Schimmern – 19. Lunet 242 (Uldumstag)

Die Zeit bis zum nächsten Uldumstag, an dem Mitras mit ihr das erste Mal  das Kanalisieren üben wollte, schien Kira endlos lang und doch verging sie wie im Fluge. Sie las über Atemtechniken, Meditation und den Magiefluss, ging mit Abby auf den Wochenmarkt und probierte die neuen Kleider an, die Abby fertiggestellt hatte. Sie badete, zeichnete und las. Die ganze Zeit schwebte die Aussage von Mitras in ihrem Kopf. Du bist stark. Stark. So stark wie er. Nicht zu schwach. Stark. Es brauchte eine lange Weile, ehe sie es akzeptieren konnte. Deswegen hatte man sie nach Uldum geholt, weil der Zauber, den sie ausgeführt hatte an Johann, komplex gewesen war und stark, und weil man befürchtete, sie sei schlecht zu kontrollieren. Mitras hatte ihr erzählt, dass er mit dem Leiter der Schule auf keinem guten Fuß stand, und dass dieser ihm wohl keinen Gefallen hatte tun wollen. „Aber du bist der größte Gefallen, den Thadeus mir je gemacht hat.“ Sie spürte den ganzen Mafuristag, wie dieser Satz in ihr prickelte. Als der Uldumstag kam, war sie aufgeregt, aber auch so glücklich und selbsbewusst wie schon lange nicht mehr. Sie hatte das Gefühl, wenn sie nicht aufpasste, würde sie vermutlich bald schweben, sobald Mitras in ihrer Nähe war. Selbst Abby war es schon aufgefallen, sie hatte sie über Nathanael ausgefragt und Kira hatte ihr stolz erzählt, dass Mitras sie als Freundin betitelt hatte. Nun stand sie vor der Tür des Labors und spürte, wie ihr Herz klopfte, während sie die Hand hob, um anzuklopfen. Jetzt würde es wirklich losgehen.

Mitras gähnte und wirkte einen Zauber, der die Müdigkeit auf der Stelle vertrieb. In drei Stunden würde sie umso stärker wiederkehren, aber Kira sollte ihren freien Nachmittag nutzen können und er hatte die letzten zwei Tage gut genutzt und konnte es sich leisten, den Nachmittag mit Schlafen zu verbringen. Mittlerweile hatte er Zauber aller Schulen auf das Elektrum gewirkt und einige Erkenntnisse gewonnen. Ob ihn irgendwas davon mit dem Generator weiter helfen könnte, wusste er noch nicht, aber seine Zuversicht war wieder geweckt. Er machte Fortschritte und lernte Neues, allein das sorgte schon für bessere Laune, als er sie irgendwann in den letzten zwei Monaten mal hatte.

Es klopfte und er rief sie herein. „Guten Morgen Kira, bereit?“ „Guten Morgen, ja… Mitras.“ Er sah ihr an, dass sie nervös war. Sie trug wieder die Magierrobe. Der Schnitt dieser Roben mochte dem modebewussten Menschen der heutigen Zeit altmodisch erscheinen, aber sie waren bequem und engten die Beweglichkeit des Trägers nicht ein. Er wies auf ihren Stuhl und sagte: „Setz dich erstmal. Die Theorie kennst du ja schon sehr gut, aber es selbst zu erleben ist schon etwas anderes. Du hattest am Silenz ja schon die Vermutung geäußert, dass du schonmal kanalisiert hast. Darüber würde ich gern zuerst reden. Wie kommst du auf die Vermutung?“ Kira überlegte einen Moment. „Die Atemtechniken kannte ich schon, also das bewusste Einatmen. Ich…ähm… ich hab gerne Streiche gespielt, wenn die anderen mich mal wieder nicht beachtet haben. Und dann habe ich so eingeatmet wie in den Büchern beschrieben und mir gewünscht, man würde mich nicht sehen. Und tatsächlich hat man mich irgendwie nicht richtig gesehen, glaube ich.“ Mitras unterdrückte innere Neugierde und ein Schmunzeln. Streiche gespielt, so so. Er antwortete: „Da kommen mehrere Zauber in Frage. In der Verwandlungsschule gibt es Zauber, die den Körper durchsichtig oder sogar komplett unsichtbar machen können, aber auch in der Hellsichtsschule gibt es Möglichkeiten, den Geist zu beeinflussen. Man ist dann zwar nicht unsichtbar, aber für die Verzauberten nicht mehr wahrnehmbar, glaube ich. Aber in dem Bereich kenne ich mich nicht wirklich gut aus.“ Beides waren außerdem reichlich komplexe und potente Zauber. Wenn sie das intuitiv gewirkt hatte… Er spürte, dass er selber ein wenig nervös wurde. Kurz überlegte er, ob sie nicht lieber in sein Schlafzimmer und den dortigen Zirkel gehen sollten, dort gab es weniger wertvolle Gegenstände, die kaputt gehen konnten. Doch er verwarf den Gedanken rasch wieder. Sie in sein Schlafzimmer mitzunehmen war definitv unangebracht, selbst jetzt, da sie sich als befreundet sahen. Außerdem konnte er mit den Geräten hier den Zauberfluß besser überwachen und für den Fall, dass es nötig war, aufzeichnen. „Hast du denn schon andere Zauber gewirkt oder das Gefühl gehabt, etwas ungewöhnliches sei passiert?“ Kira blickte ihn einen Moment an, dann lachte sie bitter auf. „Oft, ja. Ich habe mal einen Sturm auf dem Meer vorhergesehen, ehe er kam. Und einmal ist ein Schneeball von mir um eine Ecke geflogen. Äh… vielleicht auch mal ein Pferdeapfel, aber da weiß ich nicht so genau, was passiert ist. Und die Hunde konnte ich immer gut beruhigen, aber das ist keine Magie, oder? Und…hmmm… Oh, der Tee meiner Mutter. Ich war sauer und hab mir gewünscht, es wäre Essig. Und dann hat sie ihn ausgespuckt und ist rausgerannt. Vielleicht war es wirklich Essig geworden?“  Das war eine ganze Flut unterschiedlichster Zauber und das scheinbar über einen langen Zeitraum verteilt. Er wusste nicht, ob es Magie gab, mit der man Tiere so beeinflussen könnte, aber da die Hellsicht auch auf den Geist wirkte, konnte das durchaus möglich sein. Wieso hatte das nie einer gemeldet? Es war doch schon länger offensichtlich, dass sie eine Begabung hatte. Spätestens der Dorfpriester Bruder Harras hätte das doch erkennen müssen. Oder hatte er es bewusst zurück gehalten? Das wäre eine gefährliche Entscheidung gewesen, die Mitras beim besten Willen nicht nachvollziehen konnte. Er nahm sich vor, Kiras Leben in Bispar doch besser zu durchleuchten. „Das sind eine Menge Vorfälle. Hat denn nie jemand den Verdacht geäußert, dass du eine Magierin sein könntest? Alleine schon zu deinem Schutz hätte das gemeldet werden müssen.“, fragte er sie besorgt. Kira zuckte mit den Schultern. „Naja, sie haben mich ja als Hexe bezeichnet, aber ich dachte nicht, dass das stimmen könnte. Bruder Harras hat gesagt, dass machen sie nur, um mich zu ärgern, und dass alle übertreiben. Und, hmm, ich hab halt viele Dinge niemandem erzählt, weil… naja… Skirhexen sind halt böse… und ich bin nicht böse… wollte ich zumindest nicht sein. Nur manchmal, da hat es mir eben so gereicht mit dem ganzen Ärgern und so… und dann sind halt so Sachen passiert.“ Sie senkte beschämt den Kopf. „Ich hab aber niemandem je wirklich wehgetan…außer Johann…“, flüsterte sie. „Die Hexen sind auch nicht unbedingt böse. Die Menschen in deiner Heimat haben sie nur wegen des Krieges aus der schlimmstmöglichen Perspektive erlebt. Und nach allem, was ich gehört habe, sind die Hexen tatsächlich äußerst beeindruckend. Hoffen wir, dass es nicht so bald, oder besser nie wieder, einen Krieg gegen die Skir geben wird. Was dich angeht, du scheinst, wohl auch dank der Vorurteile, viel zu lang nicht entdeckt worden zu sein. Aber gut, jetzt gilt es erstmal dein Bewusstsein für die Magie zu schärfen. Bisher hast du den Vorgang des Kanalisierens nicht wahrgenommen, das werden wir ändern. Ich muss noch ein paar Vorbereitungen zur Sicherheit treffen. Keine Sorge, dass ist alles Routine. Du kannst dich schon in die Mitte des Zirkels setzen, da auf das Kissen, wenn du magst.“ Kira setzte sich im Schneidersitz auf das Kissen, während er die Geräte justierte, mit Magie versorgte und die richtigen Zauber wirkte, um den Magiefluss beobachten zu können. Zusätzlich wirkte er auch einige Zauber auf sich selbst, um den Magiefluss besser und ihre Aura überhaupt sehen zu können. Und letztendlich wirkte er, auch wenn das definitiv nicht zur Routine gehörte, einen halbkugelförmigen Schutzschild über den Zirkel. Danach merkte er, dass das ganz schön viele Zauber waren – den, der ihn gerade noch wach hielt, eingeschlossen. Viel mehr würde er heute nicht mehr zaubern können, wenn er nicht gerade über eine neue magische Flusslinie in seinem Keller stolperte. Was natürlich nicht passieren würde, magische Flüsse tauchten ja nicht einfach so auf, die in seiner Schmiede war schon ein Glücksgriff, und um Magie damit aufladen zu können, hätte sie noch deutlich dichter an der Oberfläche sein müssen. Er seufzte ein wenig erschöpft und wandte sich dann Kira zu, um ihre Aura zu betrachten.

Sie schimmerte. Alle Auren hatten ein spezielles, persönliches Element ihres Trägers. Einge glommen, andere schimmerten, glitzerten, funkelten… an der Art des Leuchtens, so einzigartig wie ein Fingerabdruck, konnte man Magier wiedererkennen. Nathanael hatte mal gesagt, Mitras Aura würde glimmen. Kira schimmerte. Es war ein erstaunliches sanftes Schimmern gemessen an der Tatsache, wie lebhaft sie ihm sonst erschien, aber es war auch kraftvoll, angenehm. Es erinnerte ihn an Sonnenschein auf den Flügeln eines Schmetterlings und in dem Moment, als dieser Gedanke in seinem Kopf Form annahm, fand er ihn schon kitschig. Vielleicht eher Sonne im Pelz eines Eichhörnchens, korrigierte er sich. Die Aura leuchtete, passend zu ihren Haaren, rötlich. Das machte Sinn, die Farbe gab Hinweise auf den Gemütszustand des Trägers, und rot wies auf Aufregung hin, Stress oder Angst, manchmal auch Wut. Stellenweise hatte er den Eindruck, das Rot würde einen Rosa weichen, was auf Scham hindeutete, oder Schuldgefühle, das passte zum Gespräch eben. Einen Moment lang stand er einfach da und betrachtete sie, wie sie schimmerte, wie sie war, versuchte sich einzuprägen, was er wahrnahm. So würde er sie wiedererkennen können, falls das nötig war. Ihre Aura war schön, und hell. Die Helligkeit zeigte ihm das Maß an magischer Energie an, die sie gerade hielt. Er hatte damit gerechnet, dass sie ein starkes Grundpotential hatte, das hatte ja schon ihre Sondierung gezeigt. Tatsächlich war sie in etwa so hell, wie er selbst es gewesen wäre, wenn er gerade ganz entspannt war.

Als er mit allem fertig war, kniete er sich hinter sie. „So, atme ganz ruhig und gleichmäßig. Leg deine Arme entspannt auf die Knie, Hände nach oben offen, so bist du offen für deine Umgebung. Genau so.“ Kira führte seine Anweisungen gewissenhaft aus. Sie hatte vermutlich geübt, die Anleitungen standen ja im Buch. „Mach die Augen zu. Um dich herum ist Magie. Du kannst sie fühlen. Du kannst sie in dich einatmen. Hole tief Luft und zieh ein bisschen davon in dich hinein, in deinen Bauch.“ Kira atmete ein und Mitras drehte instinktiv den Kopf weg, als ihre Aura plötzlich grell aufleuchtete. „Oh.“ Er blinzelte und schaute wieder hin. Sie hielt die Magie. Mit einem Atemzug hatte sie mehr Energie aufgenommen, als ein ungeübter Magier üblicherweise überhaupt greifen konnte, und statt sie gleich wieder in die Umgebung abzuleiten, hielt sie sie einfach. Er linste auf eines seiner Geräte. Sie hielt etwa doppelt so viel Energie wie ihr Grundlevel. Die Menge hätte genügt, um ein Drittel der Energiemenge für das Ritual zum Laden des Generators zu liefern. Ehe er sich darüber zu sehr wundern konnte, sah er allerdings, wie das Leuchten in ihr zu flackern begann und sich an ihren Fingerspitzen kleine, leuchtende Punkte bildeten, ein klarer Hinweis darauf, dass sie dabei war, die Magie unkontrolliert zu verlieren. „Gut Kira, jetzt stell dir vor, dass du sie ganz langsam wieder entlässt, während du langsam ausatmest. Lass die Luft langsam raus.“ Kira entließ die Luft aus ihren Lungen mit einem heftigen Keuchen. Offenbar hatte sie die Luft angehalten. Die Magie schlug einen Bogen zwischen ihren Händen und sprang dann in die Luft, prallte aber am Schutzschild ab. Einzelne Funken stoben davon, um Kira herum und erwischten Mitras, der sie geübt in sich aufnahm. Es fühlte sich an wie erfrischende Spitzer Wasser, da er selbst ja gerade relativ magieleer war. Er räusperte sich. „Ja, ausatmen ist schon nicht schlecht, etwas langsamer wäre aber besser.“ Kira holte tief Luft, und zog dabei wieder etwas Magie in sich hinein, allerdings nicht mehr so viel wie am Anfang. „Tut mir leid.“ Mitras beugte sich neben ihr vor, so dass sie ihn sehen konnte, und lächelte sie an. „Keine Sorge. Denk an das Weiteratmen und versuche, etwas weniger Magie einzuziehen und sie langsam wieder loszulassen.“ Kira setzte sich wieder gerade hin, schloß die Augen, atmete einen Moment ruhig und holte dann wieder Luft, etwas weniger heftig als beim ersten Mal. „Ja, gut!“ Ihr Magielevel war wieder deutlich angestiegen, aber diesmal nur etwa um die Hälfte ihres Grundpotentials. „Und jetzt langsam abgeben. Stell dir vor, du atmest eine Wolke von Magie aus.“ Sie atmete aus, und für einen Moment konnte er die Magie tatsächlich als kleine Wolke vor ihrem Gesicht sehen, ehe sie sich wieder verflüchtigte. Er lobte sie, ließ sie einen Moment ausruhen und dann die Übung wiederholen. Als er sicher war, dass sie die Übung beherrschte, stand er auf und holte vom Schreibtisch etwas Wasser. „Sehr gut. Trink etwas, eine kleine Pause tut dir gut.“ Sie nahm das Glas und lächelte ihn dabei glücklich an. Ihre Aura war nun nur noch wenig rot, stattdessen schimmerte sie grünlich, was auf Freude hinwies. „Gut, weiter geht es. Ich möchte jetzt, dass du wieder Magie aufnimmst, sie dann aber hältst, ohne dabei die Luft anzuhalten. Halte die Magie fest, nicht aber die Luft.“ Sie setzte das Glas neben sich ab, wartete, bis er wieder hinter ihr kniete, und holte Luft. Das Grundlevel stieg moderat an, so wie sie es gerade geübt hatten. Dann zitterte es. Mitras lächelte. Es zittert immer am Anfang, dachte er. Aber, was ihm damals nicht gelungen war, gelang nun ihr: Sie atmete weiter und hielt die Magie in sich. Etwas wackelig, ein wenig verlor sie bei jedem Ausatmen, aber sie hielt sie. „Sehr gut!“ Er griff ihre rechte Hand und drückte sie als Bestätigung. Das schien sie allerdings zu überraschen, sie drehte den Kopf zu ihm und verlor die Kontrolle über die Magie. Mitras hatte das Gefühl, einen elektrischen Schlag zu bekommen, als diese schlagartig von ihr zu ihm strömte. Er nahm sie auf, konzentrierte sich einen Moment und lies dann das, was nun über seinem Grundpotential lag, abfließen. Kira keuchte und verzog kurz in einem schmerzhaften Zucken das Gesicht. „Oh, ich hab sie verloren!“ Mitras schalt sich innerlich selber. Er hatte sich zu sehr von der Begeisterung für ihren Erfolg mitreißen lassen und sie durch die Berührung abgelenkt. „Entschuldige, das war mein Fehler. Ich habe dich gestört.“ Er ließ ihre Hand wieder los. Die Magie in ihm fühlte sich gut an. Wenn man Magie so wirkte, dass das eigene Grundpotential unterschritten wurde, fühlte es sich immer etwas wie Hunger an. Er hätte natürlich ebenso wie sie einfach Magie schöpfen können, aber da jede Umgebung zunächst ein begrenztes Maß an Magie enthielt und diese abseits der Flusslinien nur langsam nachfloß, hatte er den Bereich in und um das Labor für die Übung so gut gefüllt wie möglich halten wollen. Nathanael hatte ihm beigebracht, dass manche Discipuli am Anfang nur schwer Zugang zur Magie fänden und es daher half, in einer Umgebung mit hohem Magiepotential zu trainieren. Nun, die Schwierigkeit würde man bei Kira ganz offenbar ausschließen können. Er ließ sie die Übung wiederholen, bis sie etwa die Hälfte ihres Grundlevels für einige Minuten halten konnte. Die Leichtigkeit, mit der sie sich Magie heranzog, verblüffte ihn, und er war auch etwas neidisch. Während er sie beobachtete, fragte er sich, ob diese Magieübertragung nicht auch ihm helfen konnte. Sie konnte die Magie rascher greifen als er selber. Was, wenn sie ihm die Magie dann etwas langsamer überleiten konnte? Es würde die Zeit, die er brauchte, bis er das Ritual für den Generator ausführen konnte, vermutlich verkürzen… Doch die Übergabe von Magie war ein recht intimes Ritual. Selbst mit einer freundschaftlichen Beziehung zwischen ihnen wäre es unangemessen gewesen, sie darum zu bitten. „So. Für heute genügt das. Ich vermute, dir brummt bald der Kopf. Und falls dir ein bisschen schlecht werden sollte später, das ist auch eine typische Nachwirkung des ersten Kanalisierens, also mach dir keine Sorgen. Das geht schnell wieder weg.“

Kira ließ sich seufzend auf das Kissen sinken. Mitras hatte Recht. Ihr brummte der Kopf. Aber sie hatte auch das Gefühl, schweben zu können. Besonders in den Momenten, in denen sie die Magie hielt. Tatsächlich war es ihr sehr leicht gefallen, den Fluss der Magie um sich zu fühlen. Wenn sie ehrlich war, hatte sie ihn wahrscheinlich schon immer gespürt, sie hatte nur nicht gewusst, was das war. Jetzt hatte es einen Namen. Sie konnte es begreifen. Sie schmunzelte, als sie an den Philosophie-Artikel dachte. Sie streckte die Beine und Arme aus und lag einen Moment still auf dem Rücken in der Mitte des Zirkels. Ihre rechte Hand pochte immer noch ein wenig, da, wo Mitras sie berührt hatte. Sie hatte richtig gemerkt, wie die Magie zu ihm herüber gesprungen war, wie ein Blitz zwischen zwei Wolken. Hmmm. Das war dann wohl das erste Mal, dass es zwischen mir und einem Mann gefunkt hat, dachte sie und kicherte.

Mitras war aufgestanden, um die Geräte zu deaktivieren. Er beobachtete Kira, die sich längs auf dem etwas zu kleinen Kissen ausstreckte. Ihr Kopf hing nach hinten durch und ihre Haare bildeten ein rotschimmerndes Netz um ihr Gesicht, sie floßen geradezu über den dunklen Boden. Sie hatte die Augen geschlossen und er kam nicht umhin, wieder einmal zu bewundern, wie lang ihre Wimpern waren. Eher unterbewusst rieb er sich die Hand, an der der Magieschlag ihn getroffen hatte. Frederieke hatte schon Recht gehabt. Eine schöne Frau. Er dachte kurz an Claudia. Kira war allerdings auch wirklich sehr begabt, im Gegensatz zu ihr. Geradzu gefährlich begabt. Er deaktivierte den letzten Flussmesser und ließ dabei seinen Blick über ihren Körper streifen, der sich unter der Robe abzeichnete. Für einen Moment blitzte in seinem Kopf der Gedanke auf, wie sie wohl ohne Robe aussehen würde, so dahingestreckt… doch dann wischte er den Gedanken rasch wieder beiseite. Kira räkelte sich etwas und kicherte dann. Sie schlug die Augen auf und sah ihn an. Mitras senkte den Blick, er fühlte sich, als hätte sie ihn bei etwas unanständigem ertappt.

Mitras wich ihrem Blick aus. Ob er sich dafür schämte, dass er sie abgelenkt hatte? Seine Hand musste vermutlich auch weh tun. Eigentlich hatte sie die Geste ziemlich gut gefunden. Vertraut. Er hatte sich mit ihr begeistern wollen. Sie hatte ihre erste Magieübung gut gemeistert! Glücklich stand sie auf, streckte sich und fragte: „Gehen wir gemeinsam zum Essen?“ Mitras, der eben noch mit dem Gerät beschäftigt war, nickte. „Gerne, meine begabte Discipula. Du warst ganz hervorragend heute, darf ich dich dafür zum Essen einladen?“ Kira guckte ihn einen Moment irritiert an, sah dann sein Augenzwinkern und lachte. „Mylord, danke. Ich nehme die Ehre gerne an, mich zu einem Essen einladen zu lassen, das mir sowieso zusteht.“ Sie hob den Arm und nach kurzem Zögern reichte Mitras ihr seinen, damit sie sich unterhaken konnte. Gemeinsam gingen sie zum Esszimmer, wo Abby bereits den Tisch deckte.

Als Kira später im Bett lag und über den Tag nachachte, hatte sie das Gefühl, vor Aufregung kaum schlafen zu können. Die Magie schien immer noch durch ihren Körper zu pulsieren. Den Nachmittag über hatte sie mit Abby und dem Zuschnitt eines neuen Korsetts verbracht, weil Mitras schlafen gegangen war. Die ganze Zeit hatte sie das Gefühl gehabt, in ihr und um sie sei die Magie. Wahrscheinlich war sie immer dort gewesen, aber nun wusste sie, wie sie sich anfühlte, was das war, was da um sie war. Sie hatte ein paar mal, obwohl sie es nicht tun sollte, die Magie in sich gesammelt und wieder ausgeatmet, einmal hatte sie dabei versehentlich Abbys Papiere vom Tisch gepustet, aber sonst war alles gut gegangen und es hatte sich so gut, so richtig angefühlt. Als ob sie bisher nie ganz geamtet hatte und nun die Magie ein- und ausatmete und es einfach richtig war. Wenn auch ein bisschen schmerzhaft manchmal. Besonders ihre Hand prickelte beinahe, wenn sie auf die ersten Übungen zurückblickte. Sie dachte an Mitras. Seine Nähe hinter ihr. Seine Berührung. Sie war nicht unangenehm gewesen. Mitras war ein Mann, aber er kam ihr nicht abstoßend vor. Seine Berührung war schön. Sie schalt sich innerlich selber: Er war ihr Mentor und viel älter als sie. Über so jemanden konnte man doch keine romantischen Gedanken entwickeln! Aber er sah so gut aus, welches Mädchen würde nicht so über ihn denken? Oh bei den Geistern! Wenn er bei ihr in der Scheune gewesen wäre und nicht Johann… dann hätte sie ihre erste Nacht vielleicht schon hinter sich… der Gedanke ließ sie knallrot anlaufen. Das waren einfach unglaubliche Entwicklungen, die gerade passierten. Sie war aus Bispar raus. Sie war eine Magierin, sie atmete Magie. Vielleicht war sie doch eine Art Skirhexe, aber eine gute. Und sie war – es dauerte eine Weile, ehe sie es sich eingestand – von ihrem Mentor fasziniert. Von einem Mann. Einem richtigen Mann. Einem fürsorglichen, gutaussehenden, vermutlich reichen und mächtigen Mann. Sie verstand plötzlich, warum Sybille, eine ihrer Bekannten aus der Lührenburger Schule, sogar bereit gewesen war, die Schule für ihren Verlobten abzubrechen. Sie hätte vermutlich auch alles gemacht, was Mitras gerade von ihr wollte. Er war ein guter Mann, und er würde sie beschützen… vielleicht wäre Sex mit ihm gar nicht so schlimm… Sie dachte an seine Hand auf ihrer Haut und ließ dabei ihre Hand zwischen ihre Beine gleiten. Versunken in die Fantasie dauerte es nicht lange, bis sie keuchend zum Orgasmus kam und anschließend in einer Mischung aus Scham und Erschöpfung die Decke wieder über sich zog und sich einkuschelte. Wenigstens war sie jetzt etwas entspannter und konnte einschlafen…

Mitras war gerade noch rechtzeitig zum Abendessen wieder erwacht und aß nur wenig. Er war immer noch sehr ermattet. Der Zauber war eigentlich für Extremsituationen gedacht und seine körperlichen Folgen waren zwar nicht lange zu spüren, sofern man ihn nur einmal anwendete, kosteten in der Regel aber einen Tag. Nun hatte er sich in die Bibliothek zurück gezogen und sinnierte bei einem Glas Rum über die Übung. Er hob das Glas an und betrachtete die wie eine Kerze geformte Lampe durch die bräunliche Flüssigkeit. Es war ein überaus hochwertiger Rum mit leichter Vanillenote, dezent, nicht zu süß und dennoch mild. Die Reflexionen des Lichts erinnerten an das Schimmern in Kiras Aura, auch wenn die Farbe anders war. Er schwenkte das Glas leicht und versetzte den Rum in eine leichte Bewegung, was das Schimmern verstärkte. Kiras Potential war gewaltig und das ohne jegliches Training. Allein ihr Grundniveau übertraf das seine schon fast. Noch vor ihrem Schulantritt könnte sie ihn vielleicht sogar überbieten. Er lachte kurz bei diesem Gedanken. Hätte Thadeus gewusst, wie hoch ihre Fähigkeit jetzt schon ausgebildet war, er hätte sie nie zu ihm geschickt. Aber die Prüfung zeigte nur die Tendenz für eine Schule an, nicht die Stärke des Schülers. Man konnte aus dem Ergebnis zwar grob darauf schließen, wie groß das Potential war, aber das war weit entfernt von einem klaren, gut ablesbaren Ergebnis. Wie dem auch sei, Mitras nahm sich vor wieder regelmäßiger zu meditieren und die Übungen zur Verstärkung seines Potentials wieder aufzunehmen. Dank des Generators hatte er sie viel zu lange schleifen lassen. Er konnte nicht abschätzen, ob er Kira so lange voraus bleiben konnte. Würde sich ihr Potential mit der gleichen Rate wie bei allen Studenten vergrößern, dann würde sie trotzdem schon sehr bald über ein höheres Potential als er verfügen. Aber letztendlich war das auch nicht alles. Zauberei erforderte Disziplin, Wissen, jahrelange Übung und auch eine gewisse Fingerfertigkeit. Aber seine Erwartungshaltung an sie war noch einmal gestiegen. Mit der richtigen Anleitung könnte sie Großes vollbringen. Er würde Nathanael wohl früher oder später um Unterstützung bitten müssen. Thadeus hingegen würde er so lange wie möglich im Dunkeln lassen.

Er trank den letzten Schluck Rum und beobachtete im Augenwinkel, wie das Schimmern verschwand. Dieses Schimmern… er hatte schonmal eine Magierin gekannt, deren Aura ein Schimmern gewesen war. Claudia. Letztendlich verdankte er ihr seinen Aufstieg ebenso wie William, hatte sie ihn doch auf diesen Ball geschleppt. Er lächelte ein wenig wehmütig. Sie hatte geschimmert und sie war auch eine angenehme Bettgenossin gewesen. Warum hatte sie seinen Antrag damals abgelehnt? Sie hatte ihn doch eigentlich heiraten wollen, hatte immer davon gesprochen, während er in seine Arbeit vertieft war. Was auch immer passiert war, seitdem mied sie ihn. Er stellte das Glas ab und ging durch die Zwischentür in sein Zimmer. Nachdem sie sich zurückgezogen hatte, war er bei keiner Frau mehr gewesen. Sie interessierten ihn einfach nicht so sehr, und die Arbeit… Er betrachtete den Spiegel. Sie schimmerte. Und genau wie Claudia war sie auch körperlich wirklich ansehnlich. Ihre roten Haare faszinierten ihn immer wieder. Er dachte an den nackten Rücken, den er das letzte Mal im Spiegel gesehen hatte und war versucht, erneut im Spiegel nach ihr zu sehen. Aber war es nicht zu aufdringlich? Nachdenklich rieb er sich die Hand, mit der er ihre Magie aufgefangen hatte. Das Gefühl wogte noch leicht in ihm nach. Jede Magie, wenn sie von einem Lebewesen aufgenommen worden war, hatte einen eigenen Geschmack, ein eigenes Gefühl. Magie zu geben und zu nehmen galt als ein recht intimes Ritual, es wurde auch erst in den höheren Semestern gelehrt. Kiras Magie hinterließ einen sanften Geschmack von Karamell in seinem Mund. Er setzte sich vor den Spiegel und aktivierte die Runen. Schimmerndes Karamell. Er hatte fast das Gefühl, ganz sanft gezogen zu werden. Eigentlich hatte er sich vorgenommen, es nicht wieder zu machen, doch nun blickte er in ihr Zimmer und konnte die Augen nicht davon lösen.

Sie lag auf dem Bett und trug einen ungewöhnlichen Schlafanzug. Er hatte von solcher Bekleidung schonmal gehört, aber es überraschte ihn, Hosen zum Schlafen gehen bei einer Frau zu sehen. Der Stoff war weit und verbarg die Formen ihres Körpers, wofür der vernünftige Teil von ihm dankbar war. Sie schien noch nicht ganz zu schlafen, wälzte sich unruhig hin und her, ab und zu hob sie die Hand, als würde sie gestikulieren und mit sich selbst reden. Es sah niedlich aus und auch, wenn es defintiv unangebracht gewesen wäre, so wünschte er sich doch, zu wissen, worüber sie mit sich selbst sprach. Vermutlich war sie noch aufgeregt von der heutigen Übung, das war verständlich. Nach einer Weile wurde sie ruhiger und er betrachtete ihr Gesicht, das von roten Haaren umflossen war und nun zum Spiegel gedreht war. Sie lächelte sanft. Er lies den Blick über ihren Körper gleiten. Ihre Hand lag zwischen ihren Beinen, die sie jetzt etwas öffnete. Er spürte, wie ihm Hitze schlagartig in den Kopf und zwischen die Beine fuhr, während er beobachtete, wie sie den Rücken durchdrückte. Er wollte wegschauen, konnte aber nicht. Sie hatte den Mund leicht offen, ihre Finger rieben zwischen ihren Beinen und ihr Körper bebte und zuckte. Keuchend ließ Mitras seine Hand auf seine Hose sinken und spürte, wie sein Glied hart gegen den Stoff drückte. Er schüttelte den Kopf, um die Augen von dem verlockenden Bild im Spiegel lösen zu können, doch es gelang ihm nicht, sein Blick fand wieder dorthin zurück. Beinahe meinte er, ihr Keuchen zu hören, als sie sich aufbäumte und dann entspannt aufs Bett sank. Mitras atmte heftig, doch es gelang ihm, seine eigene Erregung unter Kontrolle zu halten. Diese Schülerin würde vielleicht wirklich eine Ablenkung sein, vielleicht sogar eine gefährliche, auch wenn sich Thadeus das so bestimmt nicht gedacht hatte. Mitras fluchte innerlich über seine mangelnde Selbstbeherrschung. Diese Bilder würde er nicht mehr vergessen können. Die lange Zeit der Abstinenz wurde ihm fast schmerzhaft bewusst, während er den Spiegel deaktivierte und seine Hose zurecht rückte. Vielleicht sollte er doch einmal ins Bordell gehen? Er wies den Gedanken rasch wieder von sich. Er würde sich einfach besser beherrschen müssen. So schwer konnte etwas Disziplin ja nicht sein. Das letzte, was er wollte, war Kira zu bedrängen oder ihr Schaden zuzufügen, das hatte sie nicht verdient. Und auch wenn sie offenbar wie alle Mädchen ihres Alters sexuell aktiv war, hatte das sicher nichts mit einem so viel älteren Mann wie ihm zu tun. Mit einer Mischung aus Bedauern und anhaltender Erregung begann er, sich zum Schlafen gehen fertig zu machen.

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