Nachdem sie von Herzog di Pinzon wieder zuhause waren, eröffnete Mitras ihr, dass sie von ihm Mathematikunterricht bekommen würde. Schon übermorgen stehe eine Probestunde an. Mitras sagte zwar, er habe großes Zutrauen in sie, aber Kira saß abends im Bett, streichelte den neuen Mantel und grübelte verzweifelt darüber, wie sie sich am besten darauf vorbereiten konnte, von einem Professor in Mathematik unterrichtet zu werden. Sie durfte auf keinen Fall Mitras enttäuschen. Natürlich war sie in den letzten Wochen durch das ständige Training mit Abby besser geworden, aber würde sie einen Professor davon überzeugen können, dass er mehr als diese eine Probestunde opferte? Mitras hatte gesagt, dass Christobal sie prüfen würde… Herrjeh. Eine Prüfung in Mathe. Und das schon in zwei Tagen. Letztendlich kuschelte sie sich ganz in den Mantel und zwang sich zur Ruhe. Sie würde schlafen, essen und dann den Silenz nutzen, um sich in die weiteren Themen des Mathematik-Lehrbuchs zumindest ein wenig einzulesen. Aber sie würde nicht denselben Fehler nochmal machen, sich vor Stress bis zur Erschöpfung zu verausgaben. Mitras glaubte an sie…. ein kleines bisschen flatterte es in ihrer Magengegend bei diesem Gedanken und sie gab sich diesem Gefühl hin, die eine Hand fest in ihrem wundervollen Mantel ihres wundervollen Mentors verkrallt, die andere um den Achat um ihren Hals gelegt. Ihr wundervoller, reicher, großzügiger, schlauer Mentor glaubte an sie. Es dauerte nicht lange, bis sie in einen traumlosen Schlaf hinüberglitt.
Am Morgen des Miras wurde Kira von Mitras selbst geweckt. Er hatte am Abend mit ihr gemeinsam geladen und sie hatte ihn zu den gelesenen Themen ausgefragt, bis er verblüfft gefragt hatte, woher sie all diese Begriffe kannte und sie freundlich gerügt hatte, als sie erzählt hatte, dass sie den Tag mit lernen verbracht hatte. Kira fand, dass sogar sein Rügen ausgesprochen angenehm war, und musste sich sehr bemühen, ihre Emotionen so verschlossen zu halten, dass sie beim Kanalisieren ihm nicht auffielen. Er hatte sie anschließend ins Bett gebracht und einen Moment an ihrem Bett gesessen, um sicher zu gehen, dass sie nicht wieder aufstand. Kira fand das ein bisschen albern – sie war ja keine fünf mehr – aber auch sehr schön. Am liebsten hätte sie sich an ihn geschmiegt, aber das hatte sie sich nicht getraut. Auf jeden Fall hatte es sehr geholfen, nicht mehr über Mathematik nachzudenken. Umsehr dachte sie jetzt darüber nach, während sie sich anzog und zum Frühstück nach unten ging.
Mitras stellte fest, dass Kira nicht mehr so früh wach wurde wie früher. Im besten Fall hatte sie sich einfach nur an das Leben in der Stadt gewöhnt oder aber das Laden setzte ihr nun auch zu. Er würde das im Auge behalten müssen. Da heute ihr großer Tag war, wollte er sie lieber persönlich wecken. Er klopfte an ihre Tür, erhielt aber keine Antwort. Ohne direkt zum Bett zu sehen, öffnete er die Tür langsam und steckte den Kopf hindurch. „Guten Morgen Kira, es ist Zeit aufzustehen. Hast du das Laden gut überstanden?“ Vom Bett kam zunächst ein Rascheln und Wühlen, dann eine verschlafene und verunsicherte Antwort: „Guten Morgen… Wie spät ist es? Habe ich schlimm verschlafen?“ Mitras lachte. „Nein, alles gut. Es ist gerade acht Uhr und Zeit für das Frühstück. Ich wollte nur nach dir sehen und dir sagen, dass du dir erstmal was bequemes anziehen sollst. Ich möchte nach dem Frühstück noch eine Meditationsübung mit dir machen.“ Mehr Verunsicherung lag in ihrer Stimme, als sie antwortete: „Ich zieh mich an, ja, ich komme gleich.“ Mitras warf einen flüchtigen Blick auf Kira. Sie wirkte noch sehr verschlafen und ihre Haare verteilten sich in wilden, roten Locken rund um ihren Kopf. Es war ein unglaublich niedliches Bild, das sie abgab. Vorsichtig schloß er die Tür wieder, ging wieder nach unten und nahm sich eine Tasse Tee, die William in der Zwischenzeit fertig gemacht hatte. Die anderen waren mit dem Frühstück schon fertig und bis auf William schon gegangen, bis Kira kam. Sie trug ihre Robe und hatte ihre Haare gebändigt und zu einem Zopf verflochten, wie Mitras bedauernd feststellte. Er mochte es, wenn sie die Haare offen trug, mit zerzauster Mähne sah sie geradezu umwerfend niedlich aus. Aber mit dem anstehenden Besuch bei Christobal war ihre Frisur so besser. Sie setzte sich und blickte scheu auf: „Entschuldigt die Verspätung, ich habe wohl zu fest geschlafen.“ „Auch wenn die anderen durch ihre Geschäftigkeit und Abwesenheit gerade etwas anderes sugerieren, es ist vollkommen in Ordnung um acht Uhr aufzustehen, insbesondere nachdem wir geladen haben. Bei den Geistern, ehe ich deine Hilfe hatte, habe ich nach dem Laden erst um neun geschlafen! Ich hatte mich eh schon gefragt, wann es anfangen würde an dir zu zehren. Vielleicht sollte ich dich nicht zu hart in Beschlag nehmen. Das wichtigste für dich ist die Ausbildung und nicht deinem Mentor seine Pflichten abzunehmen.“ „Nein, nein das geht schon. Ich habe nur nicht so gut geschlafen wegen.. naja wegen Mathe und der Prüfung.“ gestand sie rot werdend. Er konnte sich nicht erinnern, wann er eine Frau so anziehend fand. Mitras schüttelte sich. Was dachte er da? Sie war immerhin seine Schülerin und auch viel zu jung, als dass er solche Gedanken haben sollte. „Keine Sorge Kira, es ist weniger eine Prüfung als vielmehr ein Versuch herauszufinden, wie weit du bist und wo er ansetzen sollte. Wir werden gleich aber erstmal eine Stunde zusammen meditieren. Mir ist aufgefallen, dass du immer noch Probleme damit hast deine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Auch gestern Abend habe ich wieder gemerkt, wie es in dir tobt. Ich weiß, dass ich dir mit dem Laden eine ganze Menge abverlange und auch wenn du das sehr gut machst und es beeindruckend ist, welche Mengen an Magie du bereits kontrollieren kannst, durch deine Emotionen besteht dabei auch immer ein Risiko für dich. Ich habe deswegen beschlossen, dass wir nun erst einmal jeden Morgen zusammen eine Stunde meditieren.“ „Ja.“ antwortete Kira verlegen. „Kopf hoch, kleines Eichhörnchen, du bist viel weiter als alle Discipuli vor dir. Auch was das Lernen angeht, die eine Stunde wird dich nicht zurückwerfen und dir langfristig helfen noch besser im Zaubern zu werden.“ Verdammt, hatte er das gerade laut gesagt? William war gerade in der Küche. Mitras blickte kurz auf, Kira war feuerrot, er konnte aber nicht abschätzen, ob sie es überhaupt gehört hatte. Sie blickte ruckartig nach unten, als ihre Blicke sich trafen, nahm das Brot und biss hinein, scheinbar ganz auf das Essen konzentriert.
Mitras hatte es in wenigen Sätzen geschafft, sie ihre Sorgen über die Mathematik-Prüfung vergessen zu lassen. Er hatte ihre Gefühle bemerkt. Wie unsäglich peinlich! Und während sie noch darüber grübelte, wie sie ihm weiter würde helfen können – sie WOLLTE ihm helfen, immerhin war er derjenige, für den sie so ziemlich fast alles tun würde – sagte er: „Kopf hoch, kleines Eichhörnchen.“ Eichhörnchen? Sie fühlte, wie ihr die Farbe ins Gesicht schoß. Er hatte einen Kosenamen für sie benutzt? Oder war das Hohn? Sie blickte ihn an. Er guckte ein bisschen erschrocken. Nicht höhnisch. Kira senkte rasch den Blick und versuchte, sich aufs Atmen und Essen zu konzentrieren. Hatte Sebastian Recht? War es vielleicht gar nicht so abwegig, dass er sie mochte? Eichhörnchen klang ganz niedlich. Bestimmt wegen ihrer Haare. Ohje, was sollte sie jetzt sagen? Am besten nichts, dann sagst du auch nichts falsches. War das ein Kosename für ein Kind oder für eine Frau? Was dachte er über sie? Sie musste sich doch heute auf Mathe konzentrieren… Atmen. Ganz ruhig atmen. Meditieren war vermutlich eine ganz gute Idee, aber mit Mitras? Atmen. Geht wieder. Sie sollte sich nicht so viele Gedanken machen. Atmen. Eichhörnchen. Der Gedanke prickelte durch sie hindurch. Eichhörnchen gefiel ihr. Sie holte tief Luft und schaute wieder hoch.
Mitras scholt sich innerlich selbst. Er wollte sie beruhigen, nicht durcheinander bringen oder gar verärgern. Er wusste doch wie verletztlich sie auf ihre Haarfarbe und vermeintliche Skirherkunft reagierte. Und jetzt nannte er sie Eichhörnchen. Was war nur los mit ihm? Erst war er gestern einfach an ihrem Bett geblieben und hatte sich beherrschen müssen, sie nicht in den Arm zu nehmen, dann heute morgen ihre Haarmähne und jetzt das. Eigentlich ging es ihm nun seit dem Regenerationszauber deutlich besser und er war eigentlich auch deutlich fokussierter, aber irgendwie geriet dies in Kiras Nähe immer wieder ins Wanken. Mitras aß schweigend auf, eine tiefe Meditation würde ihm nun auch gut tun.
Als wäre nichts gewesen, stand er auf und wandte sich an Kira: „Gut, lass uns gleich nach oben gehen. Jetzt eine Stunde meditieren und zur Ruhe kommen und dann klappt es nachher auch mit der Mathematik.“ Er ging voran zum Labor hoch und sie folgte ihm, immer noch ein bisschen rot. Mitras hoffte, dass sie nicht wütend auf ihn war. Er holte die Kissen von ihrem Lagerplatz und drapierte sie am Kreis. Dieser war für die Übung zwar nicht nötig, aber es fühlte sich einfach richtig an, sie am Kreis anzuordnen. „Gut, setz dich. Ich werde dich nun leiten.“
Während Kira Mitras Stimme lauschte, schloß sie die Augen. Sie kannte die Anweisungen – ruhig atmen, schwer werden, locker werden – aber es war etwas anderes, seine warme, weiche und männliche Stimme zu hören, als es sich selbst vorzusprechen. Sie hatte das Gefühl, seine Wörter seien wie eine Schnur, der sie folgen konnte, und es fiel ihr wirklich leichter, loszulassen und ihre Gefühle langsam wegzuatmen. Beinahe war es wie beim Laden, als würde sie schweben, und sie hatte auch ein wenig den Eindruck, das Rauschen von Tannen zu hören. Mitras Stimme verklang, einen langen Moment lang saßen sie einfach still voreinander, und Kira hatte das Bedürfnis, seine Stimme wieder zu finden, nicht allein zu sein. Sie öffnete die Augen und sah ihn an, wie er da saß, seinen Kopf gesenkt, den Rücken gerade, ein schöner Mann, falls es das gab… im Augenwinkel hatte sie das Gefühl, goldene Schlieren würden durch den Raum wabern, und das Geräusch des Windes in den Tannen verstärkte sich. Dann blinzelte sie, und alles war wie vorher, ruhig und entspannt. Sie atmete tief ein und aus. Keine Gefühle würden sie bei der Prüfung heute stören. Sie würde das schon hinbekommen. Und vielleicht, vielleicht mochte Mitras sein kleines Eichhörnchen sogar genug, dass sie selbst dann dableiben durfte, wenn Herzog di Pinzon sie nicht unterrichten wollte…
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