Helfende Hand – 20. und 21. Lunet 242 (Ingas und Schengstag)

Am nächsten Nachmittag erbat sich Kira, in die Stadt gehen zu dürfen. Eigentlich hatte sie sich gestern schon mit Sebastian treffen wollen, aber über das Kanalisieren völlig vergessen, dass sie sich vorgenommen hatte, jeden Uldumstag in die Bibliothek zu gehen. Mitras, der ein wenig abwesend wirkte, nickte ihren Wunsch ohne Nachfragen ab, und so lief sie nach dem Mittagessen zur Kutschenstation. Julius zu finden, war nicht schwierig, und er brachte sie erst zum Postamt, wo sie einen ganzen Silberling für den Brief bezahlen musste, und dann zur Altstadt. Die ganze Zeit spürte sie, wie die Magie um sie herum floß und sie sie ein- und ausatmete. Wie neugeboren. Näher am Fluss stellte sie fest, war die Magie anders, stärker, aber auch kälter, leichter zu greifen, aber auch schneidener, schwieriger zu halten, und sie gab sich Mühe, nicht zu viel zu atmen, während sie über die Brücke fuhren. Sie befürchtete, die Magie könnte ihr wieder entgleiten.
Sebastian entdeckte sie zwar rasch, als sie in die Bibliothek kam, aber er war in ein Gespräch mit einer hübschen blonden Frau vertieft und schien sie nicht zu bemerken, also suchte sie sich aus der Abteilung der Bücher über Magie einige interessante Titel heraus, zog sich an einen Tisch in der Nähe zurück und begann zu lesen. Zunächst griff sie sich das Buch über die unterschiedlichen Magiearten, das sie schon beim letzten Mal gelesen hatte. „Von Hexen, Dämonen und der rechten Magie. Ein Streifzug durch internationale Magieanwendungen.“ Diesmal schlug sie gezielt das Kapitel zu den Skirhexen auf. Der Autor des Buches hatte Burnias offenbar besucht, denn auf der ersten Seite fand sie ein Bild, dass sie im Original schon in Lührenburg gesehen hatte: Eine schreckliche rothaarige Hexe mit angespitzten Zähnen, umgeben von allerlei wilden Tieren, die aus dem Dunkel des Waldes hinter ihr herauszubrechen drohten. Skirhexen, las sie, seien äußerst selten, äußerlich auch meist von gewöhnlichen Skirfrauen nicht zu unterscheiden. Der Text war merkbar um Sachlichkeit bemüht, hob auch hervor, dass Skirhexen eher nicht wie auf dem Bild dargestellt seien, aber Kira merkte dennoch, dass auch hier die üblichen Schuldzuweisungen mitschwangen: Im Krieg seien Skirhexen eine mächtige Bedrohung, da ihr Magiewirken so eng mit der umgebenden Natur verwoben sei, dass es beinahe unmöglich sei, die Zauber zu analysieren und zu brechen. Sie seien wild, unberechenbar, von „natürlicher Grausamkeit“ – was auch immer an Grausamkeit natürlich war – und gerade für männliche Soldaten und Offiziere gefährlich, da sie nicht davor zurückscheuten, auch ihren eigenen Körper einzusetzen, um an die gewünschten Informationen zu gelangen. Ihre Verführungszauber seien so subtil, dass selbst starke Magier ihnen schon erlegen seien. Kira legte das Buch beiseite. Vor einem Monat noch hätte sie vermutlich alles geglaubt, was darin stand, aber jetzt kam es ihr wie reichlich Blödsinn vor. Nur ein Mann konnte behaupten, dass die Sexualität einer Frau „von nicht zu unterschätzender Gefahr“ sei. Vermutlich hatte irgendein Feldherr in den Nordkriegen seinen Schwanz nicht bei sich behalten können und es hinterher auf die „bösen Hexen“ geschoben. Keine Frau, egal ob Skir oder nicht, würde vermutlich gerne und mit Freude mit dem Feind ins Bett steigen – so toll konnte Sex einfach nicht sein. Sie schüttelte sich innerlich bei dem Gedanken. Sie seufzte. Vielleicht gab es noch andere, bessere Bücher zu den Skirhexen? Suchend ging sie die Gänge ab.

„Lady Silva!“ Sebastian tauchte plötzlich hinter ihr auf. „Wie schön, Sie zu sehen.“ Kira lächelte ihn an. „Es tut mir leid, ich wollte, schon früher kommen, aber ich wurde aufgehalten…“ Sebastian schüttelte den Kopf. Sein Zopf war irgendwie aufgelöst und einzelne Haarsträhnen flogen herum, was Kira an Adrian erinnerte, wenn er von einem Tag im Wald wieder herein kam. „Sie müssen sich doch nicht rechtfertigen. Suchen Sie etwas bestimmtes?“ Kira nickte. „Ein anständiges Buch über Skirhexen. Nicht eins, in dem es um Kriegstaten und sexuelle Übergriffe geht, sondern eins, in dem, naja, halt was richtiges drinsteht, über die echten Hintergründe und die Magie der Hexen.“ Sebastian blickte sie nachdenklich an. „Hmmm. Es gibt ein paar Werke zu den verschiedenen Magieformen, aber eigentlich weiß man über die Skirhexen nicht viel. Ich glaube, das wollen die auch gar nicht. Ich zumindest kenne kein Buch oder keinen Autor, der wirklich mal mit Skirhexen gesprochen und sie erforscht hat.“ Kira seufzte. „Naja, dann nicht.“ „Es gibt aber ein paar Werke über Naturmagie und hmm, urtümliche Magie, zum Beispiel um mit Geistern in Kontakt zu treten oder um den Magiefluss in Ritualen gemeinsam zu lenken. Ich glaube, sowas, also gemeinsame Rituale, machen die Hexen auch.“ Kira blickte in nachdenklich an. „Gemeinsam?“ „Ja, ich weiß nicht, halt irgendwie einen Zauber gemeinsam ausführen. Das macht vielleicht etwas von ihrer Stärke aus. Sonst macht es ja keinen Sinn, warum sollten einige Menschen stärkere Magie haben als andere?“ Kira nickte. Das klang sinnvoll. „Klingt gut. Kann ich mir das ausleihen?“ Sebastian nickte, und gemeinsam suchten sie das Buch heraus. Sie räumte die anderen Werke wieder weg und ging nach vorne, um es auf ihren Namen auszuleihen. Sebastian, der erst noch jemand anderem helfen musste, folgte ihr nach einer kleinen Weile, und gemeinsam gingen sie über die Straße in das Café, das sie schon letztes Mal besucht hatten. Vor der Tür hielt Sebastian inne. „Kira, es ist mir egal, was Sie darüber denken, aber die Cafés hier in der Innenstadt sind teuer und ich weiß, dass Ihnen als Discipula ohne adeligen Hintergrund vermutlich nicht viel Geld zur Verfügung steht. Ich genieße die Zeit mit Ihnen, auch wenn ich keine anderen Absichten habe, verstehen Sie mich nicht falsch. Dennoch bestehe ich darauf, Sie jetzt und auch in Zukunft einladen zu dürfen. Sonst gehen wir woanders hin.“ Kira verblüffte die Ernsthaftigkeit, mit der er sie dabei ansah. Keine anderen Absichten? Hatte er ihr gerade durch die Blume gesagt, dass er kein romantisches Interesse an ihr hatte und sie sich keine Hoffnung machen sollte? Verunsichert sah sie ihn an. Er wirkte nicht gönnerhaft oder arrogant, das, was er gesagt hatte, entsprach einfach der Wahrheit und sein Blick wirkte aufrichtig und ehrlich. Sie errötete und nickte. „In Ordnung. Aber sobald es geht werde ich Sie dafür zu uns einladen und Sie bekochen. Als Ausgleich. Für einen Freund.“ Sebastian nickte und wirkte erleichtert. „Danke. Ich will nicht mit meinem Geld angeben, verstehen Sie, aber ich will es auch nicht ungenutzt lassen.“ Sie lächelte. „Das macht Sie ungemein sympathisch, das wissen Sie, oder?“ Sebastian lachte, nun wieder der lockere Adelige, der er immer war. „Jaja, ich weiß. Meine Schwester findet auch, ich sei fürchterlich. Immer von Frauen umgeben und so. Sie weiß einfach nicht, wie man das Leben genießt!“ Sie setzten sich in eine Nische und bestellten zwei Getränke. „Wieso findet Ihre Schwester das schlecht?“, fragte Kira. Sebastian grinste. Er erzählte ihr ausschweifend von Stella, seiner kleinen Schwester, und dass sie eine fürchterliche Streberin sei, immer gut in allem, die Jüngste und Beste, ganz wie die Mutter, Baroness Felicia di Ferrus. Obwohl er über sie und seine Mutter und deren stets auf Arbeit und Magie fokussiertes Verhalten scheinbar ganz verzweifelte, erkannte Kira die tiefe Bewunderung und Zuneigung, die er gleichzeitig ausdrückte. „Ihre Familie scheint ein echter Glücksgriff zu sein.“, sagte sie, als Sebastian fertig war. Er grinste. „Ja, naja, der Teil mit meiner Mutter und meinem Vater schon. Aber wir haben natürlich auch schwarze Schafe, die hat ja jede Familie.“ Kira nickte. War sie das schwarze Schaf der Familie oder war der Rest ihrer Familie einfach schwarz und sie das weiße Schaf? Vermutlich das rote Schaf, ergänzte eine Stimme in ihrem Kopf. „Mein Onkel zum Beispiel, der jüngere Bruder meines Vaters, der hat irgendwie wohl einen zuviel bekommen als mein Vater geheiratet hat, er dachte wohl, er könne jetzt auch ganz groß ins Geschäft einsteigen. Ständig taucht er bei uns auf und versucht meinem alten Herrn, oder neuerdings auch Marcus, meinem Bruder, zu erzählen, an wen und zu welchem Preis wir verkaufen sollen, was unsere Minen hergeben.“ „Oh, aber bringt er dann nicht einfach neue Kunden?“ Sebastian machte eine wegwerfende Handbewegung. „Marcus ist der Meinung, dass er lieber einige Goldmünzen weniger Gewinn macht, als noch mehr Eisen für die Waffenproduktion herzugeben. Muss er auch gar nicht, die neuen Manufakturen brauchen so viel Eisen und außerdem, irgendwann hat man ja auch genug Geld, nicht? Ich finde es ziemlich anständig von Marcus. Außer meinem Onkel, der mit seinen zwielichtigen Freunden ständig das große Geld wittert, will niemand einen Krieg. Sie haben schon Recht, ich bin ein stolzer di Ferrus, meine Familie ist anständig adelig. Was ist mir ihrer Familie?“

Kira blickte verlegen zur Seite. „Hmm, ich bin weder adelig noch habe ich bisher eine anständige Familie gehabt. Und über die Familie di Venaris wissen Sie vermutlich mehr als ich.“ Sebastian blickte sie einen Moment von der Seite an. „Naja, soooo viel jetzt auch wieder nicht. Ihr Magister ist ein recht verschlossenes Kerlchen. Alle wissen, dass er diesen unglaublichen neuen Stoff erfunden hat, Elektrum, und es zu einem guten Sümmchen an die Generalität verkauft. Aber Marcus macht immer noch Geschäfte mit ihm, also glaube ich nicht, dass er zu sehr auf Krieg oder andere schädliche Dinge damit aus ist. Ich vertraue Marcus, und er vertraut wohl Mitras di Venaris.“ Kira dachte an den geheimen Keller. Hoffentlich irrte Sebastian sich nicht. „Außerdem macht er ja wohl Strom damit. Und das ist schon ziemlich überwältigend, Strom aus Magie. Wenn es das überall gäbe, das würde richtig was bringen, alle könnten nachts zuhause richtiges Licht haben und man bräuchte nicht so viel Kohle.“ „Kommt die Kohle nicht auch aus dem Gebiet der di Ferrus?“ Sebastian schüttelte den Kopf. Er erzählte ihr, dass der Abbau von Eisen und Silber hauptsächlich in der Baronie Ferrus stattfand, es aber auch wesentlich einfacher sei, die in Adern vorkommenden Metalle aus dem Berg zu holen als die Kohle, die in breiten Schichten etwa im Vorgebirge von Berg vorkam, abzubauen. Die Erdgeister, die sich in Ferrus mit Geschenken und einigen Gesprächen mit den Priestern zufrieden gaben, waren in Kohlebergwerken wohl wesentlich wilder und es gab viel öfter Probleme. „Als ob sie nicht wollen, dass wir die Kohle holen. Aber niemand weiß warum.“ Sebastian lachte. „Vielleicht mögen die Geister insgesamt auch lieber saubere Luft.“ Kira stimmte ihm zu. Warum auch nicht. Sie hatte schon öfter das Gefühl gehabt, dass die Geister in den Wäldern um Bispar darum bemüht waren, alles in Harmonie und Gleichgewicht zu halten, Bruder Harras hatte ihr auch davon erzählt. Er war zwar kein starker Priester, bisher hatte nie ein Geist zu ihm gesprochen, aber sie konnten wohl seinen Gesang verstehen und er hatte ihre Handlungen beobachten können, ja, sie sogar manchmal selbst schon gesehen. Seinen Beschreibungen nach waren es intelligente Wesen mit eigenen Zielen, warum nicht also auch saubere Luft?

Sie kehrte entspannt zum Abendessen zurück. Die ständige Anspannung über das Ein- und Ausatmen der Magie war über die Gespräche mit Sebastian verschwunden. Nach dem Abendessen ging Mitras wie jeden Ingastag zum Meditieren auf sein Zimmer, er musste den Generator laden. Kira entschuldigte sich bei Abby, Tobey und William, die eine Runde Poker spielen wollten, da sie das Spiel nicht kannte, und zog sich mit dem Buch aus der Bibliothek in ihr Zimmer zurück. „Magie im Bunde – von Transfer bis Ritual“, klang ja eigentlich ganz spannend. Sie merkte allerdings nach den ersten Seiten, dass Sebastian bei der Buchauswahl ganz klar keine Rücksicht auf ihren Lernstand genommen hatte. Etliche Sachen waren verkürzt beschrieben und es gab viele Fachbegriffe für Bewegungen, Geräte oder Handlungen. Sie nahm sich das Einführungsbuch und schlug einige davon nach, aber schon nach einer Weile beschloß sie, dass das zu mühsam sei. Sie wollte die Zauber ja nicht gleich lernen, sondern erstmal wissen, was es überhaupt an Zauber gab. Schon im zweiten Kapitel stieß sie dann auf etwas interessantes: Magietransfer. Damit war es wohl möglich, Magie von einer Person auf eine andere zu übertragen. Unbewusst rieb sie sich ihre Hand. Ja, das war passiert bei ihrem ersten Kanalisieren. Mitras hatte ihre Magie, die sie gesammelt hatte, aufgenommen. Hmm. Wenn man das langsam machte, war es wohl geeignet, einer Person zu ermöglichen rasch mehr nutzbare Magie anzusammeln als sie es alleine konnte. Die Geschwindigkeit, mit der man Magie aufnehmen konnte, hing, so lernte sie, vom eigenen Grundpotential zur Magieaufnahme, vom Training und davon ab, wie lange man diese halten wollte. Es machte Sinn: Mit großen Händen konnte man mehr Wasser aus einem See schöpfen. Aber auch jemand mit kleinen Händen konnte sehr schnell eine großere Menge Wasser hochreißen – wenn man es gleich weiter warf. Kira dachte an Mitras, wie müde er an manchen Morgenden nach dem Laden des Generators aussah. Er hatte ihre Magie aufnehmen können. Vielleicht konnte sie seine Freundlichkeit und seine Unterstützung so zurückgeben? Sie schaute in das Buch. Die Grafik zum Übergaberitual sah … naja… intim aus. Zwei Männer saßen einerander mit nacktem Oberkörper gegenüber, die Köpfe aneinander gelegt und Unterarme aufeinander gelegt. Der Gedanke, so mit Mitras zu sitzen, ließ Kira das Blut ins Gesicht schießen. Sie studierte den Text zu der Grafik. „Das Übergaberitual ist eine Geste, die nur unter Freunden oder Vertrauten ausgeführt wird. Insbesondere der gebende Magier lässt dabei zu, dass ein Teil seiner inneren Energie auf den Partner übergeht. Die natürliche Intimität, die diesem Vorgang anhaftet, kann durch eine entsprechende Umgebung und Körperberührungen unterstützt werden, wenn es den Zaubernden angenehm ist. Eine erzwungende Übergabe ist zwar möglich, aber so verwerflich wie etwa eine Vergewaltigung, denn man dringt dabei in den privaten Bereich der anderen Person ein. Magie entrissen zu bekommen kann ausgesprochen schmerzhaft sein, daher sollte das Übergaberitual nur zwischen einander vertrauten Personen geschehen.“ Also, „kann unterstützen“. Das hieß ja, sie würde sich nicht unbedingt ausziehen müssen. Seine Hände auf ihren Unterarmen fand sie jetzt nicht so schlimm. Eigentlich fand sie den Gedanken sogar ganz gut, gestand sie sich nach ein wenig Zögern ein. Sie legte das Buch beiseite und grübelte eine Weile darüber, ob – und vor allem wie – sie Mitras vorschlagen konnte, ihm helfen zu dürfen. Aber ohne Ausziehen!

Mitras erwachte am nächsten Nachmittag recht unerholt. Es wurde langsam wirklich mühselig den Generator zu laden. Schon zu lange hatte er seine Kraftreserven zu konstant ausgebeutet. Er spürte in letzter Zeit, wie es ihm schwerer fiel, Magie zu wirken. Das Elektrum herzustellen und den Generator zu laden, war auf Dauer zu viel. Er zog sich an und ging nach unten um eine Kleinigkeit zu essen. Das Mittagessen war zwar schon durch, aber William hatte für ihn etwas aufgehoben. Auch wenn es gut war, aß Mitras recht lustlos, was William sofort auffiel. „Na, wo drückt der Schuh?“ Die Frage ließ Mitras aufblicken. Er brauchte einen Moment, ehe er antwortete: „Ich spüre so langsam wie mir die Zeit abläuft. Das ständige Laden und jetzt die Extraportion Elektrum zehren an meiner Fähigkeit Magie zu sammeln. Verdammt, ich kann mich schon gar nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal eine richtige Pause hatte.“ Er hatte begonnen, das Venarium herzustellen, sobald er ein wenig Pause an den Abenden hatte – tagsüber war ihm immer noch die Gefahr der Spionage zu hoch, wenn er in die geheimen Räume mit dem Schmelzofen und dem Malwerk ging. Nur das Schmelzen selber würde er später tagsüber vornehmen. „Sieht man dir auch langsam recht deutlich an, mein Bester.“, sagte William trocken, so direkt, wie er immer war. „Bald siehst du fast genauso alt aus, wie du bist.“ Mitras lachte müde auf. „Ja, mach du nur deine Späßchen. Aber im Ernst, lange halte ich das nicht mehr aus.“ „Dann lass den Generator doch. Wir brauchen das Geld nicht. Wärme bekommen wir von deinen Steinen und für Licht gibt es dann halt wieder Kerzen, oder dir fällt auch dafür was Geniales ein. Hauptsache ist, du verausgabst dich nicht vollends. Denn dann hat Thadeus auch gewonnen.“ Mitras blickte resigniert drein und erwiderte: „Vielleicht hast du recht, aber noch bin ich nicht bereit aufzugeben und ich kann den Nachbarn ja auch nicht von heute auf Morgen den Strom abdrehen.“ „Ha, wohl wahr. Aber lass dir mit der Entscheidung nicht zu lange Zeit.“

Nachdem Mitras sein verspätetes Mittagessen beendet hatte, ging er wieder nach oben. Er wollte noch ein paar Sachen in der Bibliothek nachlesen, in der Hoffnung neue Ideen zur Erforschung und vor allem Nutzbarmachung der Bezirke zu finden. Oben angekommen stand Kira vor ihm auf dem Flur. Sie trug ihre Magierrobe und wirkte ein bisschen so, als sei sie gerade bei etwas ertappt worden, oder täuschte er sich da? Sie blickte ihn recht schüchtern an, was seine zerstreuten Gedanken sofort abdriften ließ. Verdammt, sah sie schon immer so süß aus? Er schüttelte sich innerlich und rief sich zur Ordnung. Disziplin. Das konnte doch nicht so schwer sein. An sie gewandt fragte er: „Hallo Kira, kann ich dir helfen?“ „Ähm, nein Magis.. Mitras. Aber es ist so, ich habe das Gespräch mit William eben versehentlich mit angehört. Und …“ Sie suchte anscheinend nach Worten, um sich zu entschuldigen. Also doch ertappt, dachte er, auch wenn nichts schlimmes dabei war. Die Tür hatte ja offen gestanden und selbst wenn sie zu gewesen wäre, hätte sie jederzeit reinkommen können. So schüchtern sie auch immer noch gelegentlich war, konnte er sich nicht vorstellen, warum ihr das jetzt so schwer fiel. Oder machte sie sich gar Sorgen um ihre Zukunft? Es wäre auch für sie nicht gut, wenn ihr Mentor plötzlich vor Erschöpfung zusammenbrechen würde.

„Mitras, vielleicht kann ich dir helfen. Ich .. ich habe ein Buch über Magieübertragungen bei Ritualen in der Bibliothek gefunden. Nach den Beschreibungen dort sollte es möglich sein, dass ich dir Magie übertrage, oder du sie zumindest von mir nimmst. Bitte lass es uns versuchen, ich möchte dir, nach allem was du für mich getan hast, auch helfen.“ Mitras sah sie verdutzt an. Damit hatte er nun nicht gerechnet. Magietransfer war nicht ganz ohne und konnte für einen der beiden oder gar beide sogar recht schmerzhaft werden. Er hatte zwar beim Kanalisieren schon selbst darüber nachgedacht, aber er hätte es niemals gewagt, sie danach zu fragen. Wusste sie worauf sie sich da einließ? So verlockend es auch war, bisher hatte er es als zu übergriffig abgetan. Und nun kam sie mit diesem Vorschlag zu ihm. Wäre er nicht so angeschlagen gewesen, hätte er direkt abgelehnt, so aber fragte er sie: „Bist du dir sicher, dass du das willst? Bist du dir im Klaren darüber, was das für ein Vorgang ist? Was du mir da anbietest?“ Sie blickte auf den Boden und er sah wie sie wieder einmal errötete. Ihm wurde bewusst, dass er auch das unglaublich niedlich fand. „Ähm, ich denke schon. Ich will mich aber nicht … äh… also nicht… ich denke, das geht auch mit einem Kleid an, oder?“ Mitras lachte plötzlich ob dieses Gedankens auf. „Natürlich, es ist zwar Körperkontakt nötig, aber es reicht völlig, wenn man sich an den Händen oder besser an den Unterarmen festhält. Wie kommst du auf die Idee, dass man sich ausziehen sollte?“ Der Gedanke, sie ausgezogen vor sich sitzen zu haben, stolperte kurz durch seinen Kopf, gepaart mit den Bildern aus dem Spiegel, doch er schob ihn rasch von sich. „Weil in dem Buch ein Bild war.“ Sie blickte ihn direkt an, mit stark geröteten Wangen, und hielt ihm die Handflächen hin. „Du bist doch so müde. Lass mich dir helfen.“ Er blickte sie an. Die Müdigkeit lag bleiernd in ihm. „Gut, du hast recht, ich brauche wirklich dringend Hilfe und ich gestehe, ich habe auch schon darüber nachgedacht dich zu fragen. Mir erschien das aber doch als zu viel.“ „Du hast gesagt, ich sei stark. Und ich… äh… ich helfe dir gern.“ „Ja, deine Stärke ist mehr als ausreichend, das stimmt. Aber so ein Transfer ist keine einfache Sache. Mit der Magie werden auch Emotionen und Eindrücke übertragen. Ich würde zwar nicht direkt deine Gedanken lesen, aber auch so bietet es mir vielleicht mehr Einblicke, als du willst. Normalerweise wird den Schülern und Schülerinnen in der Akademie erst beigebracht, wie sie ihre Emotionen kontrollieren und sich vor einem Transfer in einen ruhigen, neutralen Zustand versetzen. Doch das würde Monate dauern, dich darauf vorzubereiten.“ Kira lächelte ihn scheu an. „Es ist ok. Ich vertraue dir.“ Mitras spürte, wie ihre Worte warm in ihm nachhallten, doch er war zu müde, sie richtig zu erfassen. Er nahm ihre Hand und führte sie ins Labor. Die Kissen lagen noch da, und er setzte sich hin und wies sie mit einer Geste an, sich vor sich ihn zu setzen. Er hatte den Zauber im letzten Semester der Schule gelernt und ein paar Mal mit seinem Übungspartner durchgeführt. Nur, dass er damals überhaupt nicht so müde gewesen war. In seiner Erinnerung war es eher wie eine angenehme Umarmung gewesen, die Magie auszutauschen. Aber der Magieschlag beim Kanalisieren ließ ihn vermuten, dass diese sanfte Umarmung vielleicht genau das war, was er gerade brauchte. Er erklärte: „Gut, die Übertragung ist eigentlich ganz einfach, für den Gebenden jedenfalls, aber ich bin darin bereits geübt und weiß was als Nehmender zu tun ist.“ Eigentlich hatte er es seit seiner Schulzeit nicht mehr gemacht, aber das würde er ihr jetzt bestimmt nicht sagen. Außerdem hatte er ihre Magie beim Kanalisieren auch gut aufgenommen. „Alles, was du tun musst, ist deine Magie zu sammeln und dich mir öffnen. Du darfst keinen Widerstand leisten, wenn du spürst, wie ich mir die Magie nehme.“ Kira nickte. Sie schloß die Augen und atmete einige Male ruhig ein und aus.

Mitras ergriff ihre Arme und umschloß sie sanft mit seinen Händen. Ihre Haut war glatt und weich. Sie fühlte sich sehr angenehm an. Erschrocken schob er den Gedanken beiseite. Hier ging es nur darum zu sehen, ob es auch wirklich klappte von ihr Magie zu empfangen, ohne ihr zu schaden. „Gut, ich werde jetzt anfangen. Sammle Magie, halte sie wie in der Übung und lass sie abfließen, sobald du einen Sog spürst.“ Sie nickte und atmete erneut ein. Er spürte, wie sich die Magie um sie verdichtete. Es war schon eine Weile her, dass er selbst dazu in der Lage war, einen derartigen Sog zu erzeugen. Hoffentlich fand er zu alter Stärke zurück und hoffentlich konnte er ihr bei ihrer weiteren Entwicklung helfen. Das Potential, dass sie nun schon besaß, war beängstigend. Er begann, die Magie in sich aufzunehmen. Es war einfacher als erwartet. Es fühlte sich nicht so an, als würde er etwas von ihr nehmen, wie bei den Übungen in der Schule, sondern vielmehr, als würde sie es ihm bereitwillig geben. Nach einem kleinen Moment war es fast so, als würde sie es über ihn schütten, und er hatte etwas Mühe, mit dem Aufnehmen nachzukommen. Schon nach wenigen Minuten hatte er bereits eine große Menge aufgenommen, auch spürte er, dass er nun eher Ziehen musste und es kein Überschütten mehr war. Er verringerte, so gut es ging, die Zufuhr, da er merkte, dass er die Magie selbst sonst bald nicht mehr ganz stabil halten können würde. „Kira, du kannst aufhören zu sammeln, ich habe bereits genug. Konzentriere dich darauf, den Rest zu halten und lasse ihn dann langsam los.“ Der Fluss wurde unruhig, aber stoppte nicht ganz. Sie öffnete die Augen, schaute ihn an, und er hatte das Gefühl, sich einen Moment lang in ihren Augen zu verlieren. Der Geruch von Karamell mischte sich mit dem Geruch von Tannennadeln. Die Magie flimmerte um ihn. Er blickte auf ihre verschränkten Unterarme und glaubte beinahe, dort kleine, gold schimmerne Fäden zu sehen, die ihre Arme umwoben. Es war einfach zu viel Magie. Seine Finger kribbelten. Das war mehr Magie, als er ohne längere Meditation sammeln konnte. Sie erfüllte ihn. Etwas musste er zaubern, sonst würde er sie verlieren… Er löste sich langsam von ihr. Es tat beinahe weh, ihren Arm loszulassen. Er sank zurück. Noch hielt er die überschüssige Magie, statt sie wieder abzugeben. Beinahe befürchtete er, sie würde ihm wieder entgleiten. Deutlich spürte er, dass es nicht seine Magie war. Er war so müde… gab es da nicht einen Zauber? Freila, ajusta… Er murmelte die Worte, ehe er noch ganz darüber nachgedacht hatte. Etwas heilendes, etwas stärkendes… Eigentlich war es für ihn anstrengend für diese Art von Heilzauber Magie zu sammeln, obwohl es ja Verwandlungsmagie war. Aber er fühlte sich wie ein überlaufender Waldsee. Die Magie wollte geformt werden. Er merkte, wie leicht es ihm von der Hand ging, obwohl er den Zauber nur einmal im Unterricht an der Akademie angewandt hatte. Binnen kürzester Zeit fühlte er sich wieder frisch und erholt. Er realisierte auch, dass sich die ihm fremde Magie dem Zauber leichter anpasste. Er würde nicht die späteren Nachwirkungen fürchten müssen, die er sonst bei derart komplexer Heilungsmagie hatte. Seine Begabung tendierte klar zu unbelebter Materie, anderen fiel das Heilen deutlich leichter. Kiras schimmernde, karamellige Form der Magie hingegen schien sich diesem Zauber direkt entgegen zu bringen.

Erst jetzt wurde ihm der Wirbel an Emotionen bewusst, der mit der Magie auf ihn übergegangen war. Es war eine zu difuse Mischung aus Aufregung, Sorge, Angst, Zuneigung und Freundlichkeit, um etwas konkretes daraus zu greifen. Der Geschmack von Karamell lag deutlich auf seiner Zunge und er widerstand knapp der Versuchung, sich die Lippen abzulecken. Ihn überkam das Bedürfnis, sie in den Arm zu nehmen und an sich zu drücken. Ohne groß darüber nachzudenken, tat er es auch. Kira, die schwer atmend vor ihm gesessen hatte, keuchte erschrocken auf und machte eine instinktive Schutzbewegung, was ihn dazu veranlasste, sie ebenso schnell wieder loszulassen. „Verzeih!“ „Schon gut. Äh. Hat es geklappt?“ Sie wischte sich mit der erhobenen Hand verlegen die Haare aus dem verschwitzten Gesicht.“Ja, besser als erwartet. Ich konnte mein Defizit ausgleichen und konnte einen Erhohlungszauber mit dem Rest wirken. Ich fühle mich, als wenn ich eine Woche Ruhe gehabt hätte.“ Er war nun deutlich wacher, dachte klarer und war sich seiner Umgebung so bewusst wie schon lange nicht mehr. Auch wenn es nur ein kurzer Moment gewesen war, nahm er nun wahr, wie gut sie sich angefühlt hatte und dass er noch mehr wollte. Entsetzt von sich selbst drängte er den Gedanken zurück und stand auf. Er ging ein paar Schritte auf und ab, um wieder klar denken zu können. Sie hatte ihm ja klar zu verstehen gegeben, dass er zu weit gegangen war. Und dann war da noch diese Angst gewesen. Er konnte sie nicht recht zuordnen, aber konnte es sein, dass sie genau so etwas befürchtet hatte? „Ich danke dir, Kira, das allein hat schon sehr geholfen und entschuldige bitte noch einmal meine Überschwänglichkeit. Die Euphorie ist mit mir durchgegangen.“ Sie lächelte ihn von unten herauf an. Stolz und Erschöpfung schwangen in ihrer Stimme mit, als sie sagte: „Ich freue mich, dass es geklappt hat. Du hattest recht, es war auch nicht schwer. Ich konnte nur irgendwie nicht aufhören, obwohl es immer weniger Magie um mich wurde. Ich hoffe, es hat sich nicht allzu komisch für dich angefühlt. Soll ich dann morgen abend nach dem Essen einfach zu dir kommen oder muss man beim Generator-Laden noch etwas spezielles beachten?“ „Das mit dem Aufhören habe ich gemerkt, aber das können wir üben. Du möchtest mir also trotzdem weiter helfen?“ Mitras war deutlich überrascht, aber auch innerlich erleichtert. „Es gibt nichts spezielles zu beachten. Die Zauber wirke ich, das Sammeln der Magie war dabei allerdings immer das größte Hindernis. Alleine kann ich für derart komplexe Zauber die Magie nur sehr langsam aufnehmen. Mit deiner Hilfe sollte es aber deutlich schneller gehen. Ich würde sagen, dass wir es zur Sicherheit aber direkt beim Generator machen. Ich bereite gleich alles vor, damit wir dort Morgen abend nicht frieren.“ Kira grinste. Sie stand auf, dabei wurde ihr Lächeln immer breiter. „Ich freue mich.“ Sie hielt inne, dann hüpfte sie ein kleines Stück in die Luft und strahlte ihn an. Mit quietschender Stimme wiederholte sie: „Ich freue mich, ich freue mich. Ich kann helfen!“ Sie tanzte an ihm vorbei und hüpfte leise singend den Flur hinab zu ihrem Zimmer. Ihre plötzliche Freude überraschte ihn doch sehr, aber sie so glücklich zu sehen löste ein wohlig warmes Gefühl in seinem Inneren aus. Mit neuer Kraft folgte er ihr und ging in die Bibliothek um die anstehende Arbeit zu erledigen. Ihre Zimmertür stand offen und sie saß summend an ihrem Schreibtisch, eifrig in ein Notizbuch schreibend. Er schmunzelte, schloß ihre Tür und ging dann zu seinen Büchern. Es kostete ihn Mühe, dizipliniert zu bleiben, aber seine neu gewonnene Energie und ihre Freude waren es definitv wert. Ihm fiel der Schmuck seines Vaters ein. Den hat sie sich jetzt wirklich verdient, dachte er  und beschloß, ihn ihr nach dem Abendessen zu geben.

Kira spürte, wie die Aufregung und Freude langsam abebbte, während sie alles neu Gelernte in ihr privates Notizbuch schrieb. Wie schon in den Zeiten des Fernunterrichtes hatte sie begonnen, nicht nur Notizhefte für die einzelnen Fächer anzulegen, sondern auch ein etwas persönlicheres Heft zu führen, in dem sie ihre eigenen Gedanken und Reflexionen zu dem, was sie erfuhr, niederschrieb. Das Schreiben half ihr, es besser im Gedächtnis zu bewahren und ihre eigenen Gedanken zu sortieren. Immer wieder strich sie sich über die Arme, dort, wo Mitras sie festgehalten hatte. Seine Hände waren weich, warm, und so angenehm gewesen… sie seufzte glücklich. Schade, dass sie sich so erschreckt hatte, als er sie umarmt hatte. Aber es war ja auch nicht so angebracht eigentlich. Sie fand es ziemlich niedlich, dass er sich offenbar von seiner Freude miteißen ließ, erst beim Kanalisieren und nun wieder. Dummerweise hatte sie einfach zu sehr daran gedacht, wie Johann sie in der Scheune ebenso plötzlich umarmt hatte. Gerade war sie viel zu glücklich und auch etwas zu erschöpft, um wütend zu sein, aber es war auf jeden Fall klar, dass außer Mitras sie nie von irgendeinem Mann in den Arm genommen werden wollte. Naja. Bruder Harras und Adrian gingen vermutlich auch. Sie ließ sich aufs Bett fallen und lag eine ganze Weile träumend da, dachte an die Wälder und das Gefühl von Sonnenwärme auf ihrer Haut, so sonnenwarm wie Mitras Hände.

Als es an der Tür klopfte, wäre sie beinahe vom Bett gefallen, so sehr zuckte sie zusammen. Irgendwie war sie wohl eingedöst, dieses Sammeln der Magie war zum Ende hin doch recht anstrengend geworden. „Ja?“ „Kindchen, kommst du zum Essen?“ Abby stand vor der Tür. Rasch stand sie auf und folgte ihr. Mitras saß am Tisch und unterhielt sich lebhaft mit William und Tobey, als sie hinter Abby herein trat. Sie hatte den Eindruck, er sei nun plötzlich deutlich jünger. Seine Augen blitzen, sogar seine Haare hatten den Anschein der ersten silbrigen Strähnen verloren und standen mit neuer Energie ein wenig vom Kopf ab. Seine Bewegungen waren nicht mehr so erschöpft. Er sah ziemlich gut aus, sogar noch mehr als sonst, korrigierte ihre Stimme im Kopf und sie scholt sich sofort selbst für so einen Gedanken. Das war doch nicht die wilde Kira, so für einen Mann zu schwärmen! „Ha, da ist ja unsere Heldin. So gut hat Mitras schon seit Monaten nicht mehr ausgesehen. Schön, dass du ihn so aufbauen konntest, scheinst ja gut was drauf zu haben.“, begrüßte William sie. Mitras sah sie etwas entschuldigend an: „Mir blieb nichts anderes übrig, als den anderen von deiner Hilfe zu erzählen. Ich hoffe, ich habe dich nicht zu sehr verausgabt? Ich danke dir jedenfalls. Und wie es der Zufall so will habe ich, dank meines Vaters, die passende Belohnung bereits parat. Aber erst essen wir.“ Kira wurde rot. „Hier zu sein ist eine Belohnung.“ Sie setzte sich und nahm sich vom Eintopf. Was er wohl für sie hatte? Nach den ersten Bissen grinste sie. Es schmeckte gut, und Komplimente machen konnte sie auch. „Eigentlich reichen sogar Williams Kochkünste als Belohnung.“ William lachte. „So eine Schmeichlerin, Mylady. Nein, nein, ich kann zwar kochen, aber unseren alten Herrn hier wiederbeleben kann auch mein Eintopf nicht, dafür brauchte es wohl ein junges Ding wie dich.“ Tobey prustete und Abby zischte: „William!“ Auch Mitras schaute ihn entrüstet an. Kira war verwirrt. Hatte William etwas falsches gesagt? Er hob verteidigend die Hände und sagte: „Nur Spaß, nur Spaß!“, was Mitras und Abby mit einem Kopfschütteln quittierten, aber sich dann wieder dem Essen zuwandten. „Ich helfe gerne.“, sagte sie, und hoffte, dass das bescheiden genug klang. Arrogant oder eingebildet zu wirken hatte man ihr ja den größten Teils ihres Lebens genug nachgesagt, sie wollte auf keinen Fall, dass Mitras oder die anderen so über sie dachten. Aber sie war auch wirklich stolz, dass sie hatte helfen können!

Nachdem das Essen abgeräumt worden war, holte Mitras eine kleine Schatulle aus einem Regal hervor. Er schob sie zu ihr hin mit den Worten: „Mit besten Grüßen von meinem Vater und mit größtem Dank von mir. Ich hoffe, sie gefallen dir.“ Kira betrachtete die Schatulle und hob zögerlich die Hand. Das sah aus wie eine Schmuckschatulle. Außer ihr Bruder hatte ihr noch nie jemand Schmuck geschenkt. Vorsichtig öffnete sie die Schachtel. Darin lag ein Paar Ohrringe. Sie bestanden aus kleinen grünen Steinen, die zu Kugeln geschliffen waren. Um die Kugeln rankte sich feiner Silberdraht, der kleine Blüten und Blätter formte. Es sah unglaublich schön aus. Und wertvoll. Ehrfürchtig hielt sie sich die Hand vor den Mund, um nicht loszuquietschen, und starrte die Ohrringe einen langen Moment an. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen schoßen und blinzelte, um sie zu vertreiben. Bloß nicht wieder heulen, jetzt guckten sie bestimmt alle an. Vorsichtig hob sie einen der Ohrringe heraus und betrachtete ihn von nahem. Dann blickte sie Mitras an. „Danke.“, sagte sie mit etwas belegter Stimme, und räusperte sich. „Wieso von deinem Vater?“ „Weil Frederike von dir geschwärmt hat. Keine Sorge, er ist Juwelenhändler und bekommt solche Stücke quasi als Ansichtsware. Er hat dafür keinen Kupfer auf den Tisch gelegt, wertvoll sind sie aber trotzdem. Er war der Meinung, dass sie dir stehen sollten, also werden sie wohl passend sein. Mein Vater irrt in solchen Dingen nie.“ Mitras lachte, „Wäre auch nicht gut für ihn, zu seinen Kundinnen gehören sogar die Töchter des Königs und dessen Frau.“ Kira steckte sich die Ohrringe an. „Sieht das gut aus?“ Sie hielt sich die Haare zurück und strahlte die anderen an. „Hervorragend!“ „Wunderbar!“ „Mylady, zu edel!“ Abby, William und Tobey lobten sie überschwänglich. Mitras betrachtete sie still, aber auch er lächelte. Aufgeregt stand Kira auf und eilte in das gegenüberliegende Badezimmer, um die Ohrringe zu bewundern. Sie sahen wirklich gut aus. Begeistert betrachtete sie sich eine Weile selbst im Spiegel. „Ich sehe gar nicht mehr so dünn an den Wangen aus.“, fiel ihr auf. Offenbar machte sich Williams Essen bemerkbar. Sie beschloß, etwas mehr darauf zu achten, nicht zu viel zu essen. Bis jetzt war es aber eher eine Verbesserung. Sie fand, sie sah nun nicht mehr so hager und kantig aus, ein bisschen fraulicher eher. Erwachsener. Eine erwachsene Magierin, die von ihrem Mentor diese wundervollen Ohringe bekommen hatte, weil sie ihm geholfen hatte. Sie war nützlich gewesen. Vermutlich das erste Mal in ihrem Leben, dass sie das wirklich war. Stolz ging sie ins Esszimmer zurück, wo der Abend mit allen gemeinsam fröhlich ausklang.

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