„Man kann sie verbrennen, so wie früher!“ „Lauretta, sie ist deine Tochter!“ Kira wälzte sich unruhig hin und her. Sie war in ihrem Bett, oder in ihrem Zimmer? Die Umgebung wurde klarer. Ihr Zimmer. In Bispar. Die Nacht nach dem Unfall. Ihr war kalt, und als sie nach unten sah, sah sie, dass sie keinen Rock und keine Hose trug, stattdessen waren ihre Beine mit blutigen Handabdrücken verschmiert. „Tochter! Hexenbiest!“ Deutlich spürte sie die Angst und ihre Verzweiflung, auswegslos, eingesperrt. „Hexe!“ gellte es in ihren Ohren, immer wieder, die Stimme ihrer Mutter, die Stimmen der Dorfbewohner, dann die Stimme von Torge, dann Adrian, dann… warm, nah in ihrem Ohr: „Hexe? Kira?“ Die Stimme von Mitras. Sie drehte sich um. Stand plötzlich auf einer Wiese. Neben ihr Mitras, nicht ganz dort, eher ein Geist, wie aus dunklen, glitzernden Wolken geformt. Wind wehte durch ihre Haare. Mitras legte seine Arme um sie, und sie hatte das Gefühl, dass er alle Angst fortwischte, von ihrer Haut wischte, nur glitzernde Spuren blieben dort, wo er sie berührt hatte, und sie trug ihre Magierrobe, schwebte über der Wiese. „Hexe. Meine kleine Hexe…“, flüsterte er in ihr Ohr.
Sie schlug die Augen auf. Einen Moment lang musste sie sich orientieren. Uldum. Ihr Zimmer in Mitras Haus. Sie war in Sicherheit. Eine freie Magierin. Die Erinnerung an sein Flüstern in ihrem Ohr schickte ein heftiges Kribbeln durch sie hindurch. Wie schön es wäre, wenn er sie wirklich so halten würde… Sie seufzte. War sie verliebt? War sie wirklich in ihren Mentor verliebt? Und wenn ja, war das nicht einfach nur eine Schwärmerei, weil er sie aus dieser Misere befreit hatte, wie in ihrem Traum? Sie lag im Bett und grübelte. Doch je länger sie darüber nachdachte, desto mehr Gründe fielen ihr ein, warum sie ihn so wahnsinnig anziehend fand – und das vermutlich auch, wenn er einfach nur in Bispar zu Besuch gekommen wäre. Verzweifelt grub sie sich in die Decke ein. Da war sie nun eine freie Magierin, musste endlich nicht heiraten, sich nicht mit Männern beschäftigen, und dann traf sie einen, den einen Mann, den sie wirklich spannend fand. Von dem sie sich nicht angeekelt fühle. Von dem sie sich sogar anfassen lassen wollte! Bei den Geistern. So durcheinander. Endlich frei, und dann nicht mehr frei sein wollen, sondern frei sein müssen. Mitras war so viel älter, so mächtig, mit einer kleinen Dorfhexe würde er vermutlich einfach nichts anfangen können. Wenn sie Glück hatte, würde er sie wie Frederike behandeln, wie eine jüngere Schwester… sehnsüchtig und zwischen Verzweiflung und dem Glücksgefühl des Geflüsters im Traum hin und her gerissen, lag sie eine ganze Weile noch wach, ehe sie ein traumloser Schlaf endlich erlöste.
Nach dem Abendessen, zu dem Kira knapp pünktlich kam, weil sie wieder in der Bibliothek gewesen war, bat Mitras Kira zu einer Partie Dame in den Wintergarten. Mittlerweile war sie richtig gut geworden und er genoß die Partien mit ihr. William war nicht so begeistert. Er spielte nur noch aus Höflichkeit mit ihr, da sie ihn fast immer vernichtend schlug. Sie setzten sich auf ihre üblichen Plätze. „Du eröffnest, oh, und ein Tipp, du solltest William zumindest gelegentlich gewinnen lassen. Er ist nicht der beste Verlierer.“ „Oh, ist gut.“ Sie wurde schon wieder rot, stellte er amüsiert fest. Sie begann das Spiel und bot ihm einen fordernden Schlagabtausch. Wie immer waren sie beide in der ersten Partie komplett still und konzentriert. Keiner wollte den anderen gewinnen lassen. Letztendlich triumphierte er aber wieder. „Gut gespielt. So langsam muss ich mich richtig anstrengen. Aber noch bist du zu gut durchschaubar. Vielleicht solltest du Sebastian mal auf ein paar Runden einladen.“ merkte er zwinkernd an und räumte das Brett ab um neu aufzubauen. Ihr Gesicht erreichte in der Zwischenzeit einen neuen Rotton. Anfangs hatte ihn diese Angewohnheit von ihr irritiert, aber mittlerweile war es für ihn fast schon so etwas wie ein Spiel sie so zu necken, dass sie wieder einmal rot anlief. Er achtete aber streng darauf, es nicht zu übertreiben und blieb stets bei harmlosen Scherzen. „Ähm, ja das könnte ich vielleicht machen.“ Mitras lachte. „Ich sagte es ja schon einmal, er ist kein schlechter Kerl und Freunde unter den di Ferrus zu haben ist nie verkehrt. Einer seiner älteren Brüder, Marcus, zählt zu meinen besten Freunden. Ein wahrhaft guter Kerl, auf den immer Verlass ist, und die Baronin wird dich sicher auch sofort ins Herz schließen.“ fügte er schelmisch hinzu. Sie schaute zu Boden und machte eine wischende Bewegung mit der Hand. „Erinnere mich doch nicht daran, dass er ein Baronssohn ist. Ist schon schlimm genug, dass er jedes Mal den Tee bezahlt, obwohl ich jetzt ja auch ein wenig Geld habe.“
Er eröffnete die zweite Partie und versuchte sie ein bisschen über Sebastian auszufragen. Sie schien sich wirklich langsam mit ihm anzufreunden. Mitras deutete dies als gutes Zeichen. Freunde waren wichtig, sie gaben einem Sicherheit und das brauchte sie jetzt. Kira ließ sich von seinen Sondierungen nicht ansatzweise so gut ablenken, wie er sich selbst durch seine Gedanken und gewann das zweite Spiel. „Mitras, das war zu leicht, was lenkt dich ab?“ Mitras war überrascht über diese offene Frage, sonst freute sie sich still in sich hinein. Der gelungene Zauber schien ihrem Selbstwertgefühl endlich ein bisschen dringend benötigten Aufwind gegeben zu haben. „Um ehrlich zu sein, habe ich über deine Kette nachgedacht.“ Er holte sie aus einer Tasche seiner Robe heraus und reichte sie ihr. „Danke, dass ich sie ausleihen durfte. Ich muss gestehen, ich habe mir Sorgen um dich gemacht und einen sehr vertrauensvollen Magier, der sich auf Hellsicht versteht, um Hilfe gebeten. Es tut mir leid, dass ich dich derart ausgespäht habe, aber du hast es ja selbst gesehen, starke Emotionen können deine Fähigkeiten zu Zaubern stark beeinträchtigen. Ich konnte durch das, was mir die Kette gezeigt hat, verstehen, wie übel dir in Bispar mitgespielt wurde. Es tut mir leid das so zu sagen, aber deine Mutter ist eine schreckliche Person. Ich hoffe, die Kette ist nicht von ihr?“ Sie nahm die Kette von ihm entgegen und er konnte förmlich spüren, wie sich ihre Laune eintrübte. „Nein, die Kette ist von Adrian, meinem älteren Bruder. Er hat sie mir von einer Reise mitgebracht.“ Sie saß still da und schaute auf die Kette. Mitras verfluchte sich innerlich ein wenig selbst, ihr die Laune derart getrübt zu haben. „Kira, es ist in Ordnung deiner Familie böse zu sein, allein was deine Mutter in der kurzen Episode von sich gegeben hat… So etwas sagt keine Mutter über ihr Kind, sie haben dich definitiv nicht verdient. Dich und dein Talent.“
Er hatte ihr nachspioniert. Kira wusste nicht genau, was sie fühlen sollte. In ihr tobte ein Sturm. Eben noch war sie entspannt und glücklich gewesen, hatte seine Anwesenheit genoßen. Jetzt fühlte sie sich verraten, hintergangen. Und gleichzeitig irgendwie sentimental, glücklich – weil er sich Sorgen gemacht hatte. Aus Sorge um sie hatte er versucht, mehr über sie herauszufinden. Hätte er nicht einfach fragen können? Sie krallte die Hand um ihre Kette. Sorge? Die Stimmen in ihrem Kopf klangen fast höhnisch. Sorge um dich? Wahrscheinlich eher Sorge um sich selbst. Und was maß er sich eigentlich an, über ihre Familie zu urteilen? Er wusste doch nichts, egal, was der Zauber ihm gezeigt hatte. Nichts darüber, wie viele Verwandten von Lauretta Silva bereits in den letzten Jahrhunderten unter den Schwertern der Skir gestorben waren. Nichts darüber, wie schwierig es war, auf dem Dorf genug zu verdienen, um ein Mädchen auf die weiterführende Schule zu schicken statt sie zu verheiraten. Nichts darüber, wie ihr Vater sich dafür eingesetzt hatte, dass sie von klein auf an bei Bruder Harras hatte lernen dürfen. Nichts davon, wie Adrian sie beschützt hatte – und wie viele Geschäfte dadurch vielleicht nicht zustande gekommen waren, dass er sich für seine kleine Schwester mehr als für den Profit interessiert hatte. Nichts darüber, wie sehr ihre Mutter darunter gelitten hatte, wenn die anderen im Dorf ihr unterstellten, mit einem Skir geschlafen zu haben statt mit ihrem Mann, weil ihre Tochter so anders aussah. Nichts darüber, wie sie Torge mit dem Kopf in den Wasserbottich getaucht hatte, weil sie so wütend auf ihre Mutter gewesen war. Nichts über die endlosen Streitgespräche mit ihren Eltern, die verzweifelt waren, weil niemand ihre Tochter würde heiraten wollen – und jemanden weiteres, der für das familiengeschäft untauglich war, nur durchfüttern war schwierig in einem Land wie Burnias. Nichts. Er wusste nichts. Sie war wild, nicht gehorsam, zu neugierig, seltsam, und sie sah aus wie eine Skir. Natürlich hatte ihre Mutter Schwierigkeiten mit ihr gehabt! Und auch, wenn sie sie dafür hasste, was sie gesagt hatte – ein Teil von ihr wusste, dass auch ihre Mutter kein grundsätzlich schlechter Mensch war. Oder ihr Vater. Nur – in den Worten von Bruder Harras – beschränkter in ihrer Sicht. Wie Mitras gerade. Der sah nur die Oberfläche. Sie schaute hoch. Er saß vor ihr, und seine eisblauen Augen brachten ihr Herz diesmal nicht zum flattern. Sie wirkten einfach nur kalt.
„Wer mich verdient hat, kann ich selbst entscheiden.“
Ihre Gefühle schlugen schlagartig um. Mitras konnte nicht sagen wieso, aber er spürte, dass er sie mit seinen Worten gekränkt hatte. Auf ihre Mutter schien sie hingegen nicht wütend zu sein, trotz allem was ihr diese Frau angetan hatte. „Das stimmt, Kira.“ Er wusste nicht was er dazu sagen sollte. Wäre er an ihrer Stelle, so würde sein Zorn auf diese Frau für den Rest seines Lebens anhalten. Sie betrachtete ihn einen Moment und das Schweigen hing über ihnen, fast greifbar wie eine Wolke.
Er war ratlos. Und wütend. Kira konnte nicht sagen wieso, aber sie konnte spüren, was er fühlte. Er verstand es nicht. In seiner perfekten Welt gab es sowas nicht – Hunger, Dorftratsch, Adelige, die dich straflos töten könnten. Sie dachte an Sebastian, der ihr gerade heute Nachmittag erzählt hatte, wie fürchterlich das Leben als Adeliger sein konnte, vor allem, wenn man es nicht schaffte, mal aus dem goldenen Palast hinauszuschauen. Weil man nur versteht, wofür man Worte hat, und nur Worte hat für das, was man verstehen kann, hatte sie selbst ergänzt und Vergnügen daran gefunden, ihr Wissen aus den Lehrstunden bei Mitras anbringen zu können. Sie schaute ihn wieder an. Er wirkte fast ein wenig nervös, aber offenbar kam es ihm nicht in den Sinn, dass es sie gestört haben konnte, dass er die Kette einfach genommen hatte, um sie auszuspionieren. Denn, das realisierte sie dank Sebastians Erzählungen, er war zwar ohne Dorftratsch aufgewachsen, aber in einer Welt, in der Intrigen auch mit magischen Mitteln ausgefochten wurden und in der Spionage genauso normal waren wie für sie die Tatsache, dass Ingali natürlich allen im Dorf von Kiras Ausrutscher im Moor erzählt hätte, wenn sie nicht von dem seltsamen Nebelstreif abgelenkt gewesen wäre. Sie holte Luft. Freie Magierin und seine Freundin, sagte sie sich. Er hat es verdient, etwas mehr zu verstehen.
„Mitras. Ich bin wütend, weil du meine Kette einfach genommen hast, um so einen Zauber zu wirken, statt mir vorher zu sagen, wofür du sie haben willst. Ich finde es nicht richtig, so im Leben anderer herumzuschauen, schon gar nicht mit Magie und ohne es abzusprechen. Man kann drüber reden, aber was jemand nicht sagen will, sollte geheim bleiben, findest du nicht?“ „Das habe ich nur zu deinem Schutz getan, aber…“ Mitras biss die Zähne zusammen. Im Grunde genommen, hatte er sie in dem Moment wie ein kleines Kind behandelt. Er fühlte sich mies. Da wollte er sie stärken und behandelte sie selbst nicht wie eine geachtete Erwachsene. Einen Moment lang rang er mit sich selber, dann sagte er: „Es tut mir leid. Ja, ich hätte mit dir reden sollen. Aber Kira, verstehe bitte auch meine Beweggründe. Durch Johanns Tat, und wahrscheinlich auch durch das Verhalten deiner Mutter, hast du ein Trauma erlitten. Für einen Magier ist das viel gefährlicher als jede andere Verletzung. Es kann dazu führen, dass dir die Magie entgleitet und du dir und anderen Schaden zufügst. Ich musste mehr darüber wissen, um dir helfen zu können.“ Kira sah ihn einen Moment an, und Mitras hoffte inständig, dass es die richtigen Worte gewesen waren. Dann verzog sich die gefühlte Wolke über ihnen etwas, als sie ihn sanft anlächelte. „Danke, dass du mir helfen willst.“ Sie überlegte einen Moment, dann beugte sie sich etwas vor und sagte leise und mit einem Schmunzeln: „Aber man hilft Menschen am besten, wenn man sie vorher fragt, welche Hilfe sie brauchen, Meister.“ Mitras hatte das Gefühl, sie hätte ihm einen wohlgezielten Tritt in die Magengrube verpasst. Meister. Das war ein Titel für einen vertrauten Lehrer oder Mentor, wie für einen Lehrmeister in einer Ausbildung. Aber gerade belehrte sie ihn – und das auch noch zu Recht! Er kam sich dumm vor. Sein kleines Eichhörnchen da vor ihm war kein kleines, niedliches Eichhörnchen, wurde ihm bewusst – sie war eine erwachsene Frau, schlau, wortgewandt und offenbar auch gütiger als er selbst. Er senkte den Kopf. „Verzeih.“ Einen Moment war es wieder still, dann griff sie seine Hand. „Mitras, ich verzeihe sogar meiner Mutter eine Menge. Warum sollte ich meinem Freund und Mentor nicht verzeihen, dass er sich um mich sorgt?“ Er blickte auf, und ihr Lächeln bohrte sich in sein Herz – so verletzt und so stark zugleich wirkte sie, und er spürte, dass er sie am liebsten an sich gezogen hätte.
Kira spürte, wie seine Verzweiflung und Nervösität abnahm. Seltsamerweise spürte sie sich selbst durch ihre eigenen Worte ebenso gestärkt. Beinahe hatte sie das Gefühl, die Hand von Bruder Harras auf ihrer Schulter zu spüren, sein wohlwollendes Brummen zu hören, wenn sie etwas gut gemacht hatte. Verstehe. Höre zu, verstehe. Verstehe, und verzeihe. Seine Worte machten jetzt beinahe noch mehr Sinn als zuvor. Sie lächelte. Das Gute sehen, das Schlechte verzeihen – das war defintiv etwas, das ihr schon in Bispar geholfen hatte. Das – und ihr Hang zu Streichen. Beinahe hätte sie gelacht, doch das hätte nicht zu Mitras ernstem Gesichtsausdruck gepasst. „Die Kette, Mitras, die ist von meinem Bruder Adrian. Der ist auch Teil meiner Familie. Und es verletzte mich, dass du sagtest, er hätte mich nicht verdient – denn er ist ein guter Mensch. Und ich mag ihn sehr.“
„Da hast du recht. Deinen Bruder habe ich unrecht getan. Du solltest wissen, was ich gesehen habe, war seine Rückkehr. Er ist sehr um dich besorgt. Du solltest dich bei ihm melden und ihm erzählen, was dir widerfahren ist. Am besten, bevor er eines Tages hier hereinplatzt und versucht, dich aus den Händen des bösen Magiers zu befreien.“ Kira lachte. „Das habe ich doch schon! Du hast mir Taschengeld gegeben. Wobei…“ Sie hielt inne. „Seitdem deine Mutter mir das Geld gegeben hat, war ich gar nicht mehr in der Stadt bei diesem Laden mit den Fliegen. Ich wollte ihm eigentlich eine kaufen. Mitras, kann man ein Paket magisch so versiegeln, dass nur eine bestimmte Person es öffnen kann? Ich will nicht, dass Torge die Fliege sieht. Der hat mir auch nie was mitgebracht, wenn er einkaufen war.“
Mitras überlegte. Es gab viele Zauber, die dafür geeignet waren, Güter sicher zu verschicken. „Die Kette ist von ihm, sagtest du? Dann sollte es kein Problem sein. Der personenbezogene Teil ist das Schwerste daran, aber das Versiegeln ist einfach.“ Erst jetzt wurde ihm bewusst, was Kira da noch gesagt hatte. „Warum hat meine Mutter dir denn Geld gegeben? Sie kennt dich doch noch gar nicht richtig? Also versteh mich nicht falsch, sie wird ihre Gründe haben und damit gehört das Geld dir, ich verstehe nur nicht wieso?“ Kira wurde rot. „Äh. Naja, sie wollte sich bedanken, weil ich dir die Energie für diesen Verjüngungszauber gegeben habe… Aber ich werd nicht alles ausgeben, versprochen! Ich leg auch was zurück, um meine Schulden bei der Gildenkasse zu bezahlen!“ „Was für Schulden?!“ Sie schaute ihn verblüfft an. „Naja, die wegen Johanns Heilung. Die hat die Gildenkasse doch vorgestreckt.“ Daran hatte er gar nicht gedacht. Ihn selbst hatte das ja auch nie betroffen, denn die Regel, dass die Gildenkassen Schäden beglich, galt ja nur für magisch begabte Kinder, die bei der Entdeckung mehr machten, als etwas Erde zu formen und sich zudem die Behebung des magischen Schadens nicht direkt leisten konnte. Dennoch konnte er das so nicht stehen lassen. Er wollte ihr wenigstens diesen Druck nehmen. Außerdem war der Bastard ja wohl eigentlich selbst an seinen Verletzungen schuld, dafür sollte sie auf keinen Fall noch aufkommen müssen. „Tut mir leid, daran habe ich nicht gedacht. Ich werde mich schnellstmöglich darum kümmern. Betrachte die Schulden als erledigt, von so etwas sollst du dich nicht ablenken lassen.“ Kira sprang auf und machte eine abwehrende Handbewegung, wobei sie das Spiel vom Tisch stieß. „Magister, nein! So meinte ich das nicht! Ich komme für meine Schulden selbst auf.“ Sie unterbrach seinen Protest mit einer weiteren Handbewegung. „Mitras! Du hast doch eben grad gesagt, dass es dir leid tut, einfach ungefragt zu helfen…“ „Gut, dann betrachte es als mehr als gerechtfertigte Bezahlung für die Unterstützung bei meinem Regenerationszauber. Ich verdanke dir eine Rundumerneuerung. Da ist es ja wohl das Mindeste.“ Kira sah ihn an, er spürte eine Mischung aus Verzweiflung und Staunen. „Äh, fünf Gold? Du hast nicht alle Speere am Ständer, oder? Fünf Gold für einmal Luftholen?“ Mitras lächelte kurz leicht gehässig: „Du hast recht, für eine derartige magische Anstrengung wären zehn Gold angemessener.“ Sie schnappte nach Luft. „Zehn? Mitras, hör auf! Ich helf dir wirklich gerne, ich mach das doch nicht, um reich zu werden, sondern weil du … ich … “ Sie brach ab und wurde rot bis zu den Ohrenspitzen. „Wer redet hier denn von reich werden. Dir bleiben fünf Gold. Das ist ja fast nichts.“ Kurz fühlte er sich ein wenig schuldig so zu protzen. Aber er genoß auch ihr Gesicht. Und sie musste lernen mit größeren Mengen Geld umzugehen, rechtfertigte er sich vor sich selbst. Bei ihrem Potential würde sie sehr schnell, sehr viel Geld verdienen, wenn sie denn wüsste was sie für ihre Dienste verlangen könnte. Und dabei war er noch bescheiden geblieben. Die Regeneration ließ sich auch auf andere anwenden, war dabei aber nicht ansatzweise so erfolgreich. Nichtmagier konnten ihr Leben um gut zehn Jahre verlängern, und legten dafür in zahlreichen Sitzungen jeweils bis zu hundert Gold auf den Tisch. „Fast nichts? Mitras, da kann man sich eine Kuh für kaufen!“ Mitras lachte laut los. Sie mochte vielleicht eine gütige, erwachsene Frau sein, aber sie war trotzdem eindeutig ein Dorfkind. „Ja Kira, das stimmt wohl, aber ich kann mir auch einfach eine Herde mit einhundert Kühen kaufen und merke das noch nicht einmal. Zugegeben, das Elektrum hat dafür gesorgt, dass ich selbst für einen Magier sehr reich bin, aber dass wirst du auch sehr bald nach deiner Ausbildung sein.“ Sie sah ihn an und zog eine Schnute. „Siehst du, und dewegen will ich meine Schulden selbst zurückzahlen. Weil ich es irgendwann kann.“ Sie schaute ihn von der Seite an, merkte wohl, dass er sich davon nicht abspeisen lassen würde. „In Ordnung. Ein Handel? 5 Silber für jeden Abend, den ich dir beim Laden helfe. Und ein Gold für den Regenerationszauber. Du wirst ja nicht mehr geben wollen als deine Mutter.“ Immer noch lachend schüttelte Mitras den Kopf. „Nein. 5 Silber für jedes Laden ist in Ordnung, aber du bekommst 5 Gold für den Regenerationszauber UND ich begleiche bei nächster Gelegenheit deine Schulden bei der Gilde. Anderenfalls musst du damit rechnen, dass du wie William ein Konto bei der Bank bekommst und dort jeden Monat heimlich mehr als 10 Gold landen.“ Sie schaute ihn an. Schüttelte den Kopf. Lächelte. Biss sich auf die Lippe. Rang mit sich, ganz offensichtlich. Er lächelte sie an, ganz der arrogante, reiche Magier, als der er sich gerade fühlte. Es fühlte sich gut an. Auch wenn seine letzte Hilfe sie verletzt hatte, er würde ihr helfen – und zumindest mit Geld konnte er ja ganz gut helfen. Es sollte ihr gut gehen. Letzendlich seufzte sie und sagte: „In Ordnung.“ Leise fügte sie hinzu: „Und danke.“ Er lächelte und hauchte einen Kuss auf ihre Hand. „Danke dir, schöne Frau.“ Innerlich amüsiert über ihre erneute tiefrote Gesichtsfärbung baute er das Spiel wieder auf und begann eine dritte Runde, die er letztendlich auch gewann, weil nun sie ganz offensichtlich von ihren Gedanken abgelenkt war.
Nach der dritten Runde beendete Mitras ihren gemeinsamen Abend, und Kira war ihm durchaus dankbar dafür. Ihre Gedanken fuhren Karussell. Sie zog sich beinahe wie eine Maschine aus, ganz automatisch, und ging ins Bett, während sie versuchte, das Chaos an Gedanken und Gefühlen in sich zu ordnen. Erstens, Mitras war so unglaublich reich, dass es einfach unbegreiflich war. Er hätte wahrscheinlich Bispar aufkaufen können. Wobei man den Kauf von hundert Kühen vielleicht nicht im Geldbeutel, aber ganz sicher im Arbeitsaufwand merken würde. Stadtschnösel. Zweitens, offenbar machte es ihm nichts aus, seinen Reichtum freigiebig zu verschenken. An dieser Stelle spürte sie, wie ihr Schwärmen für ihn sich deutlich vertiefte und sie seufzte schwer. Denn, drittens, behandelte er sie zwar äußerst galant – dieser Handkuss! – aber auch eher wie ein Kind, dass man zu seinem Glück zwingen muss. Sie sollte ihm böse sein, weil er sie nicht ernst nahm, weil er offenbar dachte, alles entscheiden zu können, in ihr Leben einzugreifen, alles anschauen zu können, zu urteilen… aber sie konnte ihm nicht böse sein. Er machte sich Sorgen um sie. Er versuchte, sie zu schützen. Sie drückte sich tief in die Kissen und lächelte selig. In seiner Gegenwart war sie sicher. Er war so ein guter Mann, freigiebig, liebevoll, beschützend… und sie war seine Schülerin. Natürlich behandelte er sie wie ein Kind – aus seiner Sicht musste sie ja wie eine unreife Pflaume wirken. Träumend legte sie die Hand gegen ihre Wange und wünschte sich, er würde sie dort küssen. Wenigstens hatte er ihre Hand geküsst, und es hatte sich gar nicht schlecht angefühlt. Sieh das Gute darin, sagte Bruder Harras Stimme in ihrem Kopf, und sie lächelte und schloß die Augen, dachte an Mitras Lächeln und das sanfte Gefühl ihrer Hand in seiner, an das Gefühl, beschützt zu werden, und ehe sie sich versah, schlief sie bereits.
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