo der Einschlag eigentlich den halben Oberkörper wegreißen sollte, machte einen gewaltigen Unterschied. So gerüstete Soldaten, egal ob zu Pferde oder zu Fuß, wären kaum noch aufzuhalten. Allerdings verspürte Mitras auch eine gewisse Erleichterung. Es war ihm völlig unklar, warum Thadeus die Generalität unterstützen wollte, da dieser sich sonst trotz aller seiner konservativen und ständegebundenen Absichten meist sehr gegen kriegerische Handlungen aussprach. Egal, ob die Idee, an der defensiven Verwendung zu forschen nun von di Camino oder Thadeus selbst kam, sie war auf jeden Fall die bessere Wahl, als gute Wissenschaftler eine weitere offensive Waffenidee entwickeln zu lassen. Eine bessere Rüstung erfunden zu haben war vermutlich auch für niemanden ein Grund, einen neuen Krieg vom Zaun zu brechen, und die Geschichte der Schlacht, aus der zu wenig heimkehrten, kannte Mitras, er hatte nur nicht gewusst, dass di Caminos Familie darin so tief verstrickt war. Vielleicht war es einfach nur ein Weg, die Generalität zufrieden zu stellen und etwas Ruhm der Schule zukommen zu lassen? Mitras mochte es zwar nicht recht glauben, aber scheinbar tat sich hier eine echte Unterstützung auf statt eines erneuten Schlachtfeldes.
Die Tatsache, dass sich das Elektrum schon mit einfachsten Zaubern formen ließ, hatte Mitras bisher verschwiegen. Der Generalität hatte er Zauber aus dem Steinmetzbereich empfohlen. Diese waren kompliziert und hatten nur eine beschränkte Detailschärfe. Man konnte damit problemlos Gebäude formen, aber eine Skulptur konnte damit bestenfalls vorbereitet werden. Mittlerweile konnten sie damit Schwerter formen, die dann wiederum mit Schärfezaubern quasi magisch geschliffen wurden. Aber es war nicht möglich derart leichte Platten herzustellen wie di Camino sie im Sinn hatte. Der Proffessor war allerdings keiner der Stümper, die sich bei der Generalität Wissenschaftler nannten. Er würde wahrscheinlich selbst darauf kommen, wie sich das Material so formen ließ und Mitras fiel nichts ein um ihn davon abzubringen. Eigentlich könnte er es ihm genausogut sagen, dann konnte di Camino auch nicht den Ruhm für sich alleine beanspruchen, überlegte er, wurde aber mit einer überraschenden Frage unterbrochen: „Sagen Sie Magister, wie kommen Sie eigentlich mit ihrem Generator voran? Ich hörte, dass es Ihnen gelungen ist schon einen ganzen Block zu versorgen. Man sollte meinen dem Dekan würde dies mehr zusagen, als die Projekte der Generalität zu unterstützen.“ „Erzmagier di Hedera schätzt die Moderne nicht sonderlich. In seinen Augen ist es nichts als eine Spielerei mit Strom, Licht in ein Haus zu bringen. Das könne man ja mit Magie viel besser erreichen.“ Di Camino lachte, „Ja das hört sich ganz nach ihm an. Aber das beantwortet die Frage nicht.“, sagte dieser freundlich. „Der Generator funktioniert gut, das Elektrum birgt aber ein Problem. Es saugt den Bewegungszauber regelrecht auf. Bisher wirkt er maximal zwei und einen halben Tag und das Aufbringen einer neuen Verzauberung ist aufwändig und magiehungrig und muss geschehen bevor der Zauber zu schwach wird. So habe ich im Moment eine effektive Wirkzeit von zwei Tagen. Bei meinen Versuchen, das zu beheben bin ich dann letztendlich auf die Bezirke gestoßen.“ „Oh, das hört sich aber nicht so gut an. Wenn ich das richtig verstehe, werden Ihre Fortschritte also von der Erforschung dieser Bezirke blockiert?“ „Ja, das stimmt und sollten Sie irgendwelche neuen Erkenntnisse sammeln wäre ich auch sehr dankbar, wenn Sie diese mit mir teilen. Ich verrate Ihnen im Gegenzug auch ein kleines Geheimnis.“ Der Professor spitzte beinahe sichtbar die Ohren und sagte eifrig: „Natürlich werde ich Ihnen alles mitteilen, was ich zu diesem Thema finde.“ „Gut, danke. Es ist so, dass das Elektrum deutlich einfacher zu formen ist, als die Generalität annimmt. Aufgrund der hohen Widerstandsfähigkeit gehen sie nur mit Zaubern zu Werke, wie sie von Edelsteinschleifern und Steinmetzen eingesetzt werden. Tatsächlich reagiert es aber auch sehr gut auf deutlich feinere Zauber. Zusätzlich lässt es sich auch durch einfache Zauber, zum Beispiel so einen um Sandskulpturen in Form zu halten, stabilisieren. Sie sehen also, es ist eigentlich ganz leicht, es wie Wachs zu formen und dann die Form dauerhaft zu fixieren.“ Di Camino ergriff seine Hand und schüttelte sie aufgeregt. „Hervoragend! Di Venaris, hervorragend! Warum bin ich da nicht selbst drauf gekommen! Natürlich! Es nimmt ja Magie an!“ „Ich habe mir überlegt, dass auch dieses Verhalten mit den Bezirken zu tun haben könnte.“ Mitras war sich dessen nicht mal sicher, aber wenn di Camino in diese Richtung forschte, würde vermutlich etwas hilfreiches für den Generator dabei abfallen. Der Professor nickte eifrig. „Ich werde danach schauen und es bedenken. Leider muss ich nächste Woche auf die alljährliche Rundreise, Sie wissen schon, einmal Albion abgrasen, alle Sehenswürdigkeiten und so mit den neuen Schülern.“ Mitras nickte. Diese Reise war üblich im ersten Schuljahr. „Anfang Lunar bin ich wieder da. Ich melde mich bei Ihnen, falls ich etwas entdecke.“
Mitras verließ das Haus am Mafuristag schon bald nach dem Frühstück mit einer großen Kiste. Kira wusste, dass er einem Professor der Schule Elektrum bringen wollte. Sie vergrub sich gerade weiter in eines der Bücher aus Mitras Bibliothek über Heilmagie, eines der größten und ältesten Anwendungsgebiete der Verwandlungsmagie, und aß etwas von den Broten, die Abby ihr hingestellt hatte. Die Grundkapitel zur Verwandlungsmagie und zum Zauberwirken im Allgemeinen hatte sie bereits gestern abgeschlossen. Vielleicht war sie dadurch etwas spät ins Bett gekommen, aber so hatte sie nun Zeit, endlich einmal die Bibliothek zu genießen und sich in einige Teilgebiete, die sie interessierten, weiter einzulesen. Morgen sollte sie einen einfachen Zauber wirken, der einen Tonklumpen verformen konnte. Sie war nervös und überlegte schon seit gestern Mittag, welche Form sie sich denn wählen sollte. Man solle die Form gut kennen, hatte im Buch gestanden. Vielleicht eine Muschel wie ihre Kette? Die hatte sie oft in der Hand. Oder einen Ball? War das nicht zu einfach?
Unten an der Haustür klingelte es. Kira ignorierte es, Abby würde öffnen, vermutlich war das nur eine Lieferung. Gerade, als sie die Seite umblätterte, klopfte es allerdings an die Tür der Bibliothek und Abby steckte den Kopf herein. „Kindchen? Ah, da bist du ja. Du hast Besuch.“ „Besuch?“ Kira blickte sie fragend an. Sie kannte doch niemanden in Uldum, wer würde sie besuchen? Sebastian vielleicht? Sie blickte an sich herunter. Sie trug das burgunderfarbene Kleid, ihr Hauskleid von früher war gerade in der Wäsche und das war mit das bequemste, was ihre Gaderobe noch gerade bot, aber es war durchaus repräsentabel, das war gut. „Dea Venaris. Sie ist Mitras Mutter.“ „Seine Mutter?“ Kira fiel fast das Buch aus der Hand. „Warum möchte sie zu mir? Will sie nicht eher zu Mitras?“ Abby schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. „Sie hat gleich nach dir gefragt. Ich habe sie in den Salon gesetzt. Soll ich etwas bringen?“ Kira überlegte fieberhaft. Was wäre in so einem Fall angemessen? Wie sollte sie sich diesem Besuch gegenüber verhalten? „Etwas Tee vielleicht?“ Abby nickte und ging voraus. Kira folgte ihr. Zögerlich öffnete sie die Tür zum Salon und spähte hinein. Vor dem Gemälde der Berglandschaft stand eine ältere Frau mit silbrigen Haaren in einem geschmackvollen Kleid der neusten Mode in Braun- und Rottönen. Sie drehte sich um, als Kira zur Tür hineintrat, und auf den ersten Blick war klar, dass sie wirklich die Mutter von Frederieke und Mitras sein musste. Die Ähnlichkeiten waren einfach nicht zu übersehen, das gleiche freundliche Lächeln und die gleiche Lebendigkeit strahlten von ihr aus. Auch die blauen Augen schien Mitras von ihr geerbt zu haben. Sie kam einige eilige Schritte auf Kira zu, schien sich dann selbst zu bremsen und knickste kurz höflich, wie es für eine nicht adelige Person vor jemandem aus dem Adel üblich gewesen wäre. „Kira, nehme ich an? Ich bin Dea Venaris, Mitras Mutter. Entschuldigen Sie, dass ich Sie so überfalle ganz ohne Ankündigung, aber ich muss mich unbedingt bei ihnen bedanken.“ „Bedanken?“ Kira blickte sie verwirrt an. Dea Venaris lächelte, ergriff ihre Hände und zog sie zu ihrer Brust. „Sie haben meiner Familie einen so unglaublichen Gefallen getan, als sie Mitras geholfen haben. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, welche Sorgen ich mir um ihn gemacht habe. Und stellen Sie sich vor, wie sich mein Mutterherz gefreut hat, als Frederieke heute zu uns kam und berichtete, dass er dank Ihrer Hilfe ganz verjüngt aussehe!“ Kira spürte, wie sie rot anlief. Verlegen drehte sie den Kopf weg. „Frau Venaris, ich bin nur eine Discipula. Ich habe nichts getan, außer meinem Magister zur Hand zu gehen. Den Zauber zur Verjüngung hat er ganz alleine ausgeführt.“ Dea grinste breit und machte eine ausladene Handbewegung, als würde sie ihre Einwände beiseite wischen. „Ah, nein nein, Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr! Frederieke hat gesagt, dass selbst Mitras Ihre Hilfe lobend erwähnt hat, und glauben Sie mir, er lobt sonst nicht so großzügig.“ Sie seufzte. „An der Stelle ist meine Erziehung leider völlig in die Binsen gegangen, dieser arrogante Kerl vergisst manchmal sogar, sich angemessen zu bedanken. Ts, das hat dieser Mistkerl Thadeus ihm beigebracht. Egal. Auf jeden Fall brauchen Sie gar nicht zu leugnen, dass Sie ihm geholfen haben – ohne Sie hätte er sicher noch diesselben Ringe unter den Augen.“ Kira lächelte verlegen. Abby, die gerade mit dem Tee hereinkam, rettete sie vor der Notwendigkeit, eine Antwort geben zu müssen, und sie setzten sich an einen der Tische, die zum Wintergarten hin standen. Dea musterte sie prüfend. „Frederieke hat auch sonst nicht übertrieben. Ich bin froh, dass mein Sohn eine so hübsche und höfliche Gehilfin bekommen hat. Ich hoffe, es geht Ihnen gut hier?“ Kira nickte. „Es ist wundervoll.“ Sie hielt inne. „Und, ähm, danke für das Kompliment.“ Dea lachte freundlich. „Gerne. Sie kommen aus dem Norden, oder? Haben Sie schon Freunde hier? Gibt Mitras Ihnen genug Taschengeld? Die Stadt kann ja recht teuer sein.“ Kira nickte wieder. „Ich fühle mich wohl hier, danke, und alle sind sehr nett. Und Mitras zahlt mir Taschengeld, ja.“ Dea schmunzelte. „Lassen Sie mich raten, 6 Silber pro Monat?“ „Sieben.“ „Ts.“ Lebhaft schüttelte Dea den Kopf. „Das ist nicht viel, wenn man neu in der Stadt ist. Erlauben Sie mir, ihnen eine kleine Summe zu schenken, als Willkommensgeschenk und als Dankeschön für das wundervolle Geschenk, dass Sie mir gemacht haben?“ Kira hatte das Gefühl, dass sie eigentlich kein Geschenk verdient hatte – insbesondere angesichts der Tatsache, wie großzügig Mitras sie schon mit Kleidern überhäuft hatte – aber so, wie seine Mutter es darstellte, wäre es vermutlich sehr unhöflich gewesen, abzulehnen. „Ich habe doch schon die Ohrringe bekommen“, versuchte sie einen kleinen Protest. „Ach, die waren doch nur Anschauungsstücke, und davon kann man sich keinen Kuchen und keinen Kutschausflug kaufen. Nein, schauen Sie…“ Dea griff in eine Seitentasche ihres Kleides und zog eine kleine Börse hervor, aus der sie ein Goldstück nahm. „Damit können Sie sich ein paar nette Nachmittage mit ihren Freunden machen. Oder in die Therme gehen. Auf jeden Fall können Sie sich damit etwas Entspannung gönnen, und das sollten Sie.“ Kira blickte ungläubig auf das Goldstück. Dann hob sie abwehrend die Hände. „Das ist viel zu viel!“ Dea lächelte. „Das kann ja in der Provinz viel sein, aber sie werden feststellen, hier ist es gar nicht so viel.“ Sie legte das Geld auf den Tisch. „Sie können es hier liegen lassen oder annehmen, ich werde es nicht wieder einstecken. Und wenn Sie jemals Hilfe brauchen, ob im Umgang mit meinem Sohn oder bei etwas anderem, kommen sie jederzeit zu uns.“ Etwas erschlagen nickte Kira. Es war auf jeden Fall klar, woher Frederieke all ihre Energie und Fröhlichkeit hatte, die hatte sie offenbar von der Mutter geerbt. Zögerlich nahm sie das Goldstück. „Vielen Dank! Es wäre aber wirklich nicht…“ „Shh!“, unterbrach die ältere Frau sie. „Doch, das war nötig, für mein Gewissen. Und nun werde ich Sie wieder in Ruhe lassen. Kommen Sie jederzeit zu uns, wenn Sie mögen.“ Sie reichte ihr eine Karte mit dem Namen der Familie und einer Adresse, und Kira, die immer noch ungläubig auf das Gold in ihrer Hand starrte, nahm sie geistenabwesend entgegen und verabschiedete Dea Venaris mehr schlecht als recht. Danach saß sie einen langen Moment im Salon und drehte das Goldstück in der Hand. Als der Magister sie aus Bispar abgeholt hatte, hatte sie ihn gefragt, ob Johann geheilt werden konnte. Er hatte ihr kühl und abweisend zu verstehen gegeben, dass das durchaus der Fall sei, man aber den Heilungsmagier aus der Gildenkasse bezahlt habe. Sobald es ihr möglich sei, hätte sie dieses Geld zurückzuzahlen, 5 Gold. Kira hatte gedacht, dass das eine unglaubliche Summe Geld sei, aber da Bruder Harras ihr im Gespräch vorher gesagt hatte, dass sie nun eine reiche Magierin werden könnte, hatte sie sich nicht allzuviele Gedanken darüber gemacht. Sie war einfach nur erleichtert gewesen, keinen langfristigen, irreparablen Schaden angerichtet zu haben. Und nun hielt sie bereits ein fünftel dieser Summe in der Hand. Bruder Harras hatte nicht übertrieben. Oder lag es einfach an der Familie Venaris? Sie dachte an den Abend mit Mitras vor dem Generator. Das Gefühl der Magie war berauschend schön gewesen. Seine Hände auf ihren Armen waren schön gewesen. War nicht allein das eine Belohnung genug? Still schickte sie in Gedanken ein kleines Gebet an die Geister von Wald, Wasser, Erde und Luft, um sich für all das Glück, das ihr hier wiederfuhr, zu bedanken. Die Pflanzen um sie herum schienen ihr wohlwollend zuzumurmeln, und etwas klarer und ruhiger stand sie schließlich auf, nahm das Gold und ging zurück nach oben, um das Geld zu verstauen und weiter zu lernen. Nur noch einen Tag… es dauerte nicht lange, und sie war wieder so nervös und aufgeregt wie zuvor.
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