Haifischbecken – 30.Firn 242 (Mafuristag)

Zur Mittagsstunde des Mafuristages, des vorletzten Tages dieses Jahres, brachen Kira und Mitras auf. Sie trug ihre Magierrobe und die Muschelkette, so wie Mitras es empfohlen hatte, aber ihre Haare hatte sie einfach nur zu einem Zopf geflochten, aufwendige Bänder oder ähnliches fand sie zu aufdringlich. Mitras war schon seit dem Frühstück grummelig, sie hatte selbst bei der Meditation gemerkt, dass er schlechte Laune hatte. William hatte ihren Verdacht bestätigt: Seitdem er sich vor einigen Jahren so zurückgezogen hatte, waren gesellschaftliche Ereignisse ihm immer mehr ein Gräuel. „Wobei er vorher auch nicht der Tanzbär war!“, hatte William gesagt, und Kira hatte seitdem dieses komische Bild eines tanzenden Mitras vor Augen. Nein, das passte nicht zu ihm… Wobei es sicherlich schön wäre, mit ihm zu tanzen. Wenn sie denn tanzen könnte. Das musste sie Mitras bei Gelegenheit mal sagen, vermutlich gehörte Tanzen zu den Dingen, die man als Adelige können sollte.

Sie fuhren durch die Stadt zu dem großen Gildengebäude, das sie schon einmal an ihrem ersten Tag gesehen hatte. Nun, da sie den Palast des Königs und auch andere Gebäude aus den Adelsvierteln gesehen hatte, kam es ihr nicht mehr ganz wie ein unglaublich pompöser Palast vor, aber die Gebäude war immer noch riesig und ausgesprochen prunkvoll, vom Vorplatz bis hin zu den Kerzenständern in den Fluren. Diesmal gingen sie nicht in das Schulgebäude, sondern betraten direkt das Gildenhaus, wo sie von Bediensteten empfangen wurden und Mitras sich in eine Besucherliste eintrug. Die Eingangshalle war festlich geschmückt und auf einer Tafel in der Mitte war ein Zeitplan abgebildet. Ringsherum um die Halle gab es Sitzecken, Tische und verschiedene Aufbauten, die offenbar magisch geformte Skulpturen und ähnliches darstellten, die zu diesem Anlass von ihren Kreatoren präsentiert wurden. Emsig liefen Magier hin und her, über ihren Köpfen sausten kleine, teilweise leuchtende Kugeln durch eine Art Rohrsystem. Am Ende der Halle war ein großer, runder Tisch aufgebaut, an der eines der Rohre endete, und so konnte Kira beobachten, dass die Kugeln offenbar kleine Behältnisse waren, mit denen man Nachrichten schicken konnte – vermutlich mit Telekinse durch die Rohre geschickt. An der hohen Wand dahinter war eine Uhr und so erkannte Kira, dass die meisten Vorträge bereits vorbei waren. Als sie die Tafel überflog, stellte sie fest, dass die meisten Titel sich schon irgendwie spannend anhörten. Im letzten Drittel kurz vor Ende stieß sie dann auf das Wort Elektrum in einem der Vorträge. Das musste der Grund sein warum Mitras nun doch hergekommen war. Als sie sich nach ihm umblickte, stellte sie fest, dass er im Gespräch mit einem anderen Magier war, der ihn wohl angesprochen hatte. Sie hatten gerade ein paar Höflichkeiten ausgetauscht, als Mitras sich zu ihr umdrehte und sie dem anderen Magier vorstellte: „Und das hier ist meine erste Schülerin Kira Silva aus Burnias. Kira, dies hier ist di Parro, ein ehemaliger Schulkamerad von mir, jetzt ganz frisch gebackener Magister di Parro.“ Kira verbeugte sich höflich und sagte: „Gratulation, Magister di Parro.“ Er betrachtete sie neugierig und nickte, dann wandte er sich an Mitras: „Und wie ist es, Mentor zu sein?“ „Interessant, es ist sicher eine neue Erfahrung. Und durchaus anstrengend, zeitweilig.“ Kira gelang es, nicht zu grinsen. Anstrengend? Das war eigentlich ein ziemlich harmloses Wort, wenn man bedachte, dass Mitras sich in der Kutsche noch wortreich für jede Beleidigung entschuldigt hatte, die er in den nächsten Stunden über sie sagen würde. Und wenn man bedachte, wie sie den Lehm im Labor verteilt hatte, war es ja noch nicht mal eine Lüge. Ihr Herz klopfte ein wenig. Selbst, wenn er sie angeblich nicht mochte, schaffte er es, netter zu sein als ihre eigene Mutter. Neugierig folgte sie ihm weiter in das Gebäude hinein. Immer wieder wurde er angesprochen, nach dem Elektrum oder dem Generator befragt, einmal sogar ziemlich angefaucht ob eines Flammenschwertes der Generalität. Manchmal stellte er sie vor, manchmal tat er es nicht. Kira betrachtete die Ausstellungsstücke an der Seite und ließ sich auch einige Male zurückfallen, um etwas näher zu betrachten. Besonders die Farben auf einigen Gemälden interessierten sie – teilweise sah es aus, als würde man durch ein Fenster schauen, so realistisch waren die Zeichnungen. Aber sie achtete darauf, Mitras nie ganz aus den Augen zu verlieren, und so erreichten sie nach eine Weile einen kleinen Hörssaal, indem schon einige Magier saßen und am Pult ein großer, schlaksiger Mann stand. Die blonden Haare hatte er kurz geschnitten und in der Mitte gescheitelt, was seine graublauen Augen hervorhob. Die kleine Brille auf seiner Nase, durch die er gerade seine Notizen begutachtete, lenkte den Fokus beim Blick in sein Gesicht noch mehr auf diese. Mitras setzte sich in eine der hinteren Reihen und wies Kira an, sich neben sie zu setzen.

Di Camino begann seinen Vortrag. Nach einigen einführenden Worten zum Elektrum sagte er: „Wie unser werter Kollege Mitras di Venaris schon bemerkt hat, besitzt die von ihm gefundene Legierung erstaunliche Eigenschaften. Sie kann Magie aufnehmen, verliert diese aber auch wieder und teilt trotzdem einige Eigenschaften mit Eisen, nur dass es noch viel härter ist. Aus den mir vorliegenden Daten ist zu entnehmen, dass die Dauer der Zauber meistens konstant ist, aber es gibt vereinzelt Schwankungen. Diese zu untersuchen habe ich mir zur neusten Aufgabe erkoren. Spannend ist es, Lichtzauber auf das Material hier zu wirken, ich führe es Ihnen vor.“ Er hob eine Hand und wedelte mit ihr kurz in Richtung der präsentierten Probe, kurz darauf erschien ein Lichtpunkt auf der Oberfläche. „Wie Sie sehen werden, springt der Zauber scheinbar zufällig innerhalb des Materials. Dies gilt nur für punktuell wirkende Zauber, wie schon mein Kollege bemerkte. Und diese Eigenschaft kann sehr gefährlich sein, er warnte die Generalität zu Recht. Allerdings habe ich mich hier vertieft und weise sie darauf hin, einmal die Form des Leuchtens zu betrachten: Hier bei meinem Beispielstück sehen sie einen in etwa viereckigen Strahl.“ Eine kurze Handbewegung sorgte dafür, dass sich Schirme vor die Lampen schoben und der Raum deutlich dunkler wurde. Unnötige Trickserei, dachte Mitras, er hätte auch einfach mit dem Schalter am Pult das Licht dimmen können. Aber das war etwas, was alle Vortragenden gemein hatten und warum Mitras diese Veranstaltung nicht mochte. Die Wissenschaft stand nur in zweiter Reihe, hauptsächlich ging es darum, sich selbst ins beste Licht zu rücken und wenn man mit ein paar billigen Zirkustricks Aufmerksamkeit erreichen konnte, dann gab es Tricks im Überfluss. Nun hielt di Camino ein größeres Blatt Papier so, dass der Lichtpunkt es anstrahlte. Tatsächlich sah man ein viereckiges Muster. „Nun aber das erstaunliche, meine werten Kollegen – ich habe keine spezielle Form des Lichtzaubers vorgegeben. Ja, man kann sogar eine vorgeben und es wird dennoch viereckig werden – bei diesem Stück Elektrum. Andere Stücke Elektrum aber können andere Formen des Lichts produzieren, sechseckig etwa.“ Mitras wurde plötzlich hellhörig. Als er einen ähnlichen Versuch durchgeführt hatte, ergab sich eine sechseckige Form. Mitras hatte dies zwar aufgezeichnet, war der Form aber nicht weiter nachgegangen. Zu sehr hatte er sich auf die Bewegung des Punktes konzentriert. Ob die Form wohl wirklich von der Probe abhängig war? Mitras nahm sich vor das noch einmal zu untersuchen. Er hatte ja eindeutig mehr Probenmaterial als di Camino, dem maximal zwei unterschiedliche Chargen der Produktion zur Verfügung standen. Dieser fuhr fort: „Und diese besondere Eigenschaft zeigt uns, dass das Material, das äußerlich völlig gleich wirkt, und auch sonst gleiche Eigenschaften hat, in sich anders, wie soll ich es sagen, anders strukturiert sein muss. Wir kennen das von anderen Mineralien, sie haben ein geometrisches Muster, wenn sie in Reinstformen wachsen. Dieses Elektrum gibt uns also einen Hinweis darauf, dass auch künstlich erzeugtes Metall möglicherweise in ganz feinen Bereichen solch eine Art von Kristallstruktur hat, und sie kann unterschiedlich ausfallen.“ Das war eine interessante Erkenntnis. Mitras hatte sich noch nie weiter mit der Feinstruktur von Metallen beschäftigt. Aber die Bezirke deuteten schon an, dass es wohl geordnete Strukturen innerhalb der Körper gab. Di Camino war da anscheinend doch schon etwas weiter als er. Das wiederum ärgerte ihn. Natürlich hätte er da auch selbst drauf kommen können, hätte er sich weiter auf den Lichtpunkt konzentriert, so aber würde di Camino den Ruhm für diese Entdeckung zufallen. Hatten sie nicht eigentlich vereinbart, Ergebnisse untereinander auszutauschen? Ja, di Camino hatte ihn erwähnt, aber dass die Struktur bei seiner Probe sechseckig gewesen war, hätte er durchaus ebenfalls erwähnen können, fand Mitras. Es ging dabei ja nicht nur um das Elektrum, was wenn allen Metallen eine solche Feinstruktur zu eigen war? Es war nun auf jeden Fall klar, dass Metalle in ihrem Inneren noch Strukturen aufwiesen, die auch mit einem Mikroskop nicht sichtbar waren. Aber was sollte schon so klein sein? Die Entdeckung war auf jeden Fall im Bereich der unbelebten Materie auch außerhalb der magischen Studien ein Durchbruch, und Mitras ärgerte sich, dass seine Rolle an dieser Erkenntnis nun so gering ausfiel. Di Camino stellte verschiedene Erklärungsansätze vor, die Mitras interessiert verfolgte. „Ich nehme an, dass für diese Unterschiede der Herstellungsprozess zuständig ist, dies werde ich in den nächsten Versuchsreihen erproben, falls es mir möglich ist. Leider wird zu viel des Materials für die Waffenforschung verbraucht.“, schloss der Magier mit einem Blick auf Mitras, was etliche Personen im Raum dazu brachte, sich stirnrunzelnd nach ihm umzudrehen. „Da haben Sie leider recht, werter Herr Kollege. Aber vielleicht gelingt es Ihnen ja, der Generalität einige Proben wieder abzujagen, wenn Sie ihren Einfluss geltend machen.“ Mitras wäre es nur recht, wenn es di Camino gelänge, die Generalität zu seinen Gunsten auszubremsen, außerdem war es Frechheit, zu behaupten, er würde das Material freiwillig zur Waffenforschung hergeben. Das Gemurmel im Saal stieg an, was di Camino durch ein Klopfen auf das Pult unterbrach und zur üblichen Fragerunde überleitete, bei dem die Kollegen nun die Gelegenheit hatten, seine Erkenntnisse und Theorien zu diskutieren. Mitras lauschte aufmerksam, immer noch darüber grübelnd, was er falsch gemacht hatte, dass es di Camino nun so leicht fiel, ihn vom Ruhm der Forschung auszuschließen, bis ihm auffiel, wie unruhig Kira neben ihm wurde. Für sie war die Diskussion über Kristallstrukturen und mögliche Gitter vermutlich nicht besonders interessant, also stand er auf und winkte ihr, mit ihm den Saal zu verlassen.

Kira hatte sich bemüht, dem Vortrag zu folgen, aber eigentlich war sie neugierig, was es sonst noch zu sehen gab. Mitras schien mit den Inhalten des Vortrages nicht ganz zufrieden zu sein, sie hatte gesehen, dass er mehrfach seine Brauen kritisch zusammenzog und einmal sogar richtig verärgert aussah. Warum, konnte sie allerdings nicht verstehen. Sie würde ihn vielleicht später danach fragen können, beschloss sie. Als sie den Saal verließen, war es schon leerer in den Gängen geworden. In einigen Sitzecken und auch in den Räumen, deren Türen offen standen, gab es aber immer noch Grüppchen von Magiern, die ins Gespräch vertieft waren. Kira sah einige Discipuli neben ihren Magistern stehen, die meisten waren jünger als sie. Sogar ein Mädchen von vielleicht zehn Jahren saß auf einem der Sessel und beobachtete gespannt, wie ein älterer Schüler vor ihr Karten durch die Luft fliegen ließ. Eingedenk der Warnungen von Mitras realisierte sie, dass dabei keine Magie im Spiel war, und kam nicht umhin, die Fingerfertigkeit des jungen Mannes zu bewundern. Auch andere Schüler und Schülerinnen standen um ihn herum. Mitras folgte ihrem Blick. „Ach, sei nicht zu beeindruckt. Seine Mutter ist entfernt mit der Königin verwandt, er hat in seinem ganzen Leben bisher nichts anderes getan als sich und andere auf Bällen zu amüsieren. Mit genug Training ist Gaukelei nicht schwierig.“ Kira schaute zu ihm herüber. „Das ist aber mehr als ein bisschen, Magister Mitras.“ Mitras zuckte mit den Schultern. Offenbar war es ihm herzlich egal, was andere außerhalb der Magie konnten – zumindest jetzt gerade. Ein wenig traurig, der Vorführung nicht weiter zusehen zu können, folgte Kira ihm. Herrjeh, war er grummelig!

Dann vergaß sie allerdings seine Stimmung. Vor ihnen schwangen zwei große Flügeltüren auf und sie kamen in einen Saal, der über mehrere Stockwerke hinauf ragte. Statt einer Decke schloß er oben mit einer riesigen Kuppel aus Glas, durch die sie schon die Sterne in der letzten Abenddämmerung funkeln sah. Im Gegensatz zu den Gängen war es hier noch voll, viele verschiedene Magister und Erzmagier saßen in Tischgruppen über den ganzen Saal verteilt zusammen und nach einem Moment des Staunes realisierte sie auch, warum. Entlang der einen Seite des Saals gab es ein Buffet, an dem man sich etwas zu essen holen konnte. Bedienstete liefen zwischen den Tischen umher und servierten Getränke. Mitras führte sie durch die Tische zum Buffet, als er plötzlich von der Seite aus angerufen wurde: „Mitras!“ Er drehte sich um. Einige Tische weiter saß eine Gruppe Magier, ein Magister, ein Assistent und eine Assistentin und ein deutlich jüngerer Schüler, wie Kira an den Verzierungen ihrer Robe erkannte. Der Magister winkte Mitras fröhlich zu. Dieser winkte zurück, ging aber zunächst weiter zum Buffet. Dort nahm er sich einen Teller, also folgte Kira seinem Beispiel und staunte über die Formen, die das Essen hat. Dort gab es kleine Häschen aus Möhren, Schmetterlinge aus verschiedenen Blüten, Brote in Form von kuschelig aussehenden Schafen und Ziguras und noch so vieles mehr. Die ganze Tafel sah aus, als hätte man einen essbaren Bauernhof aus einem idyllischen Paradies auf die Teller und Platten verfrachtet. Mitras bemerkte ihre Blicke und schmunzelte das erste Mal, seitdem sie das Gebäude betreten hatten. Er beugte sich vor und sagte leise: „Magie ist auch auf Essen anwendbar. Aber schmeckt trotzdem.“ Kira liefen angesichts seiner leisen Stimme an ihrem Ohr leichte Schauer den Rücken herunter und sie bemühte sich, ihn nicht anzusehen, sondern sich darauf zu konzentrieren, einen Teil des Bauernhofes heil auf ihren Teller zu bringen. Als sie fertig war, stand er bereits mit einem Glas voller gold-gelber Flüssigkeit, die ein Kellner ihm einschenkte, hinter ihr. Er kippte es mit einem raschen Schwung herunter und ließ es sich sofort wieder aufüllen. Der Kellner bemerkte sie und sah ihn fragend an, woraufhin Mitras leicht den Kopf schüttelte. „Für meine Discipula bitte nur einen Saft.“ Der Kellner nickte, nahm ein Glas und eine Flasche von dem Tischchen hinter sich und reichte Kira schließlich mit einer eleganten Verbeugung ein Glas mit Apfelsaft, wie sie an dem Geruch erkannte. Vorsichtig balancierte sie Teller und Glas hinter Mitras hinterher, der dem Winken des anderen Magiers nun folgte und zum Tisch ging. Bei der Tafel handelte es sich um einen runden Tisch für insgesamt acht Personen, es saßen aber nur vier dort. Mitras stellte seinen Teller ab und verbeugte sich kurz, galant aber auch mit einer leicht spötischen Unternote vor dem Magister, der ihm auch zugewunken hatte. „Herzlichen Glückwunsch, Imanuel Malvon. Wobei, dann heißt es jetzt ja auch di Malvon. Ich habe deinen Aufstieg gar nicht mitbekommen, tut mir leid.“ „Danke, danke. Keine Sorge, Mitras. Wir haben dein Wirken ein bisschen verfolgt, die Forschung scheint ja nicht gut zu laufen. Sei mir nicht böse, aber ich hoffe, dass meine weitere Forschung nicht ansatzweise so schleppend verläuft wie deine. Wobei mir mein Durchbruch auch nicht ansatzweise soviel eingebracht hat.“ erwiderte der Magister lachend. Kira sah Mitras ganz kurz grinsen, unauffällig knuffte sie ihn in die Seite, ahnend, dass er sich verplappern könnte. Er blickte zu ihr hin, was den Blick der anderen am Tisch auf sie lenkte. „Mitras, hast du eine Discipula?“, fragte der Assistent. „Ja, entschuldigt. Ich stelle euch vor.  Dies hier ist Kira Silva, meine erste Discipula. Kira, das sind der frisch gebackene Magister Imanuel di Malvon. Der werte Herr hier heißt Claudio di Sirom, ein entfernter Verwandter der di Ferrus Familie und diese wunderhübsche Dame hier ist Lisa Nirand. Und den jungen Mann hier kenne ich leider nicht.“ Die Assistentin grinste und antwortete: „Das ist Fenno, mein Bruder. Die Jahre im Labor haben dir die Kunst des Schmeichelns nicht genommen, ja? Setz dich.“ Sie klopfte mit der Hand leicht auf den leeren Stuhl neben sich. Mitras lächelte sie ebenfalls an und ging um den Tisch herum, um sich neben sie zu setzen. Zu Kiras Erstaunen beugte er sich dabei vor und küsste sie leicht auf die Stirn. „Natürlich nicht, meine Schöne, wieso sollte sie?“ Kira fühlte sich plötzlich ausgeschlossen. Was tat sie hier eigentlich? Neid brannte in ihr wie eine heftige Flamme, und sie konzentrierte sich darauf, ihn nicht nach außen zu zeigen. Wie sehr würde sie an der Stelle der etwas fülligeren, aber durchaus hübschen Frau sitzen, aber es war ganz offensichtlich, dass diese beiden etwas verband, was Kira niemals würde erreichen können – eine gemeinsame Vergangenheit. Imanuel di Malvon stand auf und verbeugte sich galant vor ihr. „Lady Silva, darf ich bitten?“ Er rückte den Stuhl zurecht, auf dem er eben noch gesessen hatte. Etwas verloren mit einem Blick zu Mitras setzte sich Kira und fand sich im Nu in ein Gespräch verstrickt, in dem Imanuel und Claudio sie über ihre Herkunft und ihre Eindrücke zu Uldum befragten. Auch Fenno hörte ihr aufmerksam zu, nur die Assistentin und Mitras sprachen eine Weile leise miteinander, ehe sie sich ebenfalls dem Gespräch zuwandten. Kira musste sich konzentrieren, nichts falsches zu sagen, immerhin sollte sie ja eher die störende Ablenkung mimen, und gleichzeitig spürte sie, wie Unsicherheit und Neid in ihr rangen. Was hatte Mitras mit ihr gesprochen? Im Zentrum der Aufmerksamkeit der anderen drei stehend, konnte sie ihn das aber nichtmal mit einem Blick fragen. Ihre Wangen glühten schon nach einigen Sätzen feuerrot, zumindest fühlten sie sich so heiß an, und zur Steigerung der Peinlichkeit stotterte sie sogar einmal. Doch Imanuel und Claudio schien das nicht zu stören, sie waren herzlich und freundlich, und so legte sich ihre Aufregung nach einer Weile. Imanuel fischte ihr auch ein Glas vom Tablet eines vorbei laufenden Kellners, was, wie sie nach einem kleinen Schluck feststellte, einen süßlichen Wein beinhaltete. Sie trank einen weiteren großen Schluck, was ihren Neid und ihre Wut darauf, dass Mitras die andere Frau geküsst hatte, etwas milderte. Wenn sie nicht neben ihm sitzen konnte, konnte sie ja auch Alkohol trinken. Was war das überhaupt für eine Aussage gewesen mit dem Saft, sie war ja schon 18 und keine 12 mehr, sie konnte doch Wein trinken! Scheu lächelte sie Imanuel zum Dank an, was dieser mit einem begeisterten Toast quittierte: „Also dann, auf die rothaarigste, hübscheste neue Discipula, die Uldum dieses Jahr wahrscheinlich zu sehen bekommt!“ Kira lief nun wirklich rot an. Das Kompliment war ihr peinlich, außerdem wusste sie nicht, wie sie damit umgehen sollte. Mitras sah auf und lachte. Er sprach leise, so dass gerade die am Tisch sitzenden ihn verstehen konnte. „Alter Chameur, aber ja, Thadeus wollte mir mit ihr einen reinwürgen, hat sich dabei aber vergriffen. Die gute Kira hier sieht nicht nur gut aus, sie hat auch eine sehr hohe Auffassungsgabe. Thadeus wollte mir ein Dummchen vom Dorf andrehen, hat mir aber einen ungeschliffenen Diamanten überreicht. Sie ist beim Lernen mindestens so schnell wie du, Lisa und auch sonst stellt sie sich sehr gut an.“ Alle Anwesenden schmunzelten. „So lange sie nicht auch so zaubert wie Lisa, hast du alter Angeber also mal wieder mit vollen Händen in den Goldtopf gegriffen, ja?“, fragte Imanuel mit einem spöttischen Unterton, was Lisa dazu brachte, eine schlagende Handbewegung in seine Richtung zu machen. Kira wusste nicht, was sie sagen sollte. Mit einem derartigen Lob von Mitras hatte sie nicht gerechnet. Hatte er nicht selbst gesagt, sie sollte als unliebsame Schülerin auftreten? Verwirrt sah sie ihn an, doch erntete sie nur einen stolzen Blick zurück, der ihr Herz schneller schlagen ließ und ihre Wut über den Kuss vorhin wegschmolz. Sebastian hatte sie ja vorgewarnt, dass es in Uldum lockerer zuging als in Bispar. Sie würde sich wohl daran gewöhnen müssen. Und wenn man ganz ehrlich war, mit dem Kuss, den er ihr unten im Labor gegeben hatte, konnte dieser Kuss vorhin auch nicht mithalten. Versöhnt lächelte sie zurück. Claudio ergänzte: „Imanuel, nicht nur in den Goldtopf, er greift sich schon wieder die schlauen Frauen ab, merkst du?“ Imanuel antwortete prompt: „Na na. So viel Glück hatte er mit den Frauen auch nicht. Also, Mitras, erhebst du hier Ansprüche?“ Mitras lachte kurz, wurde dann aber ernst und sagte eindringlich: „Würdest du bitte meine Discipula mit solch vorschnellen Annäherungen verschonen? Lass sie erstmal in Uldum ankommen!“ Imanuel grinste ihn an, sagte aber nichts weiter. Stattdessen wandte er sich an Lisa und sagte: „Hast du ihm schon gesagt, dass du heiraten wirst?“ Sie schüttelte den Kopf und zu Kiras Erleichterung wandte sich das Gespräch damit von ihr zur geplanten Hochzeit und dem adeligen Mann, den Lisa wohl erobert hatte.

Imanuel, Lisa und er waren früher einmal sehr gute Freunde gewesen und Claudio hatte stets versucht dazu zu gehören, Mitras war aber nie wirklich warm mit ihm geworden. Die gute Lisa hatte den anderen beiden das Küssen beigebracht, als sie zusammen im dritten Semester waren. Dank Clementia war Mitras da schon einige Schritte weiter, aber auch er wurde von Lisa reichlich mit körperlicher Aufmerksamkeit bedacht. Das war damals eine angenehme, unbeschwerte Zeit für Mitras, die ihn langsam die Schrecknisse von Thadeus Lehre vergessen ließ. Dass er wieder bei seinen Eltern wohnte, die gegen den Besuch seiner ‚Lerngruppe‘ nichts hatten, hatte auch sehr geholfen. Im Hause Venaris war so manche Studentenfeier eingeschlagen. Im Gespräch stellte er fest, dass Claudio nun ein deutlich angenehmerer Zeitgenosse war als früher. Er war bodenständiger geworden, oder war Mitras mittlerweile abgehobener, nun da er selbst adelig war? Er konnte es nicht sagen. Lisa erzählte, wie sie ihren Verlobten kennen gelernt hatte und dass sie beide beim gleichen Erzmagier als Assistenten angestellt waren. Dieser förderte sie beide gleichmäßig und versorgte sie mit Forschungsarbeiten, so dass sie wohl beide gleichzeitig in den Rang eines Magisters aufsteigen würden. Mitras kannte den Erzmagier nicht, aber bei der Einstellung und so wie Lisa ihn beschrieb, konnte es nur einer von Nathanaels Verbündeten sein. Mitras gönnte ihr das Ganze von Herzen, er wusste aber auch, dass sie ohne zukünftigen Ehemann und großzügigen Mentor wohl nie soweit gekommen wäre. Sie war schlau und talentiert, aber ihr fehlte es am magischen Potential. Kiras war jetzt schon größer als ihres wohl jemals werden würde. 

Nach einer Weile blickte ihn Imanuel streng an. „So Mitras, nun sag doch mal ganz klar, welche Laus dir über die Leber gelaufen ist. Egal wohin das Gespräch läuft, immer kommst du an einen Punkt, wo du dich über Professor di Camino aufregst.“ Mitras stöhnte. „Wenn du meinst, sage ich es euch gern. Anscheinend benutzt di Hederea ihn um mich zu diskreditieren. Ich musste aufgrund jüngster Rückschläge in meinen Forschungen der Schule einen entsprechenden Auftrag erteilen, gehört zu meinem Vertrag dazu, leider. Jedenfalls hat er auf Basis meiner Forschungen nun etwas entdeckt und versucht es als Folge von meinen ‚Unzulänglichkeiten‘ darstehen zu lassen. Ich war bei dem Vortrag leider oder zum Glück anwesend. Was von beidem, weiß ich noch nicht. Jedenfalls hat er mich, wenn auch subtil, so doch ordentlich durch den Dreck gezogen.“ Imanuel und Lisa grinsten, wohingegen Claudio nachdenklich den Kopf wiegte. „Mitras, meinst du nicht, dass deine eigenen fehlenden Fortschritte deine Sache sind?“, fragte Imanuel spitz. „Du kannst nicht di Camino dafür verantwortlich machen, dass ihm etwas eingefallen ist, was du übersehen hast.“ Eigentlich hatte er Recht, aber da war irgendwas in Caminos Vortrag gewesen, was Mitras denken ließ, dass mehr dahinter war. Zu seiner Erleichterung und Überraschung ergriff Claudio für ihn Partei: „Naja, wenn er aber ihn nicht richtig zitiert oder so, ist es schon nicht so angenehm. Wer es als erster auf dem Convent sagt, hat eben Recht. Aber du hättest ja auch mal selber präsentieren können, Mitras. Seit drei Jahren hören wir nichts mehr von dir.“ „Genau!“, pflichtete Lisa ihm bei. „Nicht mal die Einladung zum Sommerball bei Claudio hast du angenommen!“ „Ja, da habt ihr wohl recht, ich habe mich viel zu sehr eingegraben und darüber alles vergessen. Ich wollte einfach, dass es funktioniert. Und ja darüber habe ich nicht nur meine Freunde vergessen, sondern mich selbst auch viel zu sehr vernachlässigt. Das ist wohl auch ein Grund, warum die Generalität mich so in die Ecke treiben konnte. Aber ich habe Hilfe bekommen und ich denke, nun wird alles besser. Und ja, wenn ihr möchtet, werdet ihr mich nun auch wieder häufiger zu Gesicht bekommen.“, sagte er, so vorsichtig wie möglich seinen Erfolg andeutend. „Das freut mich zu hören Mitras, ich hatte mir tatsächlich schon ein bisschen Sorgen um dich gemacht.“ antwortete Lisa ein wenig erleichtert. Imanuel warf einen kurzen anzüglichen Blick zu Kira und sagte: „Ja, dich häufiger zu sehen wäre definitiv, äh, erfreulich.“ Mitras fiel erst jetzt auf, wie sehr es ihn störte, dass sich Imanuel den ganzen Abend immer stärker an Kira heran gemacht hatte und gerade dieses anzügliche Grinsen störte ihn noch mehr. Imanuel hatte seinen Ruf recht erfolgreich mit gleich zwei bürgerlichen Frauen zerstört. Beide waren von ihm schwanger geworden, und das, obwohl er es eigentlich leicht hätte verhindern können. Die Zauber dafür waren einfach und schnell. Niemand musste sich deswegen seinen Spaß verderben und niemand sollte irgendwelche Folgen von diesem Spaß davon tragen. Mitras hoffte für die Kinder, dass sie das magische Potential ihres Vaters geerbt hatten, denn sonst würde es für sie und die Mütter schwer werden, sobald er aus der Fürsorgepflicht mit Erreichen ihres vierzehnten Geburtstags entlassen werden würde. Auch wenn Imanuel sonst kein schlechter Kerl war, Mitras würde ihn garantiert nicht in die Nähe irgendeines Mädchens lassen, dass er kannte und schon gar nicht in die Nähe seiner Schülerin. Er sah Kira an. Auch wenn sie nur die einfache Magierrobe trug, sah sie umwerfend aus. Er konnte es weder Imanuel noch Claudio übelnehmen, sie zu beachten, musste er eingestehen. Ihre Locken waren im Vergleich zu ihrer Ankunft so deutlich röter geworden, dass es einen spannenden Kontrast zu dem dunklen Rotton der Robe und den silbernen Streifen an ihrem Kragen ergab. Sie blickte auf und sah ihm in die Augen und für einen Moment lang glaubte er wieder ihre Lippen auf seinen zu spüren, gefolgt von einem Hauch Karamell. Er schluckte und blickte zur Seite. Diese Gedanken sollte er sich nicht in der Öffentlichkeit anmerken lassen!

Im nächsten Moment wünschte er sich, nicht zur Seite geschaut zu haben. Denn so sah er der Person, die gerade auf ihren Tisch zukam, voll ins Gesicht: Thadeus di Hedera. „Magister Mitras, welch Ehre, euch auch einmal auf diesem Convent begrüßen zu dürfen.“, grüßte ihn der Schulleiter. „Und ich sehe, Ihr habt euer kleines Ärgernis mitgebracht, um es Ihren Freunden vorzustellen?“ Mitras nickte ihm steif zu „Schulleiter.“ Räuspernd unterbrach er sich, um Zeit zum sammeln zu bekommen. „Selbstverständlich bringe ich meine Schülerin mit. Neben allem anderen ist dies hier auch eine Lehrveranstaltung und ich nehme den Auftrag, den mir die Schule gegeben hat, äußerst ernst.“ An den wissenden Blicken von Lisa und Claudio, die er im Augenwinkel sah, erkannte er, dass die beiden wie damals keine Freunde seines ehemaligen Mentors waren – und dass sie seine Absicht, Kira nicht zu sehr hervorzuheben, wohl verstanden. Er bereute, vorhin mit ihren Fähigkeiten geprahlt zu haben. Thadeus blickte ihn spöttisch an: „Nun, das ist sehr angenehm zu hören, dass Ihr etwas ernst nehmt.“ Er wandte sich Kira zu und kniff die Augen zusammen. Zu Mitras gewandt sagte er: „Aber nehmt ihr das mit der nördlichen Herkunft nicht etwas zu ernst? Ich erinnere mich nicht, dass sie so sehr nach Skir aussah, wie Ihr sie hier präsentiert. Das ist ein wenig viel rote Farbe in den Haaren für ein Dorfkind Berger Herkunft, meint ihr nicht? Als Schulleiter muss ich Sie erinnern, selbst wenn sie sich nicht gut anstellt, habt Ihr kein Recht, euren Ärger an ihr auszulassen. Oder ist das die neuste Vorliebe im Hause Venaris?“ Erschrocken sah Mitras zu Kira, die steif dasaß, als habe der Schulleiter sie statt mit Worten mit einem Zauber paralysiert. „Es tut mir leid euch das sagen zu müssen, werter Erzmagier di Hedera, aber in Kiras Haaren findet sich keine Spur von künstlicher Farbe, vielleicht lassen Eure Augen langsam nach oder ist es vielleicht so, dass ihr die Wahrnehmung von Farben verliert? Ihr solltet das vielleicht einmal untersuchen lassen.“, knirschte er so höflich wie möglich. Fenno, der bisher still war, platzte zu Mitras Erschrecken dazwischen: „Außerdem ist sie eine nette Gesellschafterin und auch schlau.“ Alle drehten sich zu Fenno um, der angesichts der vielen Blicke rot anlief und zu Boden schaute. „E.. Entschuldigt, Schulleiter, ich wollte nicht dazwischen sprechen…“, stotterte er. Mitras unterdrückte ein Stöhnen. Genau das hatte Thadeus defintiv nicht hören sollen. Dieser zog auch eine Augenbraue hoch und blickte zu Mitras. „Sooo, schlau, ja? Naja, da habe ich anderes gehört…“ Kira saß kreidebleich da. „Ich bin mir sicher, der junge Nirand kennt noch nicht viel von den Fähigkeiten meiner Schülerin, auch wenn die jungen Leute natürlich gerne reden.“, beeilte sich Mitras zu sagen. Hoffentlich kaufte Thadeus es ihm ab, Kira noch mehr in seinem Fokus zu wissen, war das letzte, was er wollte. „Falls der Schulleiter eine Probe sehen will, kann er sie gern zu einer Prüfung im kaufmännischen Rechnen einladen, nur um einen Anfang zu nennen.“ Thadeus lachte kurz auf. „Nein, Mitras, das Vergnügen überlasse ich ganz dir. Di Ries wird mir schon sagen, wie ihre Klausur war, wenn wir im Samhain über ihre Zulassung zu den praktischen Prüfungen entscheiden.“ Innerlich war Mitras erleichtert, noch mehr, als Thadeus sich mit einen angedeuteten Handbewegung nun wieder vom Tisch entfernte. Kaum war er außer Hörweite, zischte Lisa ihren Bruder an: „Du Trottel! Mann, Fenno!“ Dieser guckte sie verwirrt und verzweifelt an. „Was?“ Claudio legte seine Hand auf Lisas Arm. „Nimm es ihm nicht übel, er hat es gut gemeint. Fenno, Mitras und der Herzog di Hedera kommen nicht besonders gut miteinander aus. Der Schulleiter wollte nicht Kira treffen, sondern Mitras. Sie zu verteidigen ist also nutzlos und handelt dir nur Ärger ein.“ Mitras blickte sich kurz um und vergewisserte sich, dass keine weitere Person in Hörweite war. „Thadeus will sie scheitern sehen, weil er dann mich scheitern sieht. Er hat sie zu mir geschickt, weil er mich für einen schlechten Lehrer und einen schlechten Magier hält und sie für eine schwierige Schülerin. Fenno, das denkt er von allen nicht adelig geborenen Magiern. Wenn er glaubt, dass Kira schlecht ist, wird er nicht weiter nachhelfen und den Dingen ihren Lauf lassen. Kira ist aber deutlich talentierter, als er glaubt.“ Und noch viel talentierter als ich selbst vor meinen Freunden zuzugeben bereit bin, dachte er bei sich. „Und sollte er das erfahren, wird er ihr nur unnötig das Leben schwer machen. Also behalte das bitte in Zukunft für dich.“ Fenno blickte ihn und seine Schwester an, doch diese nickte nur leicht bestätigend. „Aber zu mir ist er nie schlecht gewesen, und meine Noten sind auch ganz gut…“ „Du warst auch nicht sein verhasster letzter Schüler und vor allem hast du keinen so großen Durchbruch hingelegt wie unser Wunderknabe hier. Sonst würde er mit dir auch ganz anders umgehen.“, warf ihm Lisa an den Kopf. Fenno schien noch nicht ganz überzeugt. „Aber… aber das darf er doch gar nicht, Leute benachteiligen wegen ihrer Herkunft…“ „Machen Menschen aber.“, schnappte Kira plötzlich scharf. Ihre Stimme schwankte noch etwas, aber die Farbe war in ihre Wangen zurückgekehrt. „Und wenn du nicht adelig bist, bist du nichts dagegen. Verstehst du, wie viel Glück du und deine Schwester haben? Wenn ich nicht magisch wäre, wäre ich jetzt wahrscheinlich tot – weil Adel eben machen kann, was er will.“ Mitras sah sie sorgenvoll an. Ja, das Trauma saß eindeutig noch tief. Imanuel zischte ein wenig zwischen den Zähnen. „Naja, töten kann dich jemand von Adel nun auch nicht einfach so. Wir müssen uns auch an Regeln halten. Und ein paar Intrigen an der Schule und am Hof sind ja nun nicht gleich der Grund, den gesamten Adel abzulehnen.“ Mitras unterbrach ihn. „Das mag in Uldum so sein, Imanuel. Auf dem Land können sich die Adeligen aber deutlich mehr herausnehmen. Wenn im Umkreis von Hundert Kilometern kaum 2000 Menschen leben, dann ist der Richter, der über den Fall entscheidet, mindestens auch mit einem etwaig angeklagten Adeligen verwandt. Die Landbevölkerung hat nicht ansatzweise so viele Möglichkeiten sich vor Willkür und Korruption zu schützen, wie in den Städten. Kira musste das schon am eigenen Leib erfahren.“ Die Stimmung war sichtlich abgekühlt. Insbesondere Imanuel blickte betreten drein. „Tut mir leid Freunde, unsere Anwesenheit zieht leider einige unliebsame Personen an. Es hat mich gefreut euch wieder zu sehen und ich hoffe wir können das bald in einer deutlich angenehmeren und privateren Umgebung wiederholen, wo uns nichts die Stimmung verdirbt. Aber ich glaube für heute reicht es. Wir werden jetzt aufbrechen. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend.“ Mitras stand auf und Kira tat es ihm gleich. Imanuel sprang aber auch gleich auf und verbeugte sich kurz vor ihr. „Kira, ich möchte mich für meine unbedachten Worte entschuldigen. Aber sei dir versichert, wir sind hier wirklich besser, hoffe ich.“ Kira blickte ihn kurz an. Ihre Hand berührte Mitras Hand, als sie einen Schritt rückwärts ging, und er griff danach. Sie schluckte und blickte ihn an, dann sah sie wieder zu Imanuel und den anderen, verbeugte sich höflich und sagte: „Ja, das weiß ich schon. Ich bin hier in Uldum sehr gut aufgenommen worden. Und, uhm, danke, Fenno, dass du mich verteidigen wolltest.“ Mitras drückte ihre Hand, nicht umhin kommend, sie für ihre Stärke zu bewundern. Trotz des Traumas, trotz der Beleidigungen des Schulleiters fand sie noch warme Worte für den Jungen, der von der Triade seiner Schwester und Mitras Erläuterungen sichtlich mitgenommen war. Sie verfehlte ihre Wirkung auch nicht, über Fennos Gesicht ging ein Strahlen der Erleichterung, und auch Imanuel, Lisa und Claudio nickten ihr freundlich zu, ehe er sie aus dem Saal führte. So sehr Mitras sich über die Ereignisse ärgerte, er war auch stolz auf Kira. Solch eine angemessene Reaktion wäre vor einigen Wochen sicher noch nicht denkbar gewesen. Es war keine Fehlentscheidung gewesen, sie ins Haifischbecken mitzunehmen, sagte er sich. Sie würde gut darin schwimmen lernen, wenn sie das Trauma erstmal ganz überwand.
Kira schaffte es, bis zur Kutsche aufrecht zu gehen und sich nichts von ihrem Gefühlssturm anmerken zu lassen. Doch sobald sich die Kutschtür schloß, fingen die ersten Tränen an, haltlos über ihre Wangen zu rinnen. Wie durch einen Nebel hindurch nahm sie wahr, dass Mitras sie in den Arm nahm, und sie krallte sich an ihm fest, schluchzte leise und schmiegte sich in seinen Geruch. „Es tut mir leid, dass es so heftig wurde, aber du hast dich sehr gut geschlagen. Ich bin stolz auf dich.“ Er verströmte eine beruhigend wirkende, magische Wärme und hielt sie einfach fest. Sie holte tief Luft. „Tut mir leid, ich wollte nicht heulen…“ Sie blickte auf seine Beine, um ihm nicht ins Gesicht sehen zu müssen. „Es ist nur, immer die Haarfarbe… ich bin eine Skir, nicht wahr? Eine Skirhexe oder sowas… ich wünschte, ich wüsste, wo das herkommt… und wie ich diese verdammte rote Farbe aus den Haaren kriege…“ Sie musste unbedingt wieder Wallnussfarbe besorgen, beschloß sie. „Ich hoffe, gar nicht. Thadeus hat recht, deine Haare sind deutlich heller geworden, seit du hier bist. Aber sie sehen jetzt auch bedeutend besser aus und passen viel besser zu dir kleinem Eichhörnchen.“ „Findest du?“, fragte sie scheu. Ihr Herz klopfte plötzlich wieder so schnell. Er mochte die roten Haare? Vorsichtig drehte sie sich, um ihn anzusehen. Seine eisblauen Augen waren dicht vor ihr, und er umfasste sanft mit der einen Hand ihr Kinn, mit der anderen wickelte er sich eine Locke um den Finger. „Ja, sie sind wunderschön.“, sagte er und jeder Gedanke an Wallnussfarbe war gestorben. Sie hatte plötzlich den dringenden Wunsch, ihn zu küssen dafür, dass er so wunderschön war und so wunderschöne Dinge zu ihr sagte. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoß bei diesem Gedanken. Vorsichtig legte sie die Hände um seinen Nacken, ängstlich, er könnte sie wegschieben. Doch er ließ nur die Hand sinken, mit der er die Locke umfasst hatte, und so nahm sie allen Mut zusammen, schob sich ein Stück nach oben, legte sanft ihre Lippen auf seine und war schon fast überrascht, dass er den Kuss zaghaft erwiderte. Es jagte tausend kleine Schmetterlinge durch sie hindurch, die all die negativen Gefühlen mit kleinen Schockwellen vertrieben und ihr innerhalb von Sekunden das Gefühl gaben, fast zu schweben. Mutig geworden küsste sie etwas intensiver, leckte sanft mit der Zungenspitze über seine geschlossenen Lippen. Nach einem kurzen Zögern öffneten sich seine Lippen und sein Griff wurde fester, fordernder, blieb aber trotzdem sanft und geborgen. Es nahm ihr den Atem, und so holte sie keuchend Luft, als er den Kuss nach einer scheinbar kleinen glücklichen Ewigkeit beendete. Aneinander geschmiegt saßen sie in der Kutsche, schweigend, und Kira traute sich nicht, auch nur einen Finger zu bewegen, aus Angst, dieses wundervolle Gefühl zu zerstören. Der dritte Kuss hatte schneller geklappt, als sie es sich erträumt hatte. Wie sehr sie diesen Mann liebte!

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